Aktuelles
18.07.2025
Von Erzurum nach Jerewan: Eine Reise durch das urartäische Reich
Studierende des Instituts für die Kulturen des Alten Orients auf Exkursion in der Türkei, Georgien und Armenien
Mit einer Gruppe von Studierenden des Instituts für die Kulturen des Alten Orients der Universität Tübingen (IANES) nahmen wir im vergangenen April an einer Exkursion durch die Länder Türkei, Georgien und Armenien teil. Unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Pfälzner, Professor für Vorderasiatische Archäologie, erkundeten wir die archäologischen Hinterlassenschaften der Urartäer.
Das urartäische Reich, das im 9. Jahrhundert v. Chr. seinen Anfang nahm und über zweihundert Jahre eine bedeutende Macht in Südwestasien war, prägte den Alten Orient in besonderer Weise. Gegründet von Sarduri I. im Jahr 840 v. Chr., entwickelte sich das Reich im Laufe der Zeit zu einer der mächtigsten Kräfte im Gebiet zwischen dem Kaspischen Meer und dem Euphrat. Während der Herrschaft der Könige Minua, Argišti I. und Sarduri III. erlebte das Reich seine größte Expansion, die von der Kernregion um den Vansee ausgehend bis nach Armenien und in den nordwestlichen Iran reichte. Trotz seiner kulturellen Blüte und wirtschaftlichen Bedeutung war das Reich immer wieder Bedrohungen durch die Assyrer, Kimmerer und Skythen ausgesetzt, die das urartäische Reich von verschiedenen Seiten bedrängten. Das von den Urartäern „Biainili“ genannte Reich war geprägt durch eine starke Militärmacht, eine hochentwickelte Metallindustrie und eine beeindruckende Architektur, die noch heute in Form von zahlreichen Festungen und Tempeln zu bewundern ist.
Tušpa, Hauptstadt der Urartäer
Ausgangspunkt der Exkursion war die türkische Stadt Erzurum in Ostanatolien. Nach einem freundlichen Empfang durch das dortige archäologische Institut gehörten eine verschneite Altstadt mit osmanischen und seldschukischen Medresen und Moscheen zu unseren ersten Eindrücken.
Von Erzerum aus führte unsere Tour u. a. über das hoch gelegene, die Ebene um Erzincan dominierende Altıntepe und das über dem Murat Su thronende Palu zum Höhepunkt der Türkeireise, in die alte urartäische Hauptstadt Tušpa, die größte Festung in Anatolien. In der heutigen Stadt Van und am Ostufer des gleichnamigen Sees gelegen findet sich dort mit der Gründungsinschrift Sarduris I. die älteste und mit den Annalen Argištis I. auch die längste Inschrift urartäischer Sprache. Daneben sind in den Fels geschlagene Königsgräber sowie ein alter Palast zu bestaunen. Direkt gegenüber der Zitadelle, von der aus man einst die Geschicke des Königreichs von Urartu lenkte, befindet sich im Museum von Van der Welt größte Sammlung an urartäischen Artefakten. Reliefs, Bronzeplatten und Figurinen zeugen vom ausgeprägten Kunsthandwerk der Urartäer.
Den Abschluss des ersten Teils unserer Exkursion bildete Ani, die Stadt der 1000 Kirchen. Ihre lange wechselvolle Geschichte von der Bronzezeit bis ins 18. Jh. war geprägt von verschiedenen Eroberungen etwa durch Ummayaden, Bagratiden oder Byzantiner. Noch heute zeigen sowohl die Vielzahl unterschiedlicher Gebäude als auch die innovative Architektur einzelner Bauwerke die vielfältigen kulturellen Einflüsse, die in Ani wirkten.
Georgien: Vielfalt der Kulturen und Religionen
Einen Einblick in die reiche Geschichte und Kultur Georgiens bietet die Kleinstadt Achalziche im Südwesten des Landes, die uns als Zwischenstation von der Türkei nach Armenien diente. In der Festung der Stadt offenbaren sich auf engstem Raum Einflüsse verschiedener Kulturen und Epochen, die Georgien in seiner langen Geschichte maßgeblich prägten. Neben der Festung befinden sich im Stadtgebiet mehrere armenische Kirchen, Synagogen und Moscheen sowie weitere historische Denkmäler, die von der religiös-politischen Vielfalt der Region über die Jahrhunderte hinweg zeugen.
Monumentale Baukunst
Für die Zeit des urartäischen Reiches gibt es unzählige Fundorte in Armenien. Zu den um den Sewan-See gelegenen Stätten und Felsinschriften gesellen sich zahlreiche Fundorte in und um Jerewan. Nennenswert sind hier vor allem Metsamor, Karmir Blur und das in Jerewan gelegene Erebuni, dem die armenische Hauptstadt wahrscheinlich ihren heutigen Namen zu verdanken hat. Diese antiken Städte zeugen von der monumentalen Baukunst der Urartäer und weisen hinsichtlich der Ausstattung der Siedlungen und der Bauweise klare Parallelen, aber auch lokale Unterschiede zu den von uns in der Osttürkei besuchten Fundorten auf. So bestehen neben den uratäischen Einflüssen lokale Traditionen früherer Epochen auch in der urartäischen Zeit fort und überdauern diese sogar, was die kulturelle Eigenständigkeit der Region innerhalb des Reichs von Urartu verdeutlicht.
Armenien ist reich an historischen Fundstätten verschiedenster Epochen. Neben unserem Fokus auf die Hinterlassenschaften des urartäischen Reiches waren Besuche in den ehemaligen armenischen Residenz- und Hauptstädten Garni, Dvin und Khor Virap sowie im nahe der heutigen Hauptstadt Jerewan gelegenen Kloster Geghard und im malerisch am Sewan-See gelegenen Kolster Sewanawank daher ein Muss. Auch Fundorte älterer, vorurartäischer Epochen durften bei einer archäologischen Exkursion nicht fehlen. Dazu zählt u. a. der frühbronzezeitliche Fundort Artanish am Nordufer des Sewan-Sees, der von Dr. René Kunze der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg untersucht wird, der uns selbst vor Ort führte. Spannend war auch der Besuch des vor allem für seine exzeptionell gut erhaltenen Wagenbestattungen bekannte Fundorts Lchashen, dessen heutiger Ausgräber Dr. Ben Vardanyan vom armenischen „Institute of Archaeology and Ethnography“ uns den Fundort vorgestellt hat.
Die reichhaltige Geschichte Armeniens, in die wir durch die Besuche der archäologischen und historischen Stätten tiefe Einblicke bekommen konnten, offenbart sich zudem in den sehenswerten Museen des Landes in