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30.08.2023
Abrupte Veränderungen der Nordatlantikumwälzung in der Vergangenheit beeinflussten globales Klimasystem
Tübinger Forschende beteiligt: Internationales Team verglich Daten zu Höhlen-Tropfsteinen weltweit mit Klimamodellierungen – Erkenntnisse helfen, natürliche Klimaschwankungen besser zu verstehen
Abrupte Klimaveränderungen haben sich in der Vergangenheit weltweit auf Niederschlagsmuster ausgewirkt, insbesondere in der tropischen Monsunregion, zeigt eine neue Studie. Professorin Kira Rehfeld und Postdoktorand Nils Weitzel vom Geo- und Umweltforschungszentrum der Universität Tübingen sind Teil eines internationalen Forschungsteams, das anhand von Daten aus Höhlen-Tropfsteinen und Klimamodellsimulationen die globalen Auswirkungen schneller Temperaturanstiege auf der Nordhalbkugel untersuchte. Der Vergleich von Stalagmiten- und Modelldaten zeigt in bisher nicht bekanntem Detail wie sich diese abrupten Veränderungen, und die damit verbundenen Änderungen der atlantischen Umwälzzirkulation, kurz AMOC, auf die weltweite atmosphärische Zirkulation ausgewirkt haben. Die Studie wurde im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences PNAS veröffentlicht.
Dansgaard-Oeschger-Ereignisse sind abrupte Temperatursprünge auf der Nordhalbkugel bei denen während der letzten Kaltzeiten die Temperaturen in Grönland bis zu 15 °C in wenigen Jahrzehnten anstiegen. „Diese Ereignisse sind der Archetyp für abrupte Klimaveränderungen, und ein besseres Verständnis dieser Klimaschwankungen ist entscheidend für eine zuverlässigere Einschätzung des Risikos und der möglichen Auswirkungen künftiger Kippereignisse im Klimasystem“, sagt Studien-Ko-Autor Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Technischen Universität München.
In der Studie untersuchte das Forschungsteam die SISAL-Datenbank, eine von mehr als 100 Forschenden weltweit kuratierte globale Sammlung von Höhlenmineralien. Tropfsteine dienen gewissermaßen als Klimaarchive, aus deren Kalzit-Matrix geochemisch Informationen zu Niederschlagsveränderungen gewonnen werden können. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die atmosphärische Zirkulation und die damit verbundenen Niederschlagsmuster als Folge der Dansgaard-Oeschger-Ereignisse weltweit drastisch und abrupt verändert haben“, sagt Erstautor Jens Fohlmeister, der zum Zeitpunkt der Untersuchung Wissenschaftler am PIK war. „Die Auswirkungen dieser abrupten Klimaveränderungen in der Vergangenheit waren weltweit zu spüren, am stärksten jedoch in den tropischen Monsungebieten.“
Die Studie verglich die räumlichen Muster und die Stärke der Veränderungen über die abrupten Klimaübergänge hinweg mit Informationen aus komplexen Klimamodellen und fand deutliche Ähnlichkeiten. Hier baue die Studie auf neuesten Entwicklungen in der Klimamodellentwicklung auf, stellen Ko-Autoren Kira Rehfeld und Nils Weitzel fest: „Lange Zeit wurden Klimamodelle nur daraufhin untersucht, ob sie die anthropogene Erwärmung reproduzierten, Klimaschwankungen standen wenig im Fokus. Die nationale wie internationale wissenschaftliche Gemeinschaft sind hier jedoch weitergekommen.”
Die Studie nahm 2019 auf einem internationalen Workshop ihren Anfang, bei dem HöhlenforscherInnen und KlimamodelliererInnen feststellten, dass die Datenlage für schnelle abrupte Übergänge in der letzten Kaltzeit noch nie so gut war wie heute. Rehfeld, damals Teilnehmerin, betont: „Zum einen ist mit Hilfe globaler Datensammlungen – wie der hier genutzten Tropfstein-Datenbank – zum ersten Mal die Untersuchung auch weit zurückliegender Klimaveränderungen an Land möglich.“ Stalagmiten könnten radiometrisch absolut datiert werden und wiesen damit wenige zeitliche Unsicherheiten auf. Zudem kämen sie auf allen Kontinenten außerhalb der Antarktis vor. Die Zusammenstellung veröffentlichter Daten sei somit eine wichtige Ergänzung zu polaren Eisbohrkern-Studien.
