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22.01.2020
Einfach, effizient und motivierend: bei cabuu lernt man Vokabeln mit dem Finger
Spin-off-Gründer Dr. Christian Ebert hat eine neuartige App zum Vokabellernen entwickelt
Dr. Christian Ebert hat den Sprung aus der Wissenschaft in die freie Wirtschaft gewagt: seinen Job am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Tübingen hat er aufgegeben und ein Start-up-Unternehmen gegründet. Sein Produkt: eine App zum Vokabellernen, basierend auf seiner wissenschaftlichen Arbeit zum gestischen Lernen. Maximilian von Platen hat ihn interviewt.
Sie sind von Hause aus Mathematiker. Vor zwei Jahren haben Sie Ihren Job an der Universität aufgegeben und ein Start-Up für Sprachlernprogramme gegründet. Wie kam es dazu?
Bereits während meines Mathematik-Studiums an der Universität Heidelberg habe ich mich sehr für Computerlinguistik interessiert und in diesem Bereich am Kings College in London promoviert. Nach Zwischenstation in Bielefeld, bin ich 2009 Professor Dr. Gerhard Jäger an das Seminar für Sprachwissenschaft der Universität Tübingen gefolgt.
Dort habe ich 2013 angefangen, über Gesten und ihre Bedeutung für die Sprache zu forschen. Dabei bin ich auch auf die Lernmethode des sogenannten gestischen Lernens gestoßen. Dazu gab es bereits eine Reihe von Studien mit sehr beeindruckenden Ergebnissen, aber bislang sind diese noch gar nicht in die Sprachlernpraxis und den Schulalltag eingeflossen. Das wollte ich ändern und irgendwann ist in mir die Idee gereift, etwas zu entwickeln, das diese Lernmethode zum effektiven Vokabellernen nutzt.
Lernen mit Gesten – wie funktioniert das genau?
Gesten sind kommunikative Bewegungen der Hände und Arme. Als integraler Bestandteil des Sprechens und der Sprache können sie das Geäußerte spezifizieren, ergänzen oder vollständig ersetzen, eine Handlung, eine Eigenschaft oder einen Gegenstand verdeutlichen.
Studien zum gestischen Lernen zeigen, dass man besser und effektiver lernt, wenn man gleichzeitig eine Geste ausführt, denn dann werden im Gehirn mehr Areale und mehr Sinne aktiviert. Hören wir beispielsweise das Wort „Kicken“, löst das im Gehirn den Impuls aus, eine Kickbewegung auszulösen. Und zwar nur, weil ich das Wort kenne und eine bestimmte Bewegung damit assoziiere. Sprachverstehen hat also viel mit Erfahrung und Bewegung zu tun. Diese neuronale Verknüpfung zwischen Sprachverstehen und Bewegung nutzt man beim gestischen Lernen, die Vokabeln prägen sich dadurch schneller und nachhaltiger ein als beim klassischen Vokabellernen mit Karteikarten.
Auch der sogenannte Enactment-Effekt spielt dabei eine Rolle: Wenn ein Wort mit einer dazu passenden Bewegung gekoppelt wird, ich also beim Vokabellernen aktiv bin, präge ich mir die Vokabel besser ein, als wenn ich sie nur lese oder mir ein Bild anschaue.
Wie entwickelte sich aus der ersten Idee ein marktfähiges Produkt?
Um meine Hauptzielgruppe – Schülerinnen und Schüler – zu erreichen, hatte ich 2016 die entscheidende Idee: Ich wollte zum Vokabellernen nicht Gesten im „freien Raum“ verwenden, sondern Gesten runtergebrochen für mobile Endgeräte.
Im Sommersemester 2016 habe ich in einem Seminar mit Studierenden die gesamte Forschungsliteratur zum gestischen Lernen durchgeackert, Abschlussarbeiten zum Thema vergeben und mit den Planungen für eine Pilotstudie begonnen. Zunächst haben wir mit Wischgesten auf Papier getestet. Dann habe ich den Computerlinguisten und Programmierer Christopher Dilley als Hilfskraft eingestellt, meinen heutigen Geschäftspartner. Er hat den ersten Prototypen für unsere Vokabellern-App programmiert.
Da es noch keine eigenen Gesten und Animationen für die Vokabel-App gab, wurden in den Prototyp Clips aus der Fernsehserie „Die Simpsons“ als Animationen eingebaut. Auf diese Animationen hat Christopher Dilley Gesten gelegt und so programmiert, dass das Programm die Gesten erkennen kann.
Mit diesem Prototyp haben wir eine Pilotstudie mit ca. 14 Versuchspersonen durchgeführt. Einige Versuchsteilnehmer lernten Vokabeln auf mobilen Endgeräten mit Touchscreen und führten zu jedem Wort passende Fingergesten auf einer Animation aus. Eine Vergleichsgruppe lernte dagegen nur mit Text. Die Ergebnisse waren sehr positiv: die Merkleistung der Probanden, die mit Gesten lernten, waren wesentlich besser. Das war für uns der Durchbruch für die Ausgründung.
