Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2014: Leute

„Helfen zu graben den Brunnen des Lebens“

Zum Tode von Professor eh. Dr. h. c. mult. Adolf Theis ein Nachruf von Ingrid Gamer-Wallert und Georg Sandberger

Am 24. Dezember 2013 ist Adolf Theis, Präsident der Universität Tübingen von 1972 bis 1995, nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Acht Monate zuvor konnte er noch in bewundernswerter geistiger Frische und Energie seinen 80. Geburtstag mit seiner Universität feiern.


Präsident Theis, gebürtiger Badener, hatte nach dem Studium der Rechte in Heidelberg und Freiburg und den juristischen Staatsexamen bereits eine umfassende berufliche Erfahrung in der Landesverwaltung, danach im Bundeswissenschaftsministerium und im Bundeskanzleramt vorzuweisen, als er nach mit großer Mehrheit erfolgter Wahl am 1. Oktober 1972 im Alter von 39 Jahren das Amt des Präsidenten der Universität übernahm.


Adolf Theis trat das Präsidentenamt unter außerordentlich schwierigen Rahmenbedingungen an. Die Universität war durch Unruhen und Gruppenkonflikte belastet und nicht mehr in der Lage, aus den eigenen Reihen eine konsensfähige Persönlichkeit für ihre Leitung zu gewinnen. Trotz dieser ungünstigen Ausgangslage gelang es Präsident Theis, in wenigen Jahren die auseinanderdriftenden Kräfte wieder weitgehend zu integrieren.


Einen wichtigen Abschnitt in dieser Phase bildete das glanzvoll verlaufene, mit zahlreichen hochrangigen Kongressen wissenschaftlich hoch erfolgreiche 500-jährige Universitätsjubiläum im Jahr 1977.


Auch ein zweites Ziel, die Reform der Universitätsverwaltung, konnte in dieser Phase erfolgreich vorangebracht werden. Aus der klassischen Rektoratsverwaltung schuf Präsident Theis auf dem Hintergrund seiner vorausgehenden Erfahrungen eine umfassende leistungsfähige Dienstleistungsorganisation für die Wissenschaft.


Ein weiterer erfolgreicher Schwerpunkt der Tätigkeit von Herrn Theis war der Ausbau und die Pflege internationaler Beziehungen. Es entstand ein weltweites Netzwerk von Wissenschaftsbeziehungen. Als eine der ersten deutschen Universitäten errichtete die Universität Tübingen internationale Zentren in Kyoto und Peking sowie eine Forschungseinrichtung in Porto Allegre.


Gleichzeitig und unter schwierigsten Begleitumständen finanzieller Restriktionen gelang es Herrn Theis in enger Kooperation mit den Fakultäten in allen Fachrichtungen der Geistes-, Kultur-, Sozial-, Natur- und Lebenswissenschaften neue Forschungsschwerpunkte und Sonderforschungsbereiche zu schaffen, zugleich aber die zur Tradition der Universität gehörende hochrangige Einzelforschung zu schützen und zu fördern.


Die Frucht weitsichtiger, gezielter Vorbereitung waren neben der Stärkung der Kulturwissenschaften, insbesondere der Ostasienwissenschaften, die Einrichtung des Studienganges Betriebswirtschaftslehre, der Aufbau der Mikrobiologie und Molekularbiologie, schließlich die Gründung der Fakultät für Informatik. Zugleich erfolgte der Aufbau der Computerlinguistik als Nahtstelle zwischen Informatik und den Geisteswissenschaften. Zu Beginn der 90er Jahre entstand das Interdisziplinäre Institut für Immunologie und Zellbiologie als maßgebliche Schnittstelle zwischen der Medizin und den Naturwissenschaften
Besondere Aufmerksamkeit widmete Präsident Theis der Entwicklung der Medizin. Diese hat in seiner Amtszeit durch den rasanten Fortschritt der naturwissenschaftlichen Grundlagen und die technischen Neuerungen eine Ausdifferenzierung erfahren, die in struktureller, organisatorischer, finanzieller und baulicher Hinsicht besonderer, laufender Begleitung und Entscheidungsverfahren in der Kooperation mit der Fakultät und dem Universitätsklinikum bedurfte. Für Präsident Theis war das Klinikum mit seinen Aufgaben im Dienst am Menschen und für den Fortschritt der Wissenschaft stets die Einrichtung, in der Universität von der Bevölkerung in der Nähe erfahren wird.


Ihm war die Einheit von Klinikum und Universität stets ein besonderes Anliegen.


Als wesentliche strategische Aufgabe sah Herr Theis auch die Sicherung der baulichen Infrastruktur der Universität an. In seiner Amtszeit wurde das Klinikum auf dem Schnarrenberg geplant und errichtet, die Kinderklinik und die Medizinische Poliklinik gebaut, die Sanierung und Nachfolgebelegung der frei werden Talkliniken in die Wege geleitet und abgeschossen, das Schloss Hohentübingen renoviert, das Schlossmuseum eingerichtet, das Bibliotheksgebäude der Theologie und das Verfügungsgebäude auf der Morgenstelle erstellt und eine langfristige bauliche Gesamtentwicklungsplanung vorgenommen, auf deren Grundlage auch die Universitäts- und Klinikbauten der letzten 20 Jahre beruhen.
In keiner klassischen Universität hat ein Hochschulleiter die Zusammenarbeit zwischen Hochschule, Wirtschaft und Gesellschaft so frühzeitig zu intensivieren vermocht wie Universitätspräsident Theis. Bei seinen Gesprächen mit Repräsentanten von Gesellschaft und Wirtschaft, die er weit über die Region hinaus nahezu wöchentlich pflegte, ging es ihm immer vorrangig darum, um Verständnis für die Probleme und Belange der Universität zu werben, Rat zu holen und Rat zu geben.


Daraus sind nachhaltige Beziehungen entstanden, die sich auch im Kreis der Ehrensenatoren widerspiegeln. Herr Theis war zugleich der erfolgreichste und nie mehr erreichte Spendenwerber der Universität. Während seiner Amtszeit, vor allem durch seinen persönlichen Einsatz, wuchs die Mitgliedschaft im Universitätsbund auf über 2000.


Mit den Spenden konnten neben der Finanzierung von Austauschprogrammen, Publikationen und Sammlungen die Studiengebäude in Blaubeuren und Oberjoch erworben und ausgebaut werden.


Als Herr Theis auf seinen Wunsch 1995 die Universität verließ, um mit seiner Frau ein weiteres Lebenswerk im Dienste am Menschen zu schaffen, war er nicht nur der dienstälteste, sondern auch einer der angesehensten, mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichneten Hochschulleiter.


Dies ist zu einem erheblichen Teil seiner Führungskunst zuzuschreiben. Mit seinem für Außenstehende unvorstellbarem persönlichen Einsatz, jederzeitiger Ansprechbarkeit, mit seiner Bereitschaft zum Diskurs und zum Zuhören, mit Geduld und Gelassenheit, mit Gespür für den richtigen Augenblick, mit einer stupenden Kenntnis von Personen und Institutionen und mit Überzeugungskraft hat er die Geschicke der Universität 23 Jahre mit nachhaltiger Wirkung bis heute geprägt, den Grund für ihre heutige Geltung mit gelegt und dabei immer den Grundkonsens auch bei konfliktsträchtigen Entscheidungen zu wahren vermocht.


Die Universität hat ihm für seine Verdienste 1995 die Würde des Ehrensenators verliehen. Sie hat allen Grund, seiner in Respekt und Dankbarkeit bleibend zu gedenken.