Uni-Tübingen

Schubert-Experte und Mensch klarer Worte

Zum Tod von Professor Dr. Arnold Feil ein Nachruf von Thomas Schipperges

Am 30. März 2019 verstarb der Musikwissenschaftler Professor Dr. Arnold Feil im Alter von 93 Jahren.

Mögen auch Arnold Feils Schriften zu Franz Schubert deutlicher das Profil eigener Forschungen tragen, so hebt sich von seinen Büchern doch eines als besonders einprägsam und geistreich hervor: Metzlers Musik Chronik, erschienen 1993, in zweiter, erweiterter Auflage 2005. Feils Ansatz der Musikgeschichtsdarstellung überzeugt als Methode, weil es ein so einfacher wie verblüffender Ansatz ist: der uralte Ansatz der Chronik. Wir lernen und lehren Geschichte ja als Durchdringen, Folgern, Schlüsse ziehen. Feil stellt hier Ereignisse erst einmal in chronologischer Ordnung nebeneinander. Und derart – im Wortsinne – unvermittelt entsteht ein Bild von Musikgeschichte, das man sich sonst gar nicht mehr zutraut, ein "wie es eigentlich gewesen" ist. Feils Musik Chronik ist damit ein ungemein anspruchsvolles Buch. Denn natürlich erfordert jedes Geschichte denken und geschichtliches Denken überhaupt, bei aller angestrebten Objektivität, ein Entwickeln und Verbinden, ein Deduzieren und Eliminieren. Feils Buch gibt hierzu den Faden vor und ermutigt im chronischen Fließen der Zeiten zu eigenem Zupacken oder auch Innehalten. 

Arnold Feil war selbst ein Mensch und Wissenschaftler mit stets zupackend eigener Meinung, liebenswürdig, aber ohne inhaltlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Ein Beispiel ist die Auseinandersetzung des jungen Feil mit dem renommierten Edward Lowinsky, Professor an der Universität Chicago, des Jahres 1967. Es ging um die Würde eines Doktor honoris causa für Lowinskys Heidelberger Lehrer Heinrich Besseler, der sich früh zu einem der originellsten und findigsten Musikhistoriker entwickelt hatte und dann dem Denken und Treiben der Nazis anschloss. "Einem solchen Mann", schrieb Feil als Tübingen Privatdozent nach Chicago, "verleihen Sie die Ehrendoktorwürde? Das verstehe ich nicht". Und auf den apologetischen Reflex des Emigranten Lowinsky mit Verweis auf den gerade noch ermöglichten Promotionsabschluss 1933 legte Feil nach: "Ich klage ja nicht Heinrich Besseler an … sondern Sie! Sie denken an Ihren verehrten Lehrer, an einen Mann, der Ihnen in entscheidender Situation geholfen hat, an einen bedeutenden Gelehrten – ich denke daran, dass dieser bedeutende Gelehrte seinen gewichtigen Namen denen zur Verfügung gestellt hat, die Deutschland in den Abgrund gestürzt, die Welt in Brand gesteckt, Millionen Menschen ermordet haben." Und weiter: "Auf die Frage von uns Jungen nach Schuld und Sühne kann er antworten: Herr Lowinsky hat mich freigesprochen!" 

Das klare Wort und den öffnenden Austausch hat sich Arnold Feil Zeit seines Lebens bewahrt, auch den offenen Blick über gedankliche Positionen, disziplinäre Sektionen oder geographische Regionen hinweg. Zumal ins osteuropäische Ausland pflegte er Kontakte, nicht zuletzt als Korrespondierendes Mitglied der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und der Künste zu Ljubljana. Aufgewachsen ist Feil als Kurpfälzer: geboren in Mannheim, die Schulzeit in Ludwigshafen, das Studium in Heidelberg. Zu seinen Fächern gehörten Praxis und Wissenschaft: Klavier und Dirigieren, Musikwissenschaft, Mittellateinische Philologie, Geschichte, Philosophie und Kunstgeschichte. 1954 wurde er an der Heidelberger Universität mit der Arbeit Satztechnische Fragen in den Kompositionslehren von Niedt, Riepel und Koch promoviert. Anschließend wirkte er in so unterschiedlichen Institutionen wie dem städtischen Kulturamt Ludwigshafen, der Fachhochschule für Bibliothekswesen und den Universitäten Stuttgart und Heidelberg. 1959 folgte er Walter Gerstenberg, der von Tübingen zunächst nach Heidelberg und dann rasch wieder nach Tübingen wechselte, vom oberen an den unteren Neckar.

In Tübingen lehrte er als Institutsassistent die Wissenschaft und leitete zugleich das Collegium musicum instrumentale, solange, bis mit den Weggefährten Wilfried Fischer und nachfolgend Alexander Šumski die Stelle des Universitätsmusikdirektors neu belebt wurde. 1965 habilitiert, nahm Feil, inzwischen außerplanmäßiger Professor der Tübinger Universität, 1977 einen Ruf als ordentlicher Professor für Musikwissenschaft an die Musikhochschule Hannover an. Dem kurzen Zwischenspiel folgte die dauerhafte Rückkehr: Von 1979 an bis zu seinem Ruhestand wirkte Feil als Professor für Musikwissenschaft in Tübingen. Innerhalb der universitären Selbstverwaltung engagierte er sich im Fakultätsrat und Senat, außerhalb der Universität beim "Tübinger Kammermusikkreis" oder dem musikalischen Kabarett "Tübinger Harmonium Comedists" – und im Rahmen der Wissenschaft vor allem für Franz Schubert. Studien zu Schuberts Rhythmik galt die Habilitation. An der durch Walter Gerstenberg angestoßenen Neuen Schubert-Ausgabe beteiligte er sich seit dem Anfangsjahr 1965. Zusammen mit Walther Dürr und Christa Landon wirkte er als Editionsleiter und edierte selbst zahlreiche Bände. Den Liederzyklen widmete er eine selbständige Monographie. Der Schubert-Gesellschaft stand Feil von 1978 bis 1990 als Präsident vor. Der Deutschen Schubert-Gesellschaft war er im Kuratorium und später im Ehrenpräsidium verbunden. 

Vor wenigen Wochen erst erschien der Band mit kleinen Schriften Arnold Feils Über Musik als Wirklichkeit (hrsg. von Jörg Büchler, Wilhelmshaven 2019), an dem er sich noch intensiv selbst beteiligte. Der Titel weist auf einen Begriff, der für Feils ganzes Forscherleben zentral war. Ausgangspunkt bleibt stets der musikalische Text. Oder wie es George Steiner für die literarische Lyrik formulierte: "Das Gedicht kommt vor seiner Auslegung. Das Gedicht ist, der Kommentar bedeutet". Auch Musik ist. Und nur als ein als System eigenen Rechts ist Musik Wirklichkeit.