„Zur verbesserten Real-Datenlage kommt die Erkenntnis, dass Klimamodelle für eine Abschätzung zukünftiger Klimarisiken auch natürliche Schwankungen wiedergeben sollten, was internationale Klimamodellvergleiche und eben diese gemeinsamen Untersuchungen motiviert.” Daten-Modellvergleiche solcher Experimente konnten in der Studie genutzt werden – dabei stellte man fest, dass reale Daten und die globalen Klima-Modelle äußerst ähnliche Muster zeigten.
Bisher gibt es noch große Unsicherheitsspannen bei der Abschätzung von Veränderungen, beispielsweise der atlantischen Umwälzströmung (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC), trotz jahrelanger umfangreicher Forschung. „Die Studie zeigt, dass die gemeinsame systematische und sorgfältige Gegenüberstellung von Klimamodelldaten und Proxy-Indikatoren, mit der Berücksichtigung der jeweiligen Stärken und Schwächen, die Entschlüsselung vergangener schneller Klimaveränderungen möglich macht“, sagt Rehfeld.
Die Arbeit könne helfen, besser zu verstehen, welche Mechanismen zu abrupten Klimaübergängen führten und wie beispielsweise Meereis-Dynamik, Veränderungen der AMOC oder Höhenänderungen von polaren Eisschilden dazu beitrugen. „Dies ist ein wichtiger Beitrag, um mögliche Risiken durch nichtlineare Klimaübergänge in der Zukunft besser einzuschätzen.“
Nach einer Meldung des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
Aktuelle Publikation:
Jens Fohlmeister, Natasha Sekhon, Andrea Columbu, Guido Vettoretti, Nils Weitzel, Kira Rehfeld, Cristina Veiga-Pires, Maya Ben-Yami, Norbert Marwan, Niklas Boers: Global reorganization of atmospheric circulation during Dansgaard-Oeschger cycles. Proceedings of the National Academy of Sciences PNAS, https://doi.org/10.1073/pnas.2302283120
Weiterführende Informationen:
- SISAL-Datenbank - globale Sammlung von Höhlenmineralien:
Comas-Bru, L., Rehfeld, K., Roesch, C., Amirnezhad-Mozhdehi, S., Harrison, S. P., Atsawawaranunt, K., Ahmad, S. M., Brahim, Y. A., Baker, A., Bosomworth, M., Breitenbach, S. F. M., Burstyn, Y., Columbu, A., Deininger, M., Demény, A., Dixon, B., Fohlmeister, J., Hatvani, I. G., Hu, J., Kaushal, N., Kern, Z., Labuhn, I., Lechleitner, F. A., Lorrey, A., Martrat, B., Novello, V. F., Oster, J., Pérez-Mejías, C., Scholz, D., Scroxton, N., Sinha, N., Ward, B. M., Warken, S., Zhang, H., and SISAL Working Group members: SISALv2: a comprehensive speleothem isotope database with multiple age–depth models, Earth Syst. Sci. Data, 12, 2579–2606, https://doi.org/10.5194/essd-12-2579-2020, 2020. - Malmierca-Vallet, I., Sime, L. C., and the D–O community members (inc. K. Rehfeld and Nils Weitzel): Dansgaard–Oeschger events in climate models: review and baseline Marine Isotope Stage 3 (MIS3) protocol, Clim. Past, 19, 915–942, https://doi.org/10.5194/cp-19-915-2023, 2023.
Kontakt:
Prof. Dr. Kira Rehfeld
Universität Tübingen
kira.rehfeldspam prevention@uni-tuebingen.de
PIK Pressestelle
Telefon: +49 (0)331 288 2507
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