Uni-Tübingen

12.06.2023

Alumni Spotlight: „Streng dich an! Mach dich locker!“

Im Interview: Bernd Hauser, Abschluss in Geografie, erzählt über seinen Werdegang als freier Journalist, von den Herausforderungen in seiner Arbeit und was ihn inspiriert. #draussendaheim

Bernd Hauser, Jahrgang 1971, hat in Tübingen und Maynooth (Irland) Geografie studiert. Studienbegleitend absolvierte er eine journalistische Ausbildung als Stipendiat beim Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses in München. Seit 1999 ist er Teil der Reportergemeinschaft Zeitenspiegel. Er erhielt mehrere Auszeichnungen für seine Arbeit, u.a. den Journalistenpreis der Robert-Bosch-Stiftung und den Journalistenpreis Weltbevölkerung. Seine Frau Eva Jacobsen hat er während ihres Erasmus-Semesters an der Universität Tübingen kennen gelernt. Jacobsen hat Germanistik und Geografie an der Universität Roskilde studiert und arbeitet heute als Wirtschaftskonsulentin bei der Region Hovedstaden in Dänemark. Das Paar lebt in Kopenhagen. 

Beschreiben Sie sich selbst in einem Hashtag: 

#Draussendaheim

Wenn ich an meine Zeit in Tübingen denke, …

… sehe ich Lichterketten unter Kastanien, höre das Geklirr von Gläsern, es ist warm und auf dem Fluss gleiten Kähne vorbei – ein perfekter Sommerabend beim Neckarmüller. In dem Biergarten bin ich der dänischen Studentin Eva zum ersten Mal begegnet, die ich später heiratete – bei einem Treffen von Erasmus-Studenten, organisiert von Martin Coy, der damals das Austauschprogramm am Geographischen Institut betreute. Die Dänin hatte eine schicke Bluse an und Lippenstift aufgetragen, sehr ungewöhnlich in meinem Fach, wo die Leute in ihren Outdoor-Klamotten auch zu schlafen schienen. 
Außerdem erinnere ich mich an das Gefühl, an den richtigen Ort gekommen zu sein. Ich bin in einem kleinen Dorf auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen. Tübingen empfand ich mit 20 Jahren als Tor in die Welt. Nicht nur im Geografiestudium. Es gab ein Füllhorn kultureller Angebote. Das „Schwäbische Tagblatt“ war Anfang der neunziger Jahre viel mehr als ein Lokalblatt. Es gab Essays und Feuilletons und Wissenschaftsartikel in einer Breite, wie man sie nur von einer deutschlandweiten Zeitung erwarten konnte. Ich war stolz, dass ich dort als freier Mitarbeiter Artikel schreiben durfte – etwa eine mit viel Ehrgeiz und Herzblut geschriebene Reportage über ein Hardcore-Punk-Festival im Jugendzentrum Epple-Haus.

Was war Ihr größtes Learning aus der Zeit Ihres Studiums?

Meine Diplomarbeit habe ich 1996 im Isan recherchiert. Es ging um die Perspektiven des Tourismus in diesem nordöstlichen, rückständigen Landesteil Thailands, im Rahmen eines Projekts von Prof. Hans Gebhardt. Die sprachlichen und kulturellen Barrieren waren groß, die Befragungen mühsam. Ich fühlte mich einsam während der zwei Monate. Es war die Zeit vor dem Internet, also gab es auch kein Videochatten mit Freunden und Familie zu Hause. Als Hans Gebhardt für eigene Forschungen an die Partneruniversität Khon Kaen kam, klang ich wohl wehleidig. Er sagte: „Herr Hauser, Sie müssen schauen, dass Ihnen die Arbeit Spaß macht.“ Also: „Es ist nur eine Diplomarbeit und es ist ein Privileg, dass du hier bist. Die Welt wird sich weiterdrehen, egal, was du rauskriegst und aufschreibst.“

Mit welchem Thema beschäftigen Sie sich gerade beruflich und warum?

