Aktuell
17.09.2021
Ein indischer Fischotter in Deutschland
Neue Otterart in der Hammerschmiede entdeckt: Neptuns Vishnu-Otter kam vor 11,4 Millionen Jahren aus Südasien
Forscher der Universitäten Tübingen und Zaragoza sind auf eine bislang unbekannte Otterart aus 11,4 Millionen Jahre alten Schichten der Fossilfundstelle Hammerschmiede gestoßen. Die Grabungsstelle im Allgäu wurde 2019 durch Funde des sich zweibeinig fortbewegenden Menschenaffen Danuvius guggenmosi weltweit bekannt. Die im Journal of Vertebrate Palaeontology veröffentlichte neue Art erhielt den Namen Vishnuonyx neptuni, was so viel bedeutet wie Neptuns Vishnu-Otter. Die Gattung der Vishnu-Otter war bisher nur aus Asien und Afrika bekannt.
Das Forschungsteam gräbt in der Hammerschmiede unter Leitung von Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen. Es konnte bereits über 130 verschiedene Arten ausgestorbener Wirbeltiere aus Flussablagerungen bergen, die der Ur-Günz zugeschrieben werden. Viele dieser Arten sind an das Leben am und im Wasser angepasst. Der Nachweis eines Vishnu-Otters in Bayern kam jedoch unerwartet, denn dessen Vertreter kannte man bisher nur aus Regionen außerhalb Europas.
Die Ausbreitung der Vishnu-Otter
Jede sechste Art heutiger Raubtiere lebt aquatisch, entweder in den Meeren wie beispielsweise Robben oder im Süßwasser wie beispielsweise die Otter. Dabei ist die Evolutionsgeschichte der insgesamt 13 heute vorkommenden Otterarten noch vergleichsweise unerforscht. Vishnu-Otter (Vishnuonyx) sind Raubtiere von mittlerer Größe und einem Gewicht von zehn bis 15 Kilogramm, die zuerst aus Sedimenten am Fuße des Himalayas bekannt waren. Sie lebten vor 14 bis 12,5 Millionen Jahren in den großen Flüssen Südasiens.
Jüngere Funde zeigten, dass Vishnu-Otter vor etwa 12 Millionen Jahren Ostafrika erreichten. Durch den Fund in den nun 11,4 Millionen Jahre alten Schichten der Hammerschmiede ist erstmals nachgewiesen, dass sie auch in Europa auftraten – möglicherweise breiteten sie sich von Indien in die gesamte Alte Welt aus. Wie alle Otter ist auch der Vishnu-Otter auf Wasser angewiesen, über Land kann er keine weiten Strecken zurücklegen. Seine enorme Ausbreitung von mehr als 6.000 Kilometern über drei Kontinente hinweg wurde durch die geografische Situation vor 12 Millionen Jahren möglich: Durch Gebirgsbildungen von den Alpen im Westen bis zum iranischen Elbrus-Gebirge im Osten wurde ein großes Meeresbecken vom Tethys-Ozean, dem Vorläufer von Mittelmeer und Indischem Ozean, abgetrennt.
Es bildete sich dadurch die Paratethys, eine riesige eurasische Wasserfläche, die sich von Wien bis jenseits des heutigen Aralsees in Kasachstan erstreckte. Diese besaß vor 12 Millionen Jahren nur eine schmale Verbindung zum Indischen Ozean, die sogenannte Araks-Straße im Gebiet des heutigen Armenien. Die Forscher vermuten, dass Neptuns Vishnu-Otter dieser Verbindung nach Westen folgte und westlich der heutigen Stadt Wien, über das damals im Entstehen begriffene Delta der Ur-Donau, Süddeutschland, die Ur-Günz und die Hammerschmiede erreichte.
Die Zähne der Fischräuber
Am kürzlich gegründeten Zentrum für Visualisierung, Digitalisierung und Replikation im Fachbereich Geowissenschaften der Universität Tübingen haben die Forscher mittels computertomografischer Methoden feinste Details in der Zahnstruktur der Fossilien sichtbar gemacht. Diese Technik ermöglichte die genaue Beobachtung von sehr kleinen Strukturen im Gebiss des Otters. Die spitzen Höcker, die Scherblätter und die eingeschränkten Mahlbereiche lassen auf eine Ernährung schließen, die hauptsächlich auf Fisch basierte. Ökologisch betrachtet ähnelt demnach Neptuns Vishnu-Otter stärker dem in Eurasien heimischen Fischotter als dem pazifischen Seeotter oder den afrikanischen und asiatischen Fingerottern – beide genannten Gruppen bevorzugen im Ernährungsspektrum Krusten- oder Schalentiere vor Fisch.
Publikation:
Nikolaos Kargopoulos, Alberto Valenciano, Panagiotis Kampouridis, Thomas Lechner, Madelaine Böhme: An otter’s journey: a new species of Vishnuonyx (Carnivora, Lutrinae) from the hominid locality of Hammerschmiede (early Late Miocene; Bavaria, Germany) and the first report of the genus in Europe. Journal of Vertebrate Palaeontology, https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/02724634.2021.1948858
https://doi.org/10.1080/02724634.2021.1948858
Kontakt:
MSc. Nikolaos Kargopoulos
Universität Tübingen
Telefon +30 69 80 17 01 72
nikoskargopoulosspam prevention@gmail.com
Professor Dr. Madelaine Böhme
Universität Tübingen
Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment
Telefon +49 7071 29-73191
m.boehmespam prevention@ifg.uni-tuebingen.de
Pressekontakt:
Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung
Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
Telefax +49 7071 29-5566
janna.eberhardtspam prevention@uni-tuebingen.de
www.uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Stabsstelle Kommunikation
Dr. Sören Dürr
Leitung
Judith Jördens
Telefon +49 69 7542 1434
judith.joerdensspam prevention@senckenberg.de
pressestellespam prevention@senckenberg.de