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09.11.2018
Analyse alter Genome zeigt bislang unbekannten Genfluss zwischen Nord- und Südamerika
Internationales Forschungsteam enthüllt unerwartete Details zur Besiedlungsgeschichte Mittel- und Südamerikas
Die erste umfangreiche Analyse alter Genome aus Mittel- und Südamerika belegt einen bedeutenden, bislang unbekannten frühen Bevölkerungsaustausch. Untersucht wurden dafür die Genome von bis zu 11.000 Jahre alten menschlichen Überresten von 49 prähistorischen Individuen. Die in der Fachzeitschrift Cell veröffentlichte Studie zeigt, dass ein markanter DNA-Typ, der mit der ersten weit verbreiteten archäologischen Kultur Nordamerikas (Clovis) verbunden ist, vor 11.000 bis 9.000 Jahren auch in Chile, Brasilien und Belize auftrat. Das heißt, dass die Menschen, welche die Clovis-Kultur verbreiteten, auch weiter südlich großen demografischen Einfluss hatten. Diese mit der Clovis-Kultur verbundene Linie fehlt jedoch bei späteren Südamerikanern. Das deutet auf einen Austausch der Bevölkerung des Subkontinents hin, der vor mindestens 9.000 Jahren begann.
Eine in dieser Woche in der Fachzeitschrift Cell veröffentlichte Studie liefert neue Details über die Besiedlungsgeschichte Mittel- und Südamerikas. Ein internationales Forschungsteam analysierte für diese Studie die Genome von 49 Individuen aus Mittel- und Südamerika, die vor bis zu 11.000 Jahren lebten. Bisher waren die einzigen Genome aus dieser Region, für die Daten in ausreichender Qualität vorlagen, weniger als 1.000 Jahre alt. Das Forschungsteam konsultierte lokale Regierungsbehörden und indigene Gemeinschaften und erhielt die offizielle Genehmigung, die menschlichen Überreste zu analysieren. Die Arbeiten des Tübinger Teams konzentrierten sich auf die Ausgrabungen eines Felsüberhangs in extremer Höhenlage in den peruanischen Anden. Unter der Leitung von Kurt Rademaker (Universität Tübingen/Michigan State University) wurden dort zahlreiche menschliche Skelette geborgen, die im Rahmen dieser Studie anthropologisch und genetisch untersucht wurden. Durch den Vergleich alter und heutiger Genome aus Amerika und anderen Teilen der Welt konnte das Team neue Erkenntnisse über die Frühgeschichte Mittel- und Südamerikas gewinnen.
Die Leitung der Studie lag beim Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, der Harvard Medical School, der University of California, Santa Cruz, der Pennsylvania State University, der University of New Mexico und der University of São Paulo. Darüber hinaus waren Mitglieder der DFG-Kollegforschergruppe „Words, Bones, Genes, Tools“ an der Universität Tübingen und Institutionen aus Argentinien, Australien, Belize, Brasilien, Chile, der Europäischen Union, Peru und den Vereinigten Staaten beteiligt.
Verbindung zwischen der "Clovis-Kultur" und frühen Mittel- und Südamerikanern
„Eine Schlüsselentdeckung war, dass ein etwa 12.800 Jahre altes, mit der Clovis-Kultur verbundenes Individuum aus Nordamerika eindeutige Abstammungsmerkmale mit den ältesten analysierten chilenischen, brasilianischen und belizischen Individuen teilt“, erklärt Cosimo Posth vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Erstautor der Studie. „Dies stützt die These, dass die Menschen, welche die Clovis-Kultur in Nordamerika verbreiteten, auch nach Mittel- und Südamerika gelangten.“
Diese Individuen aus dem Gebiet der heutigen Länder Chile, Brasilien und Belize lebten vor mehr als 9.000 Jahren. Individuen, die nach dieser Zeit lebten, und auch heutige Südamerikaner teilen die mit der Clovis-Kultur verbundenen Abstammungsmerkmale jedoch nicht. Ko-Studienleiter David Reich von der Harvard Medical School sagt: „Dies ist unsere zweite wichtige Entdeckung: Wir haben gezeigt, dass es auf dem gesamten Subkontinent einen Austausch der Bevölkerung gab, der vor mindestens 9.000 Jahren begann.“ Von dieser Zeit an gab es eine bemerkenswerte genetische Kontinuität von den bis zu 9.000 Jahre alten Individuen bis hin zu den heutigen Menschen in mehreren südamerikanischen Regionen. Im Gegensatz dazu gibt es in Westeurasien und Afrika nur wenige Regionen mit solch einer langen genetischen Kontinuität.
Mehr als 4.000 Jahre alte Verbindung zwischen Santa-Barbara-Inseln und südperuanischen Anden
Eine zweite bislang unbekannte Ausbreitungswelle von Menschen offenbarte sich durch eine weitere Analyse. Diese zeigte, dass die früheren Bewohner der kalifornischen Santa-Barbara-Inseln (auch Kanalinseln genannt) unverkennbar eine gemeinsame Abstammung mit den Menschen hatten, die sich vor mindestens 4.200 Jahren großflächig in den südperuanischen Anden ausbreiteten. Wahrscheinlich spiegelt dies jedoch nicht eine Migration der Menschen von den Kanalinseln nach Südamerika wider. Stattdessen nimmt das Forschungsteam an, dass die genetische Verbindung zwischen beiden Regionen auf einer Migration von Menschen beruht, die Tausende von Jahren zuvor stattfand. Erst in Folge späterer Ereignisse, so die Vermutung; breitete sich diese Abstammungslinie dann in den Anden weiter aus.