Ich mache das, was ich meist tue: Ich recherchiere und schreibe über Armut und Entwicklung. Als freier Mitarbeiter von „Menschen für Menschen“ in Zürich bereite ich das nächste Spendermagazin des Hilfswerks vor, das „Hilfe zur Selbstentwicklung“ in Äthiopien macht. Unlängst war ich mit dem Fotografen Sascha Montag in Nepal. Unsere Geschichte über die Armutskrankheit Elefantiasis ist bereits erschienen, unter anderem auch im Schwäbischen Tagblatt, was mich besonders freute. Jetzt schreibe ich unser zweites Thema auf: Wir haben junge Frauen getroffen, die als Teenager in Frühehen gedrängt wurden. Die Geschichte will die gesellschaftlichen Hintergründe beschreiben. 

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen dabei?

Die Frage stellt sich immer bei Auslandsreportagen: Kann ich über alle kulturellen Grenzen hinweg die Menschen in meinen Interviews wirklich verstehen und wahrhaftig über sie schreiben? Letztlich glaube ich, dass das geht, mit Empathie und dank der Hilfe lokaler Helfer und Übersetzer. So verschieden die Kulturen, die Menschen ähneln sich in ihren Gefühlen, Sehnsüchten und Motivationen. 

Was inspiriert Sie?

Spaziergänge, Wanderungen. Gerne in Buchenwäldern. Gerne in Italien. Am Wasser sein. Hier in Kopenhagen sind der Hafen und die Küste nie mehr als eine Viertelstunde mit dem Rad entfernt. Wie viele Kopenhagener bin ich gut darin geworden, den Hafen zu nutzen, zum Schwimmen, mit dem Kajak oder beim Winterbaden, was hier ein Volkssport ist. 

Was war der beste Rat, den Sie bisher in Ihrem Leben bekommen haben? Von wem?

Siehe Antwort zu Frage 3. Ergänzend dazu: „Am Ende setzt sich Qualität immer durch.“ Der Rat stammt von Bruno Bienzle, Ressortleiter bei den Stuttgarter Nachrichten, wo ich nach meinem Studium ein Volontariat gemacht habe. Für ihn war jeden Tag nichts wichtiger als die Zeitung von morgen. Im Grunde hockt bei mir immer noch auf der einen Schulter mein Journalismus-Lehrmeister, auf der anderen mein ehemaliger Prof, und beide flüstern mir ins Ohr. Streng dich mehr an! Mach dich mal locker!  

Welchen Ratschlag würden Sie Ihrem jüngeren Ich geben? 

Im Studium begegnete ich vielen spannenden Menschen. Die meisten Kontakte habe ich verloren. Eingeschlafene Freundschaften lassen sich kaum wiederbeleben. Deshalb: Arbeit und Karriere sind wichtig, aber vergiss die Menschen nicht, die du magst. 

Lesestoff: welches Buch haben Sie zuletzt gelesen und wem würden Sie es empfehlen?

Nachdem Netflix die Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ zeigt, habe ich wieder einmal den Anti-Kriegs-Roman von Remarque rausgezogen, den ich mit 14 Jahren zum ersten Mal las. Alle sollten das Buch (wieder)lesen. Jetzt lese ich „Wir Ertrunkenen“ von Carsten Jensen, ein Schmöker über Seeleute und ihre Familien aus Marstal auf Ærø. Aber während ich Romane früher fraß, liegt dieses Buch schon seit sechs Wochen am Bett. Nach der täglichen Arbeit mit Texten streame ich abends lieber eine Episode einer Serie. Der Erkenntnisgewinn beim Gucken der Serie „Meine geniale Freundin“ ist bestimmt ähnlich wie beim Lesen der Romane von Elena Ferrante. Und wenn ich gemeinsam mit meiner Frau und meiner Tochter gucke, sprechen wir über die Serie und haben ein Erlebnis, das uns verbindet.

Was kaum jemand über mich weiß:  

Ich habe eine Schwäche für die Musik von Phil Collins. Das wagte ich im Studium in Tübingen nicht zu sagen, ich hätte mich diskreditiert: So uncool, so kommerziell, so Mainstream! Ich glaube, in den Neunzigern war Popmusik mehr als heute ein Distinktionsmerkmal. Meine Kinder, 24 und 20 Jahre alt, hören ungeniert, was ihnen gefällt. Manchmal auch Dire Straits. Das freut mich, weil ich die Band damals in Tübingen schon hörte, ebenfalls heimlich.  
 

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