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06.10.2016
Wie scheintote Bakterien wieder zum Leben erwachen
Wissenschaftler der Universität Tübingen entdecken, dass die Wiederbelebung der Zellen strikt genetisch reguliert wird
Viele Bakterien, darunter auch gefährliche Krankheitserreger, können ihren Stoffwechsel stark reduzieren und in ein Ruhestadium übergehen, um Zeiten zu überleben, in denen kein Wachstum möglich ist. Dormanz wird dieses Phänomen genannt, das zum Beispiel bei Nährstoffmangel eintritt. Erstmals ist es Professor Karl Forchhammer und Alexander Klotz vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam gelungen, den Aufwachprozess der Ruhestadien von Cyanobakterien zu analysieren. Sie stellten fest, dass die Wiederbelebung der Zellen einem strikten genetischen Ablaufplan folgt. Die Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht. Diese Ergebnisse geben Einblicke in ein bislang unbekanntes lebenserhaltendes Programm und lassen auch Rückschlüsse auf Prozesse der Zellalterung zu.
Die blaugrünen, fotosynthesetreibenden Cyanobakterien sind die älteste Bakteriengruppe auf der Erde, ihre Spuren gehen bis in die Zeit vor drei Milliarden Jahren zurück. Durch ihren Stoffwechsel haben sie die Atmosphäre mit Sauerstoff angereichert und dadurch Leben in seiner heutigen Form ermöglicht. Auch heute noch spielen sie eine wichtige Rolle in den Stoffkreisläufen der Natur. Wenn die zur Verfügung stehenden stickstoffhaltigen Nährstoffe verbraucht sind, stellen viele Cyanobakterien das Wachstum ein und bilden Ruhestadien. Dabei bauen sie den grünen Fotosyntheseapparat ab und bleichen aus. So können sie lange Perioden ohne Nährstoffversorgung überdauern. Erhalten sie aber eine verwertbare Stickstoffquelle, so kehren sie innerhalb von 48 Stunden in ihr normales Leben zurück. „Die Zellen sind nur scheintot. Wie aus dem Nichts kehren ihre Lebensfunktionen zurück“, beschreibt Karl Forchhammer das Aufwachen aus der Dormanz. Bisher war wenig darüber bekannt, was beim Wiedererwachen der Bakterienzellen passiert.
„In unseren Experimenten wurde das Wiederbelebungsprogramm fast augenblicklich nach Zugabe von Nitrat angestoßen“, sagt Forchhammer. „Es läuft hochorganisiert ab.“ In der ersten Phase unterdrückten die Bakterien alle noch verbleibenden Fotosyntheseaktivitäten und setzten stattdessen den Abbau von Reservestoffen in Gang, um schnell Energie zur Verfügung zu stellen. In klarer zeitlicher Abfolge erwachten die verschiedenen zellulären Prozesse. Zuerst wurden die Produktion der Protein-Synthesemaschinerie sowie die Stickstoffaufnahme und -verarbeitung angeschaltet. „Erst nach zwölf bis 16 Stunden wurde die Fotosynthese wieder angeworfen, nach 48 Stunden erreichte sie die volle Kapazität. Dann wachsen und teilen sich die Zellen auch wieder“, sagt Alexander Klotz, Doktorand im Graduiertenkolleg „Molekulare Prinzipien bakterieller Überlebensstrategien“, welches von Professor Forchhammer geleitet wird. Den Beobachtungen der Wissenschaftler zufolge sitzen wichtige Schaltknöpfe zum Steuern des Aufwachprogramms in Abschnitten von nicht-kodierender RNA. Das sind Kopien der Erbsubstanz DNA, die nicht in Proteine übersetzt werden; vielmehr haben sie Regulierungsfunktionen.
„Dieses genetisch kodierte Ruhe- und Wiederbelebungsprogramm ermöglicht den Cyanobakterien die Besiedlung von Lebensräumen, in denen sie immer wieder Stickstoffmangel ausgesetzt sind“, sagt Forchhammer. „Auch dadurch haben sie sich über mehr als zwei Milliarden Jahre der Evolution in ähnlicher Form erhalten.“ Das Phänomen der Dormanz finde sich auch bei vielen anderen Bakterien, vor allem wenn sie in Umgebungen mit Nährstoffknappheit leben. „Man kann die Dauerstadien der Bakterien als eine Art Samenbank ansehen, ein Reservoir an Zellen, die sich jederzeit schnell wieder ausbreiten können“, sagt der Wissenschaftler. „So können zum Beispiel Krankheitserreger aus der Dormanz erwachen und Infektionen auslösen.“ Die neuen Studienergebnisse hätten ein Prinzip aufgedeckt, das für viele Bakterien gilt. „Dies wird uns auch helfen, die Ausbreitung von gefährlichen Bakterien besser kontrollieren zu können.“
Cyanobakterien-Kulturen unter Stickstoffmangel im zeitlichen Verlauf: Die Kultur vor dem Stickstoffentzug (links), nach einigen Tagen (Mitte) und nach mehr als drei Wochen Stickstoffmangel (rechts). Foto: Alexander Klotz |
Publikation:
Alexander Klotz, Jens Georg, Lenka Bučinská, Satoru Watanabe, Viktoria Reimann, Witold Janus-zewski, Roman Sobotka, Dieter Jendrossek, Wolfgang R. Hess, Karl Forchhammer: Awakening of a dormant cyanobacterium. Resuscitation of chlorotic cells reveals a genetically determined program. Current Biology, DOI 10.1016/j.cub.2016.08.054
Kontakt:
Prof. Dr. Karl Forchhammer
Universität Tübingen
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