Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2011: Forschung

„Mehrebenenparlamentarismus“ als Demokratisierungsstrategie

Die Parlamente innerhalb der Europäischen Union sollen gestärkt werden

Der im Dezember 2009 in Kraft getretene so genannte Lissabon-Vertrag verfolgt eine umfassende Demokratisierungsstrategie für die Europäische Union (EU). Er rekurriert explizit auf das Ideal einer partizipativen und repräsentativen Demokratie. Der partizipative Aspekt wird im Vertrag durch die Einführung des europäischen Bürgerbegehrens, der repräsentative durch die Stärkung von Parlamenten – und zwar auf allen Ebenen – realisiert. Damit soll dem bisherigen Trend einer Stärkung der Regierungen bei gleichzeitiger Schwächung der Parlamente im Gefolge der europäischen Integration begegnet werden. Diese Strategie kann als „Mehrebenenparlamentarismus“ bezeichnet werden.


Neben dem Europäischen Parlament, das durch den Lissabon-Vertrag einen beachtlichen Kompetenzzuwachs erfahren hat, sollen nunmehr auch die nationalen Parlamente in der Europapolitik gestärkt werden. Nationale Parlamente – in Deutschland der Bundestag und der Bundesrat – erhalten neue Mitwirkungs- und vor allem auch Kontrollrechte gegenüber EU-Vorhaben sowie gegenüber der jeweiligen nationalen Regierung. In Deutschland als föderalem Staat sind auch die Parlamente in den Bundesländern angesprochen. Der Landtag von Baden-Württemberg spielt hier bundesweit eine Vorreiterrolle.

Parallel hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem so genannten „Lissabon-Urteil“ vom 30. Juni 2009 das Demokratieprinzip gestärkt und proklamiert, dass Parlamente als Verkörperung der Volkssouveränität eine Integrationsverantwortung tragen müssen.


Der Arbeitsbereich Vergleichende Politikwissenschaft und Europäische Integration am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen hat dieses aktuelle Thema mit der Tagung „Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus? Zukünftige Funktionen von Parlamenten im europäischen Integrationsprozess“ aufgenommen. Politikwissenschaftler, Experten aus der Parlamentspraxis sowie Kollegen aus der Rechtswissenschaft – die Teilnehmer kamen aus Deutschland und dem europäischen Ausland – diskutierten dabei verschiedene Aspekte des Funktionswandels von Parlamenten im Zuge der europäischen Integration: Was können Parlamente im Integrationsprozess leisten? Welche Funktionen nehmen sie wahr? Wie entwickeln sie sich aktuell weiter? Und kann eine Parlamentarisierung einen Beitrag zum Abbau des Demokratiedefizits in der Europäischen Union leisten? Von zentraler Bedeutung dabei: die Frage, wie sich Parlamente in der vertikalen und der horiziontalen Dimension miteinander vernetzten können.


Der Arbeitsbereich Vergleichende Politikwissenschaft und Europäische Integration an der Universität Tübingen wird sich auch künftig mit dem Thema „Mehrebenenparlamentarismus“ befassen, sowohl wissenschaftlich wie auch politikberatend.


Gabriele Abels und Annegret Eppler

Weitere Informationen:

http://www.uni-tuebingen.de/en/faculties/wirtschafts-und-sozialwissenschaftliche-fakultaet/faecher/ifp/lehrende/abels/mehrebenenparlamentarismus.html
http://www.wiso.uni-tuebingen.de/faecher/ifp/lehrende/