Uni-Tübingen

Poetik-Dozentur 2006

Péter Esterházy

Péter Esterházy wurde 1950 in Budapest geboren. Seine Familie, die einem der glanzvollsten Adelsgeschlechter Europas angehört, wurde 1951 von den kommunistischen Machthabern enteignet und in ein abgelegenes Dorf im Norden Ungarns deportiert. Im Alter von sieben Jahren kehrte Esterházy nach Budapest zurück, wo er von 1969 bis 1974 Mathematik studierte. Danach arbeitete er vier Jahre lang als "Systemorganisator". Seit 1978 ist er freiberuflicher Schriftsteller.
Für seine Romane "Harmonia Caelestis" und "Verbesserte Ausgabe" erhielt Péter Esterházy im Mai 2004 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. "Harmonia Caelestis" (deutsch von Terézia Mora) ist ein höchst ungewöhnlicher Familienroman: eine nicht-chronologische Chronik des Geschlechts der Esterházys, die ein faszinierendes Panorama der Geschichte Ungarns und Mitteleuropas bis ans Ende des 20. Jahrhunderts entfaltet. Zugleich ist der Text ein poetisches Vexierspiel, das mit den Familien-Ahnen immer auch die literarischen ‚Väter' des Autors wiederauferstehen läßt. Diese Verbindung von geschichtlicher Erinnerung, Analyse der innerfamiliären seelischen Verstrickungen und brillanter erzählerischer Artistik kennzeichnet Esterházys gesamtes Werk.
Schon in seinen frühen Romanen wie dem Erstling "Fancsikó und Pinta" (1976), der subtilen Darstellung einer Kindheit in den fünfziger und sechziger Jahren, oder "Die Hilfsverben des Herzens" (1985), einem Buch über den Tod der Mutter, besticht Esterházys Fähigkeit, die emotionale Dichte des Familienlebens zu vergegenwärtigen, ohne jemals in einen sentimentalen oder larmoyanten Ton zu verfallen. Péter Esterházy ist ein Meister des lakonischen Stils, dem alle sprachlichen Register - das Komische, Frivole und Obszöne so gut wie das Melancholische und Schockierende - zu Gebote stehen. Seine Bücher sind mittlerweile in mehr als 15 Sprachen übersetzt; sie wurden mit zahlreichen bedeutenden europäischen Literaturpreisen bedacht.

Publikationen (Auswahl):
Wer haftet für die Sicherheit der Lady? Erzählung. Frankfurt a.M. 1989.
Das Buch Hrabals. Salzburg 1991.
Kleine ungarische Pornographie. Frankfurt a.M. 1991.
Donau abwärts. Roman. Salzburg 1992.
Eine Frau. Roman. Salzburg 1996.
Thomas Mann mampft Kebab am Fuße des Holstentors. Geschichten und Aufsätze. Salzburg 1999.
Harmonia Caelestis. Roman. Berlin 2001.
Fancsikó und Pinta. Roman. Berlin 2002.
Verbesserte Ausgabe. Berlin 2003.
Die Hilfsverben des Herzens. Frankfurt a. M. 2004.
Einführung in die schöne Literatur. Berlin 2006.

 

 

Terézia Mora

Terézia Mora, 1971 geboren in Sopron (Ungarn) als Kind einer deutschsprachigen Familie, studierte zunächst in Budapest, dann ab 1990 an der Humboldt-Universität Berlin Hungarologie und Theaterwissenschaft. Außerdem absolvierte sie ein Drehbuchstudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie und arbeitete kurzzeitig als Drehbuchdramaturgin. Seit 1998 ist sie freie Autorin und Übersetzerin. Für ihre Übertragung von Péter Esterházys Roman "Harmonia caelestis" erhielt sie den Jane-Scatcherd-Übersetzerpreis. Auch ihre schriftstellerischen Arbeiten wurden früh mit Preisen ausgezeichnet: u.a. erhielt sie 1999 den Ingeborg-Bachmann-Preis, 2000 den Adalbert-von-Chamisso-Förderpreis und 2005 den Preis der Leipziger Buchmesse. Terézia Mora lebt in Berlin.

War Terézia Mora bereits mit ihren noch in Ungarn spielenden Erzählungen "Seltsame Materie" (1999) aufgefallen, so wird ihr erster Roman "Alle Tage" seit seinem Erscheinen im Herbst 2004 anhaltend als literarisches Ereignis gefeiert. Die Geschichte des ostdeutschen Bürgerkriegs-Flüchtlings Abel Nema, der in einer fremden Großstadt des Westens strandet (eine Mischung aus Berlin und New York), verblüfft durch sprachliche Virtuosität und wirklichkeitsgesättigte Milieusicherheit. Abal Nema, der am Beginn des Romans kopfüber wie eine gekreuzigte Fledermaus an einem Kinderklettergerüst hängt, ist eine (Christus-)Figur des modernen Exils. Dem Verlust der Heimat (man mag an Jugoslawien denken) korrespondiert ein Verlust der Identität: Abel hat als Kind den Vater verloren, als Jugendlicher den Freund (in dem Augenblick, als er ihm seine Liebe gestand). Zwar spricht der Exilant zehn Sprachen fehlerfrei, aber er spricht sie steril und ohne Akzent. Es ist ihm nicht mehr möglich, vorbehaltlos zu kommunizieren. Frauen zieht der vage, unverbindliche Mann seltsam an und gerät schließlich in eine Scheinehe. Die nackteste Stelle aber, die er als Ehemann zeigt, ist eine Pockennarbe auf seinem Arm.
Terézia Mora, aufgewachsen in einem deutsch-ungarischen Grenzgebiet, erweist sich als kühne Autorin, die sensibel ist für die Schrecken des Ausgesetztseins in den "hysterischen Zeiten" und die bitteren Chancen neuer Übergänge und Überschreitungen.

Publikationen (Auswahl):
Seltsame Materie. Erzählungen. Reinbeck 1999.
Alle Tage. Roman. München 2004.
Miss June Ruby. Hörspiel. Norddeutscher Rundfunk 2006.