Als Designerin ist Lea Schumm zum Team gestoßen. Sie hat der App eine einfache Bedienung und ein ansprechendes Design verpasst. Und sie hat den Lernroboter Bo kreiert, der in der App die Geste ausführt und den User beim Lernen begleitet. Für über 3.000 Vokabeln haben wir inzwischen Animationen entwickelt und Grafiken entworfen.
Wie lief die Ausgründung ab?
Bei den Planungen für die Ausgründung war für Christopher Dilley, Lea Schumm und mich die Gründungsberatung der Universität Tübingen mit Dr. Rolf Hecker von der Abteilung Technologietransfer und Dr. Lukas Radwan eine große Unterstützung. Der damalige Gründungsberater Radwan hat unseren Antrag für ein Exist-Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie mehrfach für uns überarbeitet. Offizieller Antragsteller ist die Universität, Bestandteil des Antrags muss immer ein detailliertes Ideen-Papier, ähnlich einem Business-Plan, sein.
Im April 2017 haben wir den Zuschlag für das Stipendium erhalten und cabuu gegründet. Das Exist-Gründerstipendium fördert für maximal drei Gründer ein Jahr lang den Lebensunterhalt, hinzu kommen Sachmittel von bis zu 30.000 Euro. Außerdem gehört zum exist Gründungsstipendium die Betreuung durch einen Mentor der Universität. Diese Rolle hat für cabuu der Computerlinguist Professor Dr. Detmar Meurers vom Seminar für Sprachwissenschaft übernommen.
Seit August 2019 ist die App cabuu auf dem Markt und in den App-Stores für Android und Apple verfügbar. Sie wird sehr gut angenommen, im Zeitraum von September bis Dezember 2019 hatten wir bereits 133.000 Downloads.
Was unterscheidet cabuu von anderen Produkten?
Einfach, effizient und motivierend – das sind zusammengefasst die Vorteile der Vokabellern-App cabuu.
Das Lernen mit cabuu ist effizienter als andere Vokabellern-Methoden, denn wir sind die ersten und einzigen, die die wissenschaftlich bewiesene Methodik des gestischen Lernens für mobile Endgeräte umgesetzt haben. Unser multisensorischer Ansatz verbindet Text, Bilder, Animationen, Gesten und Audio.
Durch den kleinen Roboter Bo mit Bewegungen und Animationen in der App ist das Lernen gleichzeitig deutlich motivierender, die Schüler bleiben länger und nachhaltiger beim Lernen. Weiteres Kennzeichnen von cabuu ist die einfache Bedienung.
In die App ist ein selbstlernender adaptiver Lernplan integriert. Er basiert auf einem Algorithmus aus der Computerlinguistik, den Christopher Dilley in seiner Bachelorarbeit ausgetestet hat. Die App weiß dadurch, wann welche Vokabeln wiederholt werden müssen. Dies ermöglicht es den Nutzern auch, einen persönlichen Lernplan aufzustellen.
Ein besonderes Feature in der App ist die Scan-Funktion: Vokabellisten können mit der Handykamera abfotografiert und dann direkt mit in die App aufgenommen werden. Für dieses Feature haben wir ein Patent angemeldet.
Wie geht es weiter?
Im Januar sind wir zu Gast auf der Learntec in Karlsruhe, im März auf der didacta in Stuttgart. Im nächsten halben Jahr wollen wir die App weiter verbessern und dabei auch das Feedback unserer Nutzer berücksichtigen. In Kürze folgt Französisch als zweite Sprache, Latein ist in der Vorbereitung. Daneben sind wir auf der Suche nach einem Investor, mit dessen Unterstützung wir die Weiterentwicklung von cabuu finanzieren können.
Vokabel-App cabuu
Die Vokabel-App cabuu ist seit September 2019 sowohl im Google Play Store für Android-Endgeräte als auch im Apple-Store zum Download verfügbar.
Neben dem Jahresabo für 48 Euro ist jeweils auch eine kostenlose Testversion erhältlich.
Momentan kann man mit der App Englisch lernen, Französisch und Latein folgen in Kürze.
Die App wurde von der Gesellschaft für Pädagogik, Information und Medien e.V. mit dem Comenius-EduMedia-Award Siegel für herausragende digitale Bildungsmedien ausgezeichnet.
Gründungsförderung an der Universität Tübingen
Universität Tübingen
Technologietransfer und Start-ups
Sandra Gässler
Keplerstr. 2
72074 Tübingen
+ 49 7071 29-75012
+ 49 7071 29-35310
sandra.gaesslerspam prevention@uni-tuebingen.de