Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2014: Leute

Ein Vorkämpfer für die Ökologie

Zum Tod von Professor Dr. Erwin Kulzer ein Nachruf von Ewald Müller und Heinz Weigold

Am 13. März verstarb kurz nach seinem 86. Geburtstag völlig unerwartet Professor Dr. Erwin Kulzer, der frühere Leiter der Abteilung Physiologische Ökologie der Tiere an der Universität Tübingen. Geboren in Kempten, erfuhr Kulzer seine weitere schulische Ausbildung auf dem Gymnasium in Günzburg. Nach dem Abitur im Jahre 1947 folgte in München das Studium der Fächer Biologie, Chemie und Geographie, das er 1952 mit dem Ersten Staatsexamen abschloss. Noch während des anschließenden Referendariats begannen die Arbeiten an der Doktorarbeit, die sich unter Anleitung des Nobelpreisträgers Karl Ritter von Frisch mit der Schreckreaktion bei den Kaulquappen von Erdkröten befasste.

Nach der Promotion folgte Kulzer Professor Dr. Franz-Peter Möhres nach Tübingen an den damals ersten Lehrstuhl für Zoophysiologie in Deutschland. Neben dem Aufbau neuer tierphysiologischer Kurse und Praktika gelang Kulzer die Entdeckung, dass Nilflughunde wie Fledermäuse Ultraschall-Laute erzeugen. Untersuchungen über die Orientierung der Nilflughunde waren dann auch Gegenstand der Habilitation, die 1960 erfolgte.

Auslandsreisen führten Kulzer nach Ägypten, Ostafrika und Australien. Die dabei gewonnenen Eindrücke gaben den Anstoß, sich einem völlig neuen Forschungsgebiet zuzuwenden, der Autökologie, einem Teilgebiet der Ökologie, das sich mit den Anpassungen der Organismen an die Bedingungen in ihrem Lebensraum befasst. Es waren wohl die eigenen Erfahrungen in den heißen Wüstenregionen, die dazu führten, dass in der Folgezeit vor allem die Probleme des Wärme- und Wasserhaushaltes der Tiere in trocken-heißen Gebieten im Mittelpunkt seiner Arbeiten standen.

Die Hinwendung zur Ökologie zeigte sich auch in den Lehrveranstaltungen: Seit dem Wintersemester 1965/66 vermittelte Kulzer in seiner Vorlesung „Ökologie der Tiere und des Menschen“ und später auch in einem ökologisch ausgerichteten Großpraktikum einer großen Zahl von Studenten die Grundlagen für ökologisches Denken und Handeln.

Die Anerkennung seines ökologischen Forschens und Lehrens war die Gründung der Abteilung für Physiologische Ökologie der Tiere im Mai 1975, deren Leitung er bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahre 1993 innehatte. Es war zu dieser Zeit die erste derartige Institution in Deutschland. Mit der Gründung der Abteilung begann eine intensive Beschäftigung mit Fragen der Umweltproblematik. Im Mittelpunkt standen dabei die Auswirkungen von Pestiziden auf Organismen in Süßwasser-Ökosystemen, auf die der Einsatz solcher Giftstoffe nicht zielt.

Die wissenschaftliche Arbeit Kulzers fand ihren Niederschlag in über 130 Publikationen sowie in 24 Dissertationen und über 150 Diplom- und Staatsexamensarbeiten, die unter seiner Anleitung angefertigt wurden. Als Hochschullehrer hat Kulzer Generationen von Studierenden geprägt. In didaktisch ausgefeilten Vorlesungen und Praktika vermittelte er solides Grundwissen. Auf zahlreichen Exkursionen öffnete er den Teilnehmern die Augen für einen verantwortungsvollen Umgang mit unserer Umwelt. Zu seinen Studierenden hatte Kulzer eine ganz besondere Beziehung: Für die Staatsexamenskandidaten war er ein sorgfältiger Betreuer und ein verlässlicher Prüfer, und mit den Mitarbeitern in der Abteilung pflegte er ein enges persönliches Verhältnis. So fanden bis zu seinem Tod jährliche Treffen mit ehemaligen Mitarbeitern statt, und er zeigte ein bleibendes Interesse am beruflichen Werdegang und am persönlichen Schicksal seiner Schüler.

Über seine Lehr- und Forschungstätigkeit hinaus übernahm Kulzer auch Funktionen in der Selbstverwaltung der Universität. In den Jahren 1983-84 war er Dekan und Prodekan der damaligen Fakultät für Biologie. Viele Jahre lang beteiligte er sich an der Gestaltung der Lehrpläne im Kultusministerium und gehörte von Beginn an zum Wissenschaftlichen Beirat des Regierungspräsidiums Tübingen. Die Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Säugetierkunde bestimmte er als Geschäftsführer und Präsident über zehn Jahre mit.

Das besondere Interesse Kulzers und seine Liebe galten bis zuletzt den Fledermäusen. Er war maßgeblich an der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg im Jahre 1980 beteiligt und koordinierte bis 2002 als Vorsitzender deren Aktivitäten. In zahlreichen Artikeln, Rundfunk- und Fernsehinterviews warb er um Verständnis für die nächtlichen Insektenjäger und wurde weithin als „Fledermaus-Professor“ bekannt. Für seine Verdienste um den Fledermausschutz wurde Kulzer 2008 mit der Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.

Mit Erwin Kulzer verlieren wir einen im besten Sinne feinen Menschen. Für viele war er ein Quell, aus dem sie Wissen schöpfen, aber auch Menschlichkeit erfahren konnten.

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