Diese Tendenz könnte zunehmen, wenn die Künstliche Intelligenz verstärkt Einzug hält. Hologramme wie das von Marina Smith bewegen sich noch im Rahmen sprachlicher Äußerungen, die das verstorbene „Original“ tatsächlich gemacht hat. Doch maschinell lernende KI-Systeme nach dem Muster von ChatGPT entwickeln sich schnell zu eigenständigen Gesprächspartnern.
Was, wenn der Großvater-Avatar beginnt, Familienmitglieder zu beschimpfen, Beschuldigungen zu verbreiten oder Hetzreden zu schwingen? „Man muss überlegen, welche Konsequenzen solche Risiken für die historische Überlieferung und die Erinnerungskultur haben können“, gibt Meitzler zu bedenken. Stalin- oder Hitler-Avatare, die im Netz propagandistisch manipulierte Existenzen führen und als „Zeitzeugen“ oder „Ratgeber“ befragt werden, sind keineswegs undenkbar. Nicht einmal eine Kennzeichnungspflicht für solche Wesen aus der Digital-Retorte gibt es bislang, und es ist auch unklar, wie sie durchzusetzen wäre.
Gesetzliche Regelung nötig
Nicht nur hier sieht Heesen beträchtlichen Regulierungsbedarf auf den Gesetzgeber zukommen: So ist zum Beispiel nicht geregelt, wer überhaupt unter welchen Bedingungen Avatare von Verstorbenen erstellen darf. Bislang können sie auch ohne vorherige Zustimmung der Verstorbenen erzeugt werden. „Das postmortale Persönlichkeitsrecht muss dieser neuen Situation angepasst werden“, findet die Forscherin.
Zur Regelung des digitalen Nachlasses könnte auch gehören, dass man im Testament festhält, ob von der eigenen Person ein digitales Abbild erstellt werden darf. Welchen juristischen Handlungsbedarf die Geschäftsmodelle der digitalen Postmortal-Branche im Detail erzeugen, wird im Darmstädter Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT) erforscht, das mit den Tübingern kooperiert. Für den Abschluss des Projekts im Frühjahr 2024 ist eine gemeinsame Veranstaltung geplant, bei der Politik und Öffentlichkeit die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorgestellt werden.