Uni-Tübingen

Informationen zu Tierversuchen

Die moderne Medizin hat den Menschen Lebenszeit geschenkt. Bessere Medikamente, sichere Operationen, das Wissen, wie man Organe verpflanzt oder Blut von einem Menschen auf einen anderen überträgt, ohne dass es zu Komplikationen kommt: all das hat die Lebenserwartung von Menschen in Westeuropa innerhalb von rund 100 Jahren verdoppelt. In fast allen Fällen basierte der medizinische Fortschritt maßgeblich auf Laborversuchen an Tieren.

Viele Menschen sehen den Einsatz von Versuchstieren kritisch oder lehnen ihn komplett ab. Viele Forscherinnen und Forscher, die an der Universität Tübingen und am Universitätsklinikum Tübingen arbeiten, entscheiden sich tagtäglich für die Arbeit mit Versuchstieren. Sie tun dies nicht leichtfertig, sondern auf der Basis geltender Gesetze, nach strenger Prüfung durch die Behörden und auf einer klaren ethischen Grundlage: Dem Wohle des Menschen zu dienen.

Auf dieser Seite und ihren Unterseiten haben wir einige Informationen zusammengestellt, die über die Forschung mit Versuchstieren informieren und Vorbehalte abbauen sollen. Weitere Informationen finden Sie auch auf der Internetplattform "Tierversuche verstehen", die in Kooperation verschiedener Wissenschaftsorganisationen entstanden ist.

Fragen und Antworten zu Tierversuchen

Warum braucht man Tierversuche für die Grundlagenforschung?

Viele Prozesse im menschlichen Körper, die Funktion verschiedener Strukturen und deren hochkomplexes Zusammenspiel verstehen wir noch nicht. Einzelne Prozesse in einem lebenden Organismus lassen sich tatsächlich isoliert studieren. Aber nur an einem lebenden Tier können die spezifischen Interaktionen zwischen den einzelnen Organen, Zellen und Zellbausteinen studiert werden. Oft führt die vergleichende Untersuchung bei verschiedenen Tierarten zu ganz neuen Einsichten. Deshalb ist auch die Grundlagenforschung auf Tierversuche angewiesen. Grundlagenforschung von heute ist die Basis der medizinischen, angewandten Forschung von morgen. Andererseits ergeben sich aus der angewandten Forschung neue Fragen, die in die Grundlagenforschung einfließen. Mit anderen Worten: Grundlagenforschung und angewandte Forschung bedingen sich gegenseitig und führen zum Fortschritt in der praktischen Medizin. Die Zahl der für die Forschung eingesetzten Versuchstiere macht unter 0,2 Prozent aller Tiere aus, die jährlich in Deutschland getötet werden. Die anderen 99,8 Prozent dienen unserer Ernährung.

Haben Tierversuche medizinischen Fortschritt gebracht?

Die Bekämpfung und Heilung vieler früher tödlicher Krankheiten sind für uns heute selbstverständlich. Doch nur dank Tierversuchen konnten Antibiotika, Impfstoffe gegen Krankheiten wie Kinderlähmung (Polio) und Insulin für an Diabetes leidende Menschen entwickelt werden. Rund 80 Prozent der an Leukämie erkrankten Kinder können heute geheilt werden. Die zur Bekämpfung dieser Krankheit entwickelten Therapien stehen uns unter anderem Dank Tierversuchen zur Verfügung. Es ist nicht auszudenken, wo wir heute in der Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen, bei den verschiedensten Formen von Krebs, AIDS aber auch in der Chirurgie ohne Tierversuche stünden. Tagtäglich profitieren Millionen von Patientinnen und Patienten von dieser Forschung.

Wie wichtig Tierversuche für den medizinischen Fortschritt sind, lässt sich an der Vergabe von Nobelpreisen in Physiologie und Medizin ablesen. Seit 1900 wurde der Nobelpreis für Physiologie und Medizin rund 70 Mal an Forschende vergeben, deren bahnbrechenden Erkenntnisse nicht zuletzt mittels Tierversuchen gewonnen werden konnten. Die Liste reicht von der Entdeckung des Insulins und des Penicillins bis zur heutigen AIDS-Behandlung und den Erkenntnissen über das Funktionieren des Immunsystems oder des Gehirns.

Gibt es auch einen Nutzen für Tiere?

Auch die Haus-, Nutz- und Wildtiere profitieren von Tierversuchen, den daraus gewonnenen Ergebnissen und Produkten: Antibiotika, Impfstoffe, Narkose- und Schmerzmittel sind nur einige Beispiele unter vielen. Die Kinderlähmung (Polio) konnte dank eines Impfstoffes, der ursprünglich an Affen entwickelt wurde, nahezu ausgerottet werden. Der gleiche Impfstoff schützt heute auch Schimpansen in der Wildnis vor dieser Krankheit. Des Weiteren wurden Impfstoffe und Medikamente entwickelt, die auch oder ausschließlich den Tieren zugute kommen wie etwa Impfstoffe gegen Tollwut oder Hundestaupe. Die an Rhesusaffen gegen Ebola entwickelten Impfstoffe können dazu beitragen, die extrem bedrohten Restpopulationen westafrikanischer Gorillas zu schützen.

Sind Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen übertragbar?

Die Bestandteile von Körperzellen und die biochemischen Mechanismen, die Lebensvorgängen zu Grunde liegen, weisen bei den verschiedenen Tierarten sehr große Ähnlichkeiten zum Menschen auf. Die molekulare Genetik kann beweisen, dass alle heute lebenden Organismen den gleichen Ursprung haben und dass für den Körperaufbau verantwortliche und im Laufe der Zeit modifizierte Gene die materielle Basis für die Abfolge der Lebewesen durch alle Erdzeitalter bilden. Durch diese Ähnlichkeiten sind sogar Vergleiche menschlicher Gene und Stoffwechselprozesse mit denen von Bakterien, Pilzen und Hefen möglich. Somit ist bei Eingriffen in die allgemeinen Stoffwechselwege prinzipiell eine Übertragbarkeit der wissenschaftlichen Befunde von Mikroorganismen auf Tiere und Menschen zu vermuten.

Bei höher entwickelten Tieren und beim Menschen sind die Körperfunktionen jedoch wesentlich komplizierter als bei niedrigeren Organismen, da sie auf einer Vielzahl von spezialisierten Zelltypen und Organen beruhen. So kann ein Wirkstoff in der Leber zwar eine gewünschte Wirkung besitzen, aber von den Leberzellen chemisch so verändert werden, dass dabei eine für das Zentralnervensystem schädigende Verbindung entsteht. Dies zeigt, dass die Übertragung von Reaktionsweisen von Zellverbänden auf die Reaktion des gesamten Organismus äußerst schwierig sein kann. Aus diesem Grund sind neben Untersuchungen auf zellulärer Ebene (Ergänzungsmethoden) stets auch Untersuchungen am Gesamtorganismus notwendig. Wegen der Ähnlichkeiten von Zell- und Organfunktionen bei Säugetieren geht man davon aus, dass eine Übertragbarkeit vom Tier auf den Menschen meistens möglich ist. Diese Grundvermutung gilt sowohl für die erwünschte als auch für die schädigenden und toxischen Wirkungen eines Stoffes. Durch Tierversuche lassen sich erwünschte und etwa 70 Prozent der unerwünschten Wirkungen, die den Menschen betreffen, vorhersagen. Ein Beispiel hierfür ist die Acetylsalicylsäure (Wirkstoff des Schmerzmittels Aspirin®). Sie wirkt bei Ratte und Mensch schmerzlindernd, aber bei beiden kann es nach der Einnahme zu erhöhter Blutungsneigung kommen. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse vom Tier auf den Menschen gilt auch im umgekehrten Sinne: Arzneien, die erfolgreich für die Behandlung von Menschen eingesetzt werden, können auch für Haustiere genutzt werden.

Haben wir keine Alternativen zu Tierversuchen?

Alternative Methoden sind wichtig und werden in der biomedizinischen Forschung wenn immer möglich eingesetzt und weiterentwickelt, vgl. Informationen zu Alternativen zu Tierversuchen. Allerdings machen sie Tierversuche in der biomedizinischen Forschung nicht grundsätzlich verzichtbar. Tierversuche sind notwendig, wenn physiologische Zusammenhänge und ihre Störungen im Organismus aufgeklärt werden sollen. Dazu gehören Untersuchungen des Zentralnervensystems und der Verarbeitung von Sinnesreizen, das Zusammenspiel des Kreislaufsystems, des Verdauungsapparates, des Hormonsystems, des Immunsystems sowie die Grundlagen des Verhaltens. Die Komplexität eines Organismus, also das Zusammenwirken von Organen und Geweben, kann nicht vollständig durch künstliche Systeme ersetzt werden.

Hinzu kommt: Alternativen wie etwa Computersimulationen werden erst möglich, wenn bereits Informationen über das abzubildende System vorliegen, um den Computer zu „füttern“. Bislang lassen sich diese Informationen nur über den Versuch im lebenden Organismus erlangen. Nicht zuletzt müssen auch für Herstellung von Organ- und Zellkulturen Tiere getötet werden. Für die Kultivierung der Zelllinien ist oft Kälberserum aus Schlachttieren als Nährsubstanz notwendig, um die Teilung, das Wachstum und die Differenzierung der Zellen anzuregen.

Bei der Genehmigung von Tierversuchen prüfen die Behörden, ob ein solcher Versuch unerlässlich ist oder ob die angestrebten Erkenntnisse auch ohne den Einsatz von Tieren gewonnen werden können.

Leiden Tiere in den Experimenten?

Forschende, Tierärztinnen und -ärzte wie auch Tierpflegerinnen und -pfleger werden alles tun, um Schmerz und Leid in Labors zu minimieren. Viele der durchgeführten Tierversuche beinhalten keine Schmerzen oder Unbehagen, wie zum Beispiel die Beobachtung ihres Verhaltens oder das Sammeln von Gewebeproben vom toten Tier. Dennoch gibt es Experimente, die Schmerzen oder Unbehagen für Labortiere mit sich bringen können, wenn die Art des Experiments es unvermeidlich macht. In diesen Fällen werden alle Anstrengungen unternommen, um die entstehenden Schmerzen auszuschalten oder doch weitestgehend zu lindern, zum Beispiel durch Verwendung einer adäquaten Anästhesie und Analgesie während und nach Operationen. Forschende tun alles, um jedes Leid auf Seiten der Tiere, die sie in der Forschung nutzen zu minimieren, und wo Leiden unvermeidlich ist, ergreifen sie jede mögliche Maßnahme, um dieses Leiden auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.

Wir sind uns der großen ethischen Verantwortung bewusst, die mit Tierversuchen in der biologischen und medizinischen Grundlagenforschung verbunden ist. Alle hier stattfindenden Tierversuche werden stets im Vorfeld von der Tierversuchskommission sorgfältig geprüft und von der zuständigen Behörde genehmigt.

Wer kümmert sich um das Wohlergehen der Tiere im Labor?

Jeder, der mit Tieren in Laboren arbeitet, kümmert sich um ihr Wohlergehen. Es gibt zahlreiche Bereiche, in denen die Beschäftigten aktiv zum Wohl der Labortiere beitragen: Tierpflege, Technik, Fachtierarztwesen und Wissenschaft. Die Tiere werden mit Mitgefühl und Respekt von den Profis behandelt, die für ihre täglichen physischen und psychischen Bedürfnisse Sorge tragen. Die Haltung der Tiere in den Forschungseinrichtungen der Universität Tübingen erfolgt unter Berücksichtigung aller Bestimmungen des Tierschutzrechtes und internationaler Übereinkommen. In vielen wissenschaftlichen Experimenten sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität am normalen Verhalten der Tiere interessiert. Dessen Beobachtung erfordert unverzichtbar die konzentrierte Mitarbeit gesunder, sich wohl fühlender Tiere. Die Versuchstiere verfügen über ausreichend große, ausgestaltete Käfige und Gehege, in denen sie ihre natürlichen Bedürfnisse und Verhaltensweisen weitestgehend ausleben können. 

Selbst einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler äußern sich kritisch zu Experimenten mit Affen oder Mäusen. Beweist das nicht, dass Erkenntnisse aus Tierversuchen wertlos sind?

Wissenschaft lebt von einem kritischen Diskurs und das heißt auch von unterschiedlichen Sichtweisen. Wissenschaftliche Modelle wie die Relativitätstheorie, die Urknalltheorie oder die Psychoanalyse waren teils über Jahrzehnte hinweg Gegenstand kontroverser Debatten. Auch beim Einsatz von Versuchstieren sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht immer einer Meinung. Von Tierrechtsaktivistinnen und -aktivisten werden daher gerne einzelne Forschende zitiert, die die Aussagekraft der in Tierversuchen gewonnenen Erkenntnisse bezweifeln. Solche Äußerungen gelten Tierversuchsgegnern dann oft schon als Beweis, dass Tierversuche sinnlos sind.

Dabei wird ausgeblendet, dass für die übergroße Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der biomedizinischen Grundlagenforschung die Aussagekraft von Tierversuchen über jeden Zweifel erhaben ist. Allerdings ist diesen Forscherinnen und Forschern auch klar, dass nicht jedes Ergebnis aus Tierversuchen eins zu eins auf den Menschen übertragbar ist. Die Aussagekraft eines Tierversuchs ist – wie die Aussagekraft jedes anderen wissenschaftlichen Experimentes - immer begrenzt und muss durch Untersuchungen mit anderen Ansätzen komplettiert und hinterfragt werden. Tierversuche bleiben daher nach derzeitigen Stand ein wesentlicher wissenschaftlicher Baustein.