Pionier der Anästhesiologie mit Weitsicht
Zum Tod von Professor Dr. Rudolf Schorer ein Nachruf von Klaus Unertl und Gunther Lenz
Am 1. März 2019 ist Professor Dr. Rudolf Schorer im Alter von 93 Jahren verstorben. Er war von 1968 bis 1992 Ärztlicher Direktor des damaligen Zentralinstituts für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Tübingen und erster Ordinarius für Anästhesiologie an der Tübinger Universität. Seine ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Freunde und Weggefährten nehmen in Trauer Abschied von einer beeindruckenden Persönlichkeit und gedenken seiner in großer Dankbarkeit.
Am 27. Juni 1926 in Weilbach/Schwaben geboren, besuchte Rudolf Schorer die Schule in Mindelheim und erlangte im Dezember 1944 das Abitur. Nach der Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenenschaft immatrikulierte er sich 1948 an der Philosophisch-Theologischen Fakultät zunächst in Dillingen, später in München und legte 1952 das Philosophikum ab. Danach studierte er in München und Göttingen Medizin, schloss das Studium 1958 mit dem Staatsexamen ab und promovierte im gleichen Jahr. Nach Ablauf der zweijährigen Medizinalassistentenzeit begann er 1961 seine Weiterbildung zum Anästhesisten an der Anästhesieabteilung des Universitätsklinikums Göttingen. Er unterbrach die Weiterbildung für eine zweijährige wissenschaftliche Tätigkeit am Max-Planck-Institut für Physiologie in Göttingen und habilitierte sich Ende 1964 zum Thema "Auswirkungen der Atemmechanik auf den Kreislauf". 1965 folgte die Ernennung zum ersten offiziellen Oberarzt der Anästhesieabteilung am Universitätsklinikum Göttingen.
1968 wurde Rudolf Schorer auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Anästhesiologie an der Universität Tübingen berufen. In der von Jochen Bark und Gerhard Clauberg begründeten Tübinger Anästhesie standen ihm bei seinem Amtsantritt zunächst nur zehn Ärzte und wenige Narkosepfleger zur Verfügung. Zur Erfüllung seines Versorgungsauftrags für die operativen Disziplinen baute Rudolf Schorer die Abteilung zielstrebig und umsichtig in personeller, apparativer und organisatorischer Hinsicht in Form eines Zentralinstituts aus. Klinische Schwerpunkte entstanden parallel zu den operativen Fächern in der Kardioanästhesie, Neuroanästhesie, Kinder- und neonatologischen Anästhesie und der Transplantationsmedizin. Bereits 1970 nahm unter seiner Leitung eine modern ausgestattete interdisziplinäre operative Intensivstation ihre Arbeit auf.
Als versiertem Kliniker standen für ihn der Patient und seine Sicherheit im Mittelpunkt. Weitsichtig realisierte er schon früh Aufwachbereiche in den operativen Kliniken, eine Schmerzambulanz, eine Anästhesieambulanz und einen Notarztdienst unter Federführung der Anästhesie. Ein besonderes Anliegen war ihm die kontinuierliche perioperative Patientenüberwachung an allen Arbeitsplätzen, möglichst mit Darstellung der Originalsignale und des Trendverlaufs. Seine Vision eines integrierten Arbeitsplatzes in der Anästhesie und Intensivmedizin und eines automatisierten Narkose- und Intensivdokumentationssystems nahm im Verlauf seiner Amtszeit Zug um Zug Gestalt an.
Als Mentor förderte er nach Kräften forschungsinteressierte Mitarbeiter. Viele klinische und experimentelle Forschungsprojekte, die auch in 13 abgeschlossene Habilitationen einmündeten, gingen auf seine Anregung und Förderung zurück. Zahlreiche seiner ehemaligen Mitarbeiter übernahmen leitende Funktionen.
Für Rudolf Schorer war offenes Denken in weiten Zeiträumen wichtig, ebenso vermeintlich Etabliertes kritisch zu hinterfragen. Er machte immer Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Wenn er davon sprach, die Kunst liege in der Beschränkung, dann bedeutete dies, die richtigen Dinge auch richtig zu tun.
Die deutsche Anästhesiologie verliert mit Rudolf Schorer einen ihrer herausragenden Vertreter aus der Gründergeneration, die durch ihre Pionierarbeit das Fach in den vier tragenden Säulen weitsichtig entwickelt und in der modernen Medizin verankert hat.
Für alle die ihn persönlich kannten, werden vor allem auch seine menschliche und liberale Grundhaltung, seine zurückhaltende, konziliante Art und seine soziale Einstellung in Erinnerung bleiben.