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26.10.2018
Ergänzungsmethode zu Tierversuchen: Tübinger Forscher ausgezeichnet
Niklas Schwarz erhält Förderpreis „Ersatz und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch“ des Landes Baden-Württemberg – das von ihm entwickelte Verfahren erweitert Methodenspektrum in der Hirnforschung
Für die Entwicklung eines Verfahrens, dass die Untersuchung menschliches Hirngewebe über mehrere Wochen in der Petrischale ermöglicht, erhält Dr. Niklas Schwarz vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, sowie der Universität und dem Universitätsklinikum Tübingen den Förderpreis „Ersatz und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch“ des Landes Baden-Württemberg. Mit der neuen Methode lassen sich einige Fragen nun direkt an menschlichen Hirngeweben klären, wofür bislang Tierexperimente nötig waren. So kann etwa in der Petrischale getestet werden, welche Wirkung neue Arzneistoffe auf menschliches Hirngewebe haben. Mittlerweile nutzen mehrere Labore weltweit erfolgreich das Tübinger Verfahren, das vor einem Jahr in der Fachpresse vorgestellt wurde. Die Preisverleihung fand am 25. Oktober 2018 im Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Stuttgart statt. Das Preisgeld in Höhe von 25.000 Euro wird Schwarz für zukünftige Studien nutzen.
„Ich freue mich sehr über die Anerkennung unserer Forschung “, sagt Preisträger Schwarz. Gemeinsam mit Kollegen war es ihm erstmals gelungen, menschliche Gehirnschnitte über mehrere Wochen in der Petrischale am Leben zu halten. Dies war möglich, weil sie anstatt der standardisierten Nährlösung Hirnwasser nutzen, das sie von Patienten gewannen. „Das menschliche Gehirn scheint sehr geringe Toleranzgrenzen für die Kultivierung außerhalb des menschlichen Körpers zu haben“, erläutert Schwarz. „In der Standardnährlösung stirbt menschliches Gewebe im Gegensatz zu Tiergewebe schnell ab, weshalb meist auf Tierversuche zurückgegriffen wird.“ Wenn es in seiner natürlichen Umgebung – dem Hirnwasser – aufbewahrt wird, sind die Zellen auch nach drei Wochen anatomisch gut erhalten und funktionsfähig, so seine Erkenntnis.
Mit dem Verfahren lassen sich neben der Verträglichkeit von Arzneimitteln nun auch Erbgutveränderungen direkt an menschlichen Gehirnschnitten erforschen, die mit Erkrankungen des menschlichen Nervensystems assoziiert sind. „Wichtig ist: Wir nutzen ausschließlich Gewebe, das im Rahmen von notwenigen Hirnoperationen entfernt wird – etwa, um einen Tumor zu beseitigen. Die Patienten müssen zudem im Vorfeld der wissenschaftlichen Verwendung zugestimmt haben“, betont sein Kollege Dr. Henner Koch.
Das von den Tübinger Hirnforschern entwickelte Verfahren ergänzt die zur Verfügung stehenden Methoden, um das Gehirn zu untersuchen. Ihre Methode kann dabei helfen, künftig die Anzahl von Versuchstieren in der Forschung zu reduzieren – vollständig Tierversuche ersetzen wird sie jedoch nicht. „Untersuchungen an Tiergewebe lassen sich nicht immer zu hundert Prozent übertragen – mit entsprechenden Restrisiken für freiwillige Probanden von Medikamentenstudien“, sagt Schwarz. „Jede Frage erfordert jedoch ihre eigene Methode, um Antwort zu finden. Manche Erkenntnisse lassen sich nur im intakten Organismus gewinnen – und hierbei sind wir auch auf Tierversuche angewiesen.“
Originalpublikation
Schwarz et al., (2017): Human Cerebrospinal fluid promotes long-term neuronal viability and network function in human neocortical organotypic brain slice cultures. Scientific reports, 7, 12249
DOI: 10.1038/s41598-017-12527-9
Pressemeldung zur Originalpublikation (19.10.2017)
Pressekontakt:
Dr. Mareike Kardinal
Leitung Kommunikation
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Otfried-Müller-Str. 27
72076 Tübingen
Tel: 07071 29-8 88 00
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Mail: mareike.kardinal@medizin.uni-tuebingen.de