Am 2. März 2004 startete die Raumsonde Rosetta ihre zehnjährige Reise zum Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko an. Am 12. November 2014 trennte sich das Landegerät Philae vom Mutterschiff Rosetta, um auf dem Kometen aufzusetzen.
Auch zwei Entwicklungen aus dem Institut für Organische Chemie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen sind als Teil der Rosetta-Mission in 510 Millionen Kilometer Entfernung und nach zehnjähriger Reise auf dem Kometen Tschuri gelandet. Dabei geht es um den Nachweis von extraterrestrischer Signatur von Leben, also die Frage, ob es in der Evolution außerhalb der Erde Leben gegeben hat. Dazu müssen möglicherweise auf dem Kometen vorhandene Aminosäuren in die D- und L-Spiegelbilder getrennt werden. Denn nur letztere sind für die Evolution maßgeblich, sagt Volker Schurig, emeritierter Professor für Organische Chemie und Trennverfahren der Universität Tübingen.
Aminosäuren sind Bausteine von Proteinen, und diese Moleküle zeigen das Phänomen der so genannten Händigkeit oder Chiralität (von griech: cheir = Hand), da sie als nicht-deckungsgleiche Spiegelbilder in der L-Form (laevo = links) und D-Form (dextro = rechts) vorkommen. Auf der Erde ist Leben ausschließlich an L-Aminosäuren gebunden, ganz gleich ob es sich um Bakterien, Pflanzen, Tiere oder dem Menschen handelt. Bis heute ist nicht bekannt, wie die Bevorzugung des Bildes vor dem Spiegelbild auf der Erde zustande kam und warum L-Aminosäuren und D-Zucker ausgewählt wurden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die chirale Information aus dem Weltall stammt, zumal in Meteoriten auch Aminosäuren in der angereicherten L-Form gefunden wurden und eine terrestrische Kontamination durch das spezifische Isotopenmuster ausgeschlossen werden konnte.
Zum Nachweis von L-Aminosäuren müssen diese von den energiegleichen D-Molekülen, auch als Enantiomere bezeichnet, getrennt werden. Die Technologie für diese Trennung wurde 1966 am Weizmann Institute of Science in Israel von Emanuel Gil-Av und anderen Wissenschaftlern in einer gaschromatographischen Anordnung verwirklicht: Eine Trennsäule, die eine L-Aminosäure enthält, wird durch ein Gas durchströmt, in dem sich die zu trennende L-D-Mischung befindet. Die unterschiedlichen Kombinationen von LL und DL bewirken dabei eine Trennung der Spiegelbilder (Enantiomere). Nach einem Postdoktorandenaufenthalt von Volker Schurig in Israel 1969-71 wurde dieses Prinzip am Institut für Organische Chemie der Universität Tübingen in zwei Arbeitskreisen zur Marktreife weiter entwickelt und diese chiralen Trennsäulen wurden kommerzialisiert. Heute sind sie weltweit im Einsatz in der Aroma- und Riechstoffanalytik, für Insektenlockstoffe, sowie zur Unterscheidung von chiralen Pharmazeutika und Pflanzenschutzmitteln. Fast immer haben Enantiomere unterschiedliche biochemische Wirkungsmuster. Als chirale stationäre Trennphasen auf Polysiloxanbasis wurden an der Universität Tübingen Chirasil-L-Val (Hartmut Frank, Graeme Nicholson und Ernst Bayer) und Chirasil-D-Dex (Volker Schurig und Mitarbeiter) entwickelt.
Kapillarsäulen, die mit den Trennphasen Chirasil-L-Val beziehungsweise Chirasil-D-Dex belegt sind, sind Teil des Chiralitätsexperiments der vor zehn Jahren gestarteten Rosetta-Mission. Chirasil-Dex wurde als einzige chirale Trennphase auch für die kommende Exo-Mars-Mission 2018 der European Space Agency (ESA) ausgewählt.
Inwieweit das Experiment in 510 Millionen Kilometern Entfernung gelingt, ist offen, zumal die Analytik eine Probenvorbereitung, Überführung in flüchtige Abkömmlinge, D-L-Trennung und Detektion verlangen. Und die Durchführung aller dieser Schritte im Labor ist selbst auf der Erde eine äußerst schwierige Aufgabe.
Immerhin: Kurz bevor die Primärbatterie des Landers Philae aufgebraucht war, konnte mit dem COSAC Gerät an Bord ein Gaschromatogramm aufgenommen werden, bei dem die Tübinger Chirasil-Dex Phase eingesetzt wurde. Bereits kurz darauf wurden die Daten an das Kontrollzentrum Köln beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) übermittelt, sie werden jetzt intensiv ausgewertet. Vielleicht können sie sogar dazu beitragen, mehr über die Entstehung des Lebens auf der Erde zu erfahren.