Nathan Nakatsuka von der Harvard Medical School, der zweite Hauptautor der Studie, sagt: „Es könnte sein, dass diese Abstammungslinie vor Tausenden von Jahren nach Südamerika gelangte und dass wir einfach keine älteren menschlichen Überreste haben, die das beweisen. Es gibt archäologische Belege dafür, dass die Bevölkerung der zentralen Anden sich in den letzten 5.000 Jahren weiter ausgebreitet hat. Ausbreitungen bestimmter Untergruppen während dieser Ereignisse könnten der Grund sein, warum wir diese Abstammung dann später erkennen.“ Hugo Reyes-Centeno, wissenschaftlicher Koordinator der Kollegforschergruppe Words, Bones, Genes, Tools“ fügt hinzu: „Es wird spannend sein, die Zusammenhänge zwischen Kalifornien und den Anden weiterhin mit linguistischen Daten zu beleuchten, da bereits in der Vergangenheit von historischen Sprachwissenschaftlern auf derartige Verbindungen hingewiesen wurde.“
Vielversprechende Aussichten durch Forschung an alter DNA in Amerika
Das Forschungsteam betont, dass seine Studie nur einen kleinen Eindruck davon gibt, welche Entdeckungen durch künftige Studien gelingen können. Um mehr über die anfänglichen Migrationen von Menschen nach Mittel- und Südamerika zu erfahren, wäre es notwendig, DNA von Individuen zu erhalten, die vor mehr als 11.000 Jahren lebten. Darüber hinaus ist das Bild selbst für den in dieser Studie am besten abgedeckten Zeitraum zwischen 11.000 und 3.000 Jahren vor heute bei weitem nicht vollständig. „Uns fehlen Daten aus Amazonien, dem Norden Südamerikas und der Karibik, so dass wir nicht untersuchen konnten, in welchem Verhältnis die Menschen aus diesen Regionen zu den von uns analysierten Individuen standen“, erklärt Reich. „Diese Lücken zu schließen, sollte eine Priorität unserer zukünftigen Forschung sein.“
„Wir freuen uns über das Potenzial der Forschung auf diesem Gebiet“, sagt Ko-Studienleiter Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. „Mit regional ausgerichteten Studien und großen Stichproben werden wir in Zukunft das Potenzial der Archäogenetik nutzen können, um zu zeigen, wie die menschliche Vielfalt entstanden ist, die wir heute in dieser Region sehen.“ Ko-Autorin Katerina Harvati, Mit-Projektleiterin der Kollegforschergruppe „Words, Bones, Genes, Tools“ in Tübingen, ergänzt: „Derartige Forschungen sind nur möglich durch die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern der verschiedensten Fächer, darunter Linguisten, Anthropologen, Genetiker und Archäologen.“
Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, der Harvard Medical School und der Universität Tübingen
Encuentre abajo una versión en español del comunicado de prensa para descargar.
Publikation:
Cosimo Posth*, Nathan Nakatsuka*, Iosif Lazaridis, Pontus Skoglund, Swapan Mallick, Thiseas C. Lamnidis, Nadin Rohland, Kathrin Nägele, Nicole Adamski, Emilie Bertolini, Nasreen Broomandkhoshbacht, Alan Cooper, Brendan J. Culleton, Tiago Ferraz, Matthew Ferry, Anja Furtwängler, Wolfgang Haak, Kelly Harkins, Thomas K. Harper, Tábita Hünemeier, Ann Marie Lawson, Bastien Llamas, Megan Michel, Elizabeth Nelson, Jonas Oppenheimer, Nick Patterson, Stephan Schiffels, Jakob Sedig, Kristin Stewardson, Sahra Talamo, Chuan-Chao Wang, Jean-Jacques Hublin, Mark Hubbe, Katerina Harvati, Amalia Nuevo Delaunay, Judith Beier, Michael Francken, Peter Kaulicke, Hugo Reyes-Centeno, Kurt Rademaker, Willa R. Trask, Mark Robinson, Said M. Gutierrez, Keith M. Prufer, Domingo C. Salazar-Garcia, Eliane Nunes Chim, Lisiane Müller Plumm Gomes, Marcony Lopes Alves, Andersen Liryo, Mariana Inglez, Rodrigo Elias Oliveira, Danilo V. Bernardo, Alberto Barioni, Veronica Wesolowski, Nahuel A. Scheifler, Mario A. Rivera, Claudia R. Plens, Pablo G. Messineo, Levy Figuti, Daniel Corach, Clara Scabuzzo, Sabine Eggers, Paulo DeBlasis, Markus Reindel, César Méndez, Gustavo Politis, Elsa Tomasto-Cagigao, Douglas J. Kennett+, André Strauss+, Lars Fehren-Schmitz+, Johannes Krause+, David Reich+: Reconstructing the Deep Population History of Central and South America, Cell, DOI: 10.1016/j.cell.2018.10.027
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