Elisabeth Kreidt betreibt chemische Grundlagenforschung. In ihrer Dissertation entwickelte sie ein Konzept und Bausteine für molekulare Nanocodes, die schnell und einfach ausgewertet werden können. Für ihre von Professor Michael Seitz am Institut für Anorganische Chemie der Universität Tübingen betreute Arbeit wurde sie für den Deutschen Studienpreis 2019 der Körber-Stiftung nominiert.
Die Speicherung und Verarbeitung immer größerer Mengen von Daten ist eine der zentralen Herausforderungen für die heutige Forschung. Klassische Medien zur Handhabung von Informationen wie etwa Mikrochips oder Festplatten wurden seit ihrer Etablierung immer kleiner und zugleich leistungsfähiger, inzwischen stoßen sie jedoch an ihre physikalischen Grenzen. Bei der Suche nach alternativen Speichermöglichkeiten hat Elisabeth Kreidt Bausteine für molekulare Nanocodes designt, die sich für die Datensicherung in Miniaturform eignen.
Kreidts Ausgangsüberlegung war, dass es die langfristige Speicherung von Informationen auf molekularer Ebene schon sehr lange in der Natur gibt, nämlich in der DNA und der RNA. Allerdings sind die Labormethoden, die so gespeicherten Informationen technologisch auszulesen, sehr aufwendig und langsam. Deswegen hat Kreidt nach alternativen Möglichkeiten gesucht, in Molekülen gespeicherte Informationen einfach und schnell auszulesen. Orientiert hat sie sich dabei an makroskopischen Identifikationscodes wie dem Barcode in Supermärkten oder QR-Codes für Mobiltelefone. Ihre Idee: lumineszente molekulare Nanocodes.
Die Anforderung an ihre Nanocodes formulierte die Chemikerin so: sie müssen schnell, einfach und zuverlässig ausgelesen werden können. Als Technik zum Auslesen verwendete sie für ihren Ansatz die Lumineszenzspektroskopie, weil diese im Gegensatz zur DNA-Sequenzierung die formulierten Anforderungen erfüllen kann. Die Lumineszenzspektroskopie wird in der Medizin bereits bei Multiplexing-Analysen genutzt, bei denen verschiedene Substanzen und ihre Konzentration bestimmt werden sollen.
Damit Elisabeth Kreidts Konzept der molekularen Barcodes funktionieren kann, müssen bereits die einzelnen Bausteine des Nanocodes gut mit der Lumineszenzspektroskopie identifizierbar sein. Bestimmte Lumineszenzfarbstoffe bringen genau diese Eigenschaften mit: die sogenannten Koordinationsverbindungen von Lathanoiden. Die Konzentration der Farbstoffe lässt sich bei der Spektroskopie durch Bestrahlung genau bestimmen. Die Lathanoide gehören zur Gruppe der Seltenen Erden und finden Verwendung für verschiedenste High-Tech Anwendungen, zum Beispiel in Supermagneten oder als Farbstoffe in modernen Displays. Ihre Koordinationsverbindungen bestehen aus einem Ion dieser Metalle sowie einem organischen Liganden, der das Lanthanoid umgibt.
Die zweite Voraussetzung für molekulare Barcodes ist, dass die Verknüpfung der Bausteine als Polymere stabil sein muss, d.h. auch die Reihenfolge darf sich nicht ändern. Um das zu erreichen, hat Kreidt für ihre Arbeit die Festphasen-Peptidsynthese verwendet – eine etablierte Technik, um Bausteine aus Aminosäuren sicher und zuverlässig miteinander zu verknüpfen.
An dieser Stelle trat bei Kreidts Versuchen ein Problem auf: „Die Lathanoid-Koordinationsverbindungen lassen sich dank ihrer Lumineszenz sehr gut auslesen, gleichzeitig sind sie aber anfällig für Zersetzungsprozesse, etwa unter physiologischen Bedingungen und insbesondere auch bei der Festphasen-Peptidsynthese“, erläutert Kreidt. „Eine besondere Art von Koordinationsverbindungen der Lanthanoide sind aber stabil genug, um sich bei der Festphasen-Peptidsynthese nicht zu zersetzen: Die Lanthanoid-Cryptate. Diese besitzen Liganden, die in der Lage sind, das Lanthanoid wie ein Käfig zu umschließen und festzuhalten.“
Die weitere Anforderung für die Herstellung der Bausteine der molekularer Nanocodes ist die Verknüpfbarkeit der Lanthanoide, beziehungsweise ihrer Liganden, mit einer Aminosäure. Aber die bis dato verfügbaren Lathanoid-Cryptate besitzen genau diese Möglichkeit nicht, sie sind chemisch „glatt“ und ließen sich auch nicht nachträglich im Labor entsprechend modifizieren. Kreidt musste daher bereits bei der Herstellung der Liganden der Lathanoid-Cryptate, Cryptanden genannt, ansetzen, um diese Funktionalität – die Verknüpfbarkeit mit anderen Molekülen – zu erreichen. Weitere Versuche ergaben, dass die Aminosäure Lysin an den modifizierten Liganden der Cryptate gebunden werden kann und so die Darstellung der gewünschten Bausteine ermöglicht.
Zusammengefasst müssen die Bausteine für molekulare Barcodes folgende Bedingungen erfüllen:
Nach vielen Versuchen im Labor und Überarbeitungen ihres Konzepts ist der Chemikerin der Proof-of-Principle für ihren Ansatz gelungen: sie konnte für ihre Dissertation einen ersten Barcode mit den drei Aminosäure-Bausteinen mit den Lanthanoiden Europium, Samarium und Terbium herstellen. „Jeder Baustein des molekularen Barcodes hat gewissermaßen eine Farbe, die mit Hilfe der Lumineszenzspektroskopie identifiziert werden kann. Diese sind beliebig kombinierbar. Durch die Kombination der Farbstoffe lassen sich verschiedene Informationen kodieren“, erläutert Elisabeth Kreidt das Prinzip. Das kann zum Beispiel für die Herstellung molekularer Barcodes genutzt werden, grundsätzlich ist auch eine molekulare Speicherung größerer Datenmengen denkbar. Die Nutzung mehrerer verschiedener Lanthanoide und auch die Einbeziehung weiterer analytischer Verfahren bietet die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit dieser Datenspeicherung zu erweitern.
Ein großer Vorteil der molekularen Barcodes ist, dass sie nicht ohne weiteres von dem damit gekennzeichneten Material isoliert werden können. Das ist beispielsweise interessant, um Medikamente gegen Fälschungen zu kennzeichnen oder um biomedizinische Proben zu markieren bzw. in ihnen Patientendaten zu speichern – eine entsprechende Genehmigung vorausgesetzt.
Maximilian von Platen