Im Sommer 2022 waten wir mit Schaufeln und Probengefäßen in Flüssen rund um Tübingen, robben über Holzbretter zum Schlamm des abgelassenen Anlagensees und schaufeln von dessen schlammigem Grund erste Proben. Wir wollen wissen, was mit Glyphosat passiert, das durch Regen aus Feldern gewaschen wird. Wo lagert sich der Stoff ab? Die Messungen anschließend im Labor überraschen uns: Einige Flusssedimente enthalten so viel Glyphosat wie Ackerböden ein paar Tage nach dem Versprühen des Unkrautvernichtungsmittels.
Sind die Sedimente im Seegrund also ein Speicher für Glyphosat? Wir wollen tiefer bohren und entnehmen weitere Sedimentkerne. Diesmal nehmen wir die Paläontologin Annett Junginger mit. Sie datiert die Sedimentkerne. Nun sind wir verblüfft: Wir sehen Glyphosat über den gesamten Kern, dessen Ende bis in die 1960er-Jahre reicht – in eine Zeit, als die Substanz noch gar nicht zugelassen war. Ist es über die Jahre tatsächlich so tief nach unten gesickert?
In diesen Schichten hätten wir so viel Glyphosat nicht erwartet. Auch sonst passen die Konzentrationen so gar nicht zu den Verkaufszahlen des Herbizids in der Landwirtschaft. Ebenso erstaunlich ist, dass wir über den gesamten Bohrkern das wichtigste Abbauprodukt von Glyphosat, die Aminomethylphosphonsäure, kurz AMPA, in noch viel höheren Konzentrationen feststellen können. Wie kommen die beiden Substanzen dorthin?
Um das Ganze besser zu verstehen, wende ich mich an die Landesanstalt für Umwelt in Baden-Württemberg und frage nach Daten zu Glyphosat und AMPA, idealerweise aus dem benachbarten Neckar. Seit 2004 finden monatliche Messungen an mehreren Punkten im Neckar statt. Das ist für Glyphosat beeindruckend, denn der Stoff kann nur durch eine Spezialanalytik nachgewiesen werden. Wenn ich die Daten auftrage, sieht man eine ausgeprägte Saisonalität über fast zwanzig Jahre. Jedes Jahr steigen die Glyphosatkonzentrationen in den Monaten April und Mai an, erreichen ein Maximum im späten Sommer, um ab Oktober wieder zu sinken. Im Winter sind die Konzentrationen niedrig. Aber wie kann das sein? Der Anstieg im Frühjahr ist noch zu erwarten aus den Vorsaatanwendungen der Landwirtschaft um diese Zeit. Aber warum gehen die Konzentrationen im Herbst, in der Haupteinsatzzeit von Glyphosat, wenn alles abgeerntet ist und nur noch Stoppel auf den Feldern stehen, wieder runter? Und warum sind sie den Winter hindurch immer noch messbar, obwohl dann eigentlich kein Herbizid mehr gespritzt wird?
Für uns Chemikerinnen und Chemiker noch erstaunlicher: AMPA und Glyphosat kommen über die gesamte Zeit in einem fast gleichen Verhältnis vor. Das ist bei dem unterschiedlich schnellen Abbau der beiden Stoffe, den wir in unseren Arbeiten in landwirtschaftlichen Böden bereits nachgewiesen hatten, kaum zu erwarten. Auf der Suche nach Antworten sehe ich, dass die Daten einer Messstelle in Mannheim fast identisch sind. Ich nehme an einem Workshop in Tübingen zur Kontamination von Ackerböden teil. Und werde auf einen neuen Gedanken gebracht: Was, wenn das Glyphosat immer da ist, weil es ständig neu gebildet wird? Gemeinsam mit seinem Abbauprodukt AMPA aus einem gemeinsamen Vorläufer? Für eine Chemikerin ein logischer Gedanke. Ich erinnere mich nun auch an Studien, die für AMPA eine andere Quelle kennen: Aminopolyphosphonate, die unter anderem in Waschmitteln genutzt werden. Könnte daraus auch Glyphosat entstehen? Chemisch verwandt sind sie.
Ich schreibe an meinen Kollegen Professor Stefan Haderlein vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften. Seine Antwort: „Steile Hypothese, aber nicht unplausibel.“ Unsere Taskforce Glyphosat hat nun zwei Untersuchungsansätze: zum einen weiter in Gewässerdaten schauen, zum anderen die Laborarbeit. Über Kontakten zu Behörden erhalten wir einen größeren Datensatz aus Deutschland. Es wird schnell klar, dass die ausgeprägte Saisonalität, die so gar nicht zum Einsatz von Glyphosat passt, in fast allen größeren und kleineren Flüssen vorkommt. Das gleiche Bild in einem riesigen Datensatz aus Frankreich, später kommen Daten aus Luxemburg, Italien, den Niederlanden, Großbritannien und Schweden hinzu. Überall das gleiche Bild, obwohl die Landnutzung so unterschiedlich ist.