Uni-Tübingen

Alternativen zu Tierversuchen

Versuchsmethoden außerhalb des Organismus, so genannte In-vitro-Verfahren (in vitro = im Glas), nehmen einen großen Raum in Forschung und Forschungsförderung ein. Dazu gehören etwa Arbeiten mit Zellkulturen. Auch die Computersimulation kann eine Ergänzung zum Tierversuch sein. In der biomedizinischen Forschung wird sie eingesetzt, um Hypothesen über Lebensvorgänge abzubilden und anhand von theoretischen Modellen zu überprüfen. Dieser Ansatz kommt häufig in der Neurobiologie zur Anwendung, um Funktionen des zentralen Nervensystems zu veranschaulichen.

Das 3R-Prinzip: Tierversuche ersetzen, reduzieren und verbessern

Es werden große Anstrengungen unternommen, um neue Methoden neben den bestehenden Alternativen zu entwickeln. Hier greift das Prinzip der drei R - replace, reduce, refine - mit den folgenden Zielen:  

  • den Einsatz von Versuchstieren überflüssig zu machen („Replace“;  z.B. In-vitro-Verfahren wie Versuche an Zellkulturen, Computersimulationen, Organ-on-a-Chip-Technologie),
  • die Zahl der Tierversuche auf ein Minimum zu reduzieren („Reduce“; z.B. durch bessere Versuchsplanung und  bessere statistische Auswertung) und
  • die Belastung der Versuchstiere zu mindern („Refine“; z.B. durch Verfahrensoptimierung, Schmerzlinderung).

In jedem Antrag auf einen Tierversuch muss schlüssig dargelegt werden, dass dem 3R-Prinzip Rechnung getragen wird. Forschende wollen Erkenntnisse gewinnen – sie sagen sich, „wenn uns dies ohne Tierversuche gelingt, umso besser!“. Allerdings gehen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon aus, dass es für einen Großteil der Tierversuche auch auf lange Sicht keine Alternativen geben wird ‒ die Komplexität des menschlichen Gesamtorganismus lässt sich nicht vollumfänglich in einer Zellkultur oder am Computer nachvollziehen.

3R-Center für Tierversuchsalternativen

Mit dem 3R-Center für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen wurde in Tübingen ein wissenschaftliches Zentrum aufgebaut, das die Erforschung von Alternativmethoden zu Tierversuchen weiter vorantreibt. Das Zentrum wird vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg gefördert und ist Teil des 3R-Netzwerks des Landes. Das 3R-Center will Forschende zusammenbringen und arbeitet eng mit den regulatorischen Behörden und der Politik sowie den Nutzerinnen und Nutzern von Ersatz- und Alternativmethoden zusammen. So soll Forschenden ermöglicht werden, ihre wissenschaftlichen Fragestellungen mit modernen und komplexen In-vitro-Modelle zu beantworten, ohne dabei auf den Einsatz von Tieren zurückgreifen zu müssen.

Webseite des 3R-Center Tübingen

Erfolgreich entwickelte Alternativen

Forscherinnen und Forscher der Universität und des Universitätsklinikums Tübingen haben verschiedene Ersatzmethoden entwickelt, um Tierversuche zu vermeiden oder die Belastung von Versuchstieren auf ein Minimum zu reduzieren. Dazu gehören unter anderem

  • ein Testsystem für onkolytische Viren zur Erforschung neuer Krebstherapien 
    Das System lässt sich an menschlichen Gewebeproben durchführen und ersetzt den Tierversuch. Onkolytische Viren sind eine neuartige Behandlungsform von Krebs (Virotherapie), sie können Tumorzellen identifizieren und gezielt zerstören.
  • ein „Realtime-Herzklappen-Bioreaktor“
    Biologische Herzklappenprothesen (aus Herzklappen vom Schwein oder Herzbeuteln vom Rind hergestellt) haben eine begrenzte Lebensdauer, weil Kalkablagerungen im Laufe der Jahre zu Degenerationserscheinungen führen. Um diese Erscheinungen zu mindern, wurde unter anderem an Schafen geforscht. Das neue Testsystem ersetzt diese Versuche: Hier können Herzklappen eingesetzt und beobachtet werden, Blutfluss, Blutdruck, Herzfrequenz usw. werden durch eine Maschine simuliert.
  • “Nasentropfen“ zum Einsatz von Stammzellen bei neurodegenerativen Erkrankungen
    Mussten die Zellen früher in das Gehirn eines Versuchstieres implantiert werden, so genügt es nun, wenn die Tiere einen Tropfen einer Zellsuspension durch die Nase einatmen. Von dort wandern die Zellen über die Nasenschleimhaut in das Gehirn. Das neue Verfahren ist gut verträglich und bereitet keine Unannehmlichkeiten oder Schmerzen.
  • eine Methode, um an menschlichem Gewebe Netzhauterkrankungen zu untersuchen
    Statt tierischer Netzhäute wird nun Gewebe von Hornhautspendern verwendet, um Behandlungsmethoden gegen Blindheit und andere Sehbehinderungen zu testen und weiterzuentwickeln. Dafür kooperieren Forschende der Universität eng mit der Universitäts-Augenklinik und der Hornhautbank Tübingen.
  • ein alternativer Ansatz, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Botulinum-Toxinen zu überprüfen
    Bisher werden dafür jedes Jahr weltweit rund 600.000 Mäuse verwendet. Ziel der neuen Methode ist es, Botulinum Toxin B, dessen muskellähmende Wirkung für medizinische Zwecke eingesetzt wird, künftig an In-Vitro-Zellkulturen testen zu können. Dafür sind noch weitere Untersuchungen nötig.