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Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2024: Uni intern

Chancengleichheit fördern, Diskriminierung bekämpfen

Die Gleichstellungsbeauftragte Professorin Dr. Ingrid Hotz-Davies im Interview

Die Anglistin Professorin Dr. Ingrid Hotz-Davies trat im November 2023 ihre dritte Amtszeit als Gleichstellungsbeauftragte an der Universität Tübingen an. Im Interview spricht sie über Gleichstellungsarbeit, geschlechtsspezifische Herausforderungen und die anstehende Exzellenzbewerbung. 

Frau Hotz-Davies, was bedeutet Gleichstellung für Sie?

Gleichstellung an der Universität bedeutet für mich, dafür zu sorgen, dass Frauen, die studieren, promovieren und sich habilitieren, langfristig an der Hochschule bleiben und nicht abwandern, weil der akademische Weg geschlechtsspezifische Hürden für sie bereithält. Das heißt, ich arbeite daran, die sogenannte Leaky Pipeline zu beseitigen – das Phänomen, dass mit jeder weiteren akademischen Qualifikationsstufe der Frauenanteil sinkt. 

Mit welchen Herausforderungen sehen sich Wissenschaftlerinnen konfrontiert?

Das sind eine ganze Reihe. Um nur einen Faktor herauszugreifen: Die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere und Familie stellt immer noch vor allem für Frauen eine große Herausforderung dar. Häufig leisten sie den größeren Anteil an der Sorge- und Erziehungsarbeit, was sich wiederum auf ihre berufliche Entwicklung auswirkt. 

Wie hat sich die Rolle der Gleichstellungsbeauftragten an der Universität Tübingen seit Ihrer ersten Amtszeit im Jahr 2002 verändert?

In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass die Kategorie „Geschlecht“ unbedingt intersektional gedacht werden muss. Das bedeutet, dass weitere Diskriminierungskategorien – wie beispielsweise soziale Herkunft, sexuelle Orientierung, chronische Krankheiten oder rassistische Zuschreibungen – immer auch mitgedacht werden müssen. Dadurch ist die Gleichstellungsarbeit komplexer geworden. Gleichzeitig ist Diversität insgesamt ein wichtiges Feld geworden, das mir als Gleichstellungsbeauftragte besonders am Herzen liegt. 
Positiv ist hervorzuheben, dass sich das öffentliche Bewusstsein für geschlechtsbedingte Ungleichheiten verändert hat. Zwar kämpfen wir auch heute noch gegen Widerstände, jedoch weniger als noch vor 20 Jahren. An den Universitäten hat man erkannt, wie schädlich es ist, Talente zu verlieren und so wird verstärkt daran gearbeitet, Frauen auf ihrem akademischen Karriereweg zu unterstützen – in Tübingen beispielsweise durch das „Athene Programm“. Auch Berufungsverfahren laufen heutzutage anders ab: Wir versuchen, schon im Vorfeld geeignete Kandidatinnen zu identifizieren und fordern sie direkt auf, sich auf ausgeschriebene Professuren zu bewerben. 

Fördert die Universität eine inklusive und vielfältige Kultur, die über geschlechtsspezifische Aspekte hinausgeht?

Wir, das heißt, ich in enger Zusammenarbeit mit dem Gleichstellungs-, Diversitäts- und Familienbüro, unser „Team Equity“ sozusagen, erstellen derzeit einen umfassenden Aktionsplan, der spezifische Programme und Maßnahmen in den Bereichen Gleichstellung, Diversität und Care umfasst. In jedem dieser Bereiche gibt es spezifische Herausforderungen: Im Bereich Vereinbarkeit und Fürsorge müssen wir weitere unterstützende Maßnahmen für familiäre Verpflichtungen schaffen, beispielsweise durch die Bereitstellung flexibler Arbeitszeiten und -orte. Die Diversität unserer Studierendenschaft und Belegschaft ist uns ein hohes Gut und es ist unsere Aufgabe, Angebote bereitzustellen, die dabei helfen, dass diese Menschen an der Universität Tübingen ihre Potenziale entfalten können. Sobald die einzelnen Programme und Maßnahmen etabliert wurden, werden die Hochschulangehörigen darüber informiert. 

Die Universität Tübingen bereitet sich derzeit auf den Prozess der Exzellenzbewerbung vor. Inwiefern spielen Gleichstellung und Diversität hier eine Rolle? 

Gleichstellung und Diversität spielen bei der Bewerbung um den Exzellenzstatus der Universität eine zentrale Rolle. Das zeigt sich in vielen verschiedenen Bereichen: Die Begutachtenden werden beispielsweise darauf achten, dass Frauen an der Universität die Möglichkeit haben, in der Wissenschaft Karriere zu machen, oder dass First Generation Students an der Universität Tübingen Fuß fassen und ihre Weltsicht einbringen können. Unabhängig von der Bewerbung um den Exzellenzstatus hat die Universität selbstverständlich immer die gesellschaftliche Verantwortung, Chancengleichheit zu fördern und Diskriminierung zu bekämpfen. 

Wenn Sie einen Zauberstab zücken und eine Sache an der Universität verändern könnten, um für Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen – was würden Sie herbei- oder davonzaubern? 

Ich würde allen Kategorien, die die Macht haben, Menschen zu diskriminieren, bewerten, ein- und auszuschließen, verschwinden lassen! Science-Fiction-Literatur eignet sich übrigens hervorragend, um die größtenteils normativen Vorstellungen, die wir beispielsweise von Geschlecht, Begehren, Identität und Alter haben, kritisch zu hinterfragen.  

Stichwort Science-Fiction. Sie sind Professorin für Englische Literatur und Gender Studies. Welches literarische Werk empfehlen Sie Personen, die den Maßnahmen, die dem Nachteilsausgleich von Frauen dienen, kritisch gegenüberstehen? 

Die Literatur, die ich besonders schätze, ist jene, die uns das Leben schwer macht und uns zwingt, unsere Einstellungen und Erwartungen zu überdenken. Diese Texte fordern uns auf, aktiv mit ihnen zu interagieren. Das bedeutet, dass ich beim Lesen nicht nur Informationen aufnehme, sondern, dass ich mich auf ein Spiel einlasse – ein Spiel, das das Potenzial hat, in mir Verunsicherung auszulösen. Ein Roman, den ich in diesem Zusammenhang empfehlen würde, wäre zum Beispiel Ursula Le Guins The Left Hand of Darkness (1969; auf Deutsch in verschiedenen Übersetzungen zu haben als Winterplanet und Die linke Hand der Dunkelheit).  

Das Interview führte Dr. Rebecca Hahn