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07.03.2016

Elektronische Fußfessel nur sparsam einsetzen

Tübinger Kriminologen erforschen im Auftrag des Bundesjustizministeriums die Anwendung elektronischer Fußfesseln und raten von Ausweitung ab

Kriminologen der Universität Tübingen sprechen sich dagegen aus, den Einsatz der elektronischen Fußfessel auszuweiten. Dieses Instrument bedeute einen erheblichen Aufwand für die beteiligten Behörden und greife zudem tief in die Grundrechte der Betroffenen ein, ziehen die Wissenschaftler in einer Studie Bilanz. Gleichzeitig sei bisher nicht nachgewiesen, inwieweit die elektronische Überwachung tatsächlich von neuen Straftaten abhalte. Es gebe jedoch durchaus sinnvolle Anwendungsbereiche. In der bundesweiten Studie hatten die Forscher im Auftrag des Bundesjustizministeriums den Gebrauch von elektronischen Fußfesseln bei gefährlichen Straftätern im Anschluss an den Straf- oder Maßregelvollzug erhoben und dessen Auswirkungen analysiert. Dafür sichteten sie Akten und führten Umfragen und Interviews mit Mitarbeitern von Polizei und Bewährungshilfe sowie mit Richtern und Betroffenen durch.

Etwa 75 Personen werden in Deutschland derzeit rund um die Uhr elektronisch überwacht: Die „elektronische Aufenthaltsüberwachung“ (EAÜ), besser bekannt als „elektronische Fußfessel“, wurde 2011 in das deutsche Recht eingeführt. Hintergrund war die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Sachen Sicherungsverwahrung. Mit der Fußfessel sollten vor allem ehemalige Sicherungsverwahrte überwacht werden, die in Freiheit entlassen werden mussten, aber immer noch als gefährlich galten.

„In der Praxis werden mit diesem Instrument heute allerdings weniger ehemalige Sicherungsverwahrte, sondern vor allem Personen überwacht, die eine längere Gefängnisstrafe voll verbüßt haben”, erklärt Professor Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie und Leiter der Studie. Derzeit handle es sich dabei ausschließlich um Straftäter, die Sexual- oder Gewaltdelikte begangen hätten und meist erheblich vorbestraft seien.

Ein am Fußgelenk befestigter GPS-Empfänger mit Mobilfunkeinheit sendet den Aufenthaltsort des Verurteilten an eine zentrale Überwachungsstelle in Hessen. „Diese Technik funktioniert im Prinzip gut, auch wenn immer wieder Schwierigkeiten bei der Akku-Laufzeit der Geräte festzustellen sind”, berichtet Anne Bräuchle, hauptverantwortliche Mitarbeiterin der Studie.

Verstößt ein Proband gegen die Weisung, seine Fußfessel zu tragen und regelmäßig aufzuladen, droht ihm schlimmstenfalls eine erneute Freiheitsstrafe. In einer umfassenden Aktenanalyse konnten die Tübinger Forscher feststellen, dass die Mehrheit der Verurteilten sich an diese Weisung hält. Daneben gab es einige wenige Personen, die durch Verstöße auffällig wurden: So wies ein einzelner Proband immerhin 39 solcher Verstöße auf. Bei dem Großteil der Verurteilten (72 Prozent) wurde durch die Fußfessel auch ein Gebiet überwacht, in dem sie sich aufhalten mussten („Gebotszone“) oder das sie nicht betreten durften („Verbotszone“). „Insbesondere wenn dadurch eine Person, etwa ein früheres Opfer, geschützt werden kann, erscheint eine per Fußfessel überwachte Verbotszone sinnvoll“, sagt Bräuchle. Unklar sei allerdings, inwieweit die allein mit dem Tragen der Fußfessel verbundene erhöhte Entdeckungsmöglichkeit einen Entlassenen konkret von weiteren Straftaten abhalte.

Sicher ist hingegen: Die EAÜ bedeutet einen erheblichen Aufwand für die beteiligten Behörden, insbesondere die Bewährungshilfe und die Führungsaufsichtsstellen, so die Wissenschaftler. Das liege unter anderem an vielen eingehenden Alarmmeldungen, die dann auch bearbeitet werden müssten. Die meisten Akteure innerhalb der Justiz und der Polizei sähen das neue Instrument dennoch verhalten positiv, lediglich die Bewährungshilfe äußere sich kritischer.

Wie zu erwarten, stellt sich die Maßnahme für die Überwachten – auch mit einigen von ihnen konnten die Tübinger Kriminologen Interviews führen – als weniger angenehm dar. Sie müssen durch diese Weisung zum Teil erhebliche Einschränkungen in ihrem Lebensalltag hinnehmen. Als besonders relevant erscheint, dass die Einhaltung regelmäßiger Ladezeiten im Einzelfall eine Berufstätigkeit und damit auch die Resozialisierung erschweren kann.



Die Fußfessel sei kein Allheilmittel zur Verhinderung schwerer Straftaten, sondern könne nur ein Baustein von vielen im Rahmen der Führungsaufsicht sein, sagen die Wissenschaftler. „Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass entlassene Straftäter nicht nur überwacht, sondern auf dem Weg ihrer Resozialisierung betreut und gestützt werden müssen.“

Der Kurzbericht über wesentliche Befunde der Studie mit rechtspolitischen Schlussfolgerungen findet sich auf der Homepage des Bundesjustizministeriums. Ein umfassender Endbericht soll in der zweiten Jahreshälfte vorliegen: <link https: www.bmjv.de shareddocs downloads de pdf bereichministerium>www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/BereichMinisterium/Kurzbericht_elektronische_Aufenthaltsueberwachung_im_Rahmen_der_Fuehrungsaufsicht.html

Kontakt:

Prof. Dr. Jörg Kinzig
Universität Tübingen
Institut für Kriminologie
Telefon +49 (0)7071 29-72549
<link>kinzig[at]jura.uni-tuebingen.de

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung
Antje Karbe
Pressereferentin
Telefon +49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
antje.karbe[at]uni-tuebingen.de

www.uni-tuebingen.de/aktuelles

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