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28.08.2017
Abwehrzellen im Gehirn leben länger als gedacht
Bei Mäusen können Mikrogliazellen die gesamte Lebenszeit der Tiere erreichen. Ihre Lebensdauer ist eng mit ihrer möglichen Rolle beim Immungedächtnis und neurodegenerativen Erkrankungen verbunden
Krankheitserreger und Abfall beseitigen – das ist die Hauptaufgabe von Mikrogliazellen. Sie gehören zur Gruppe der Nicht-Nervenzellen im Gehirn, deren Aufgabe es ist, unsere Denkzellen bei der Arbeit zu unterstützen. Anders als bisher angenommen können die Fresszellen bei Mäusen genauso lange leben wie die Maus selbst. Das berichten Forscher am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Tübingen in einer Online-Vorabveröffentlichung am 28. August auf der Webseite der Fachzeitschrift Nature Neuroscience. In ihrer Studie verfolgten die Wissenschaftler einzelne Mikrogliazellen über ihre gesamte Lebenspanne unter dem Mikroskop. Die unerwartet lange Lebenszeit gibt Hinweise auf weitere mögliche Aufgaben der bislang noch wenig erforschten Hirnzellen: „Ihre Langlebigkeit ermöglicht es ihnen, zu lernen und zu altern“, erklärt Studienleiter Professor Dr. Mathias Jucker. „Damit könnten sie ein Immungedächtnis ausbilden und zur Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen beitragen.“
Bislang ist unklar, ob Mikrogliazellen ein Gedächtnis für Krankheitserreger ausbilden können, wie es Immunzellen im restlichen Körper tun. Diese Funktion sorgt für eine schnellere und effizientere Aktivierung der Abwehrzellen bei einem Zweitkontakt. „Wenn Mikrogliazellen nur kurz leben würden, würde ein Immungedächtnis bei ihnen wenig Sinn ergeben. Jetzt, da wir wissen, dass das nicht der Fall ist, ist es gut vorstellbar“, sagt Dr. Angelos Skodras, der ebenfalls federführend an der Studie beteiligt war. Tatsächlich gibt es erste Anzeichen, dass eine frühe Anregung des Immunsystems im Gehirn die Aktivität der Mikrogliazellen dauerhaft verändert.
Darüber hinaus stehen Mikroglia bereits seit Längerem in Verdacht, eine Rolle bei der Entstehung altersbedingter neurologischer Erkrankungen zu spielen. „Eine erstaunliche Erkenntnis der letzten Jahre ist, dass fast alle Risikofaktoren für die Alzheimererkrankung Veränderungen in Genen sind, die in Mikrogliazellen aktiv sind“, so Jucker. Wie die Zellen zur Krankheitsentwicklung beitragen können, ist noch unklar. „Der Alterungsprozess dieser Mikroglia könnte dabei von Bedeutung sein – und hierfür ist eine allgemein lange Lebensdauer dieser Hirnzellen die Voraussetzung.“
Die Anzahl der Mikrogliazellen ist im gesunden Gehirn immer etwa gleich. Bislang war in der Wissenschaft aber umstritten, ob es sich bei Mikroglia um kurzlebige Zellen handelt, die sich rasch teilen und erneuern oder um sich selten teilende, langlebige Zellen handelt. Bisherige Studien erlaubten nur indirekte Antworten oder führten zu widersprüchlichen Ergebnissen. Die Tübinger Hirnforscher beschlossen daher, der Frage auf den Grund zu gehen. Dafür markierte Erstautorin Dr. Petra Füger gezielt einzelne Mikrogliazellen in Mäusen und beobachteten die Zellen im Zeitverlauf unter dem 2-Photonen-Mikroskop. „Das Ergebnis unserer Untersuchung war völlig offen. In unserer Abteilung hatten wir eine Wette laufen. Die einzelnen Vorhersagen reichten von einigen Monaten bis zu mehr als einem Jahr“, berichtet Jucker. Tatsächlich zeigte die Hälfte der untersuchten Zellen eine errechnete Lebensdauer von bis zu 28 Monaten, was einem ganzen Mäuseleben entspricht. „Mit unserer Studie konnten wir den grundsätzlichen Beweis für die Langlebigkeit von Mikroglia erbringen“, so die Autoren.
Originalpublikation:
Füger et al. (2017): Microglia turnover with aging and in an Alzheimer´s model via long-term in vivo single-cell imaging. Nature Neuroscience, Online Vorabveröffentlichung am 28.08.2017
doi: 10.1038/nn.4631
Kontakt:
Prof. Dr. Mathias Jucker
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Universität Tübingen
Telefon +49 7071 29- 86863
mathias.jucker[at]uni-tuebingen.de
Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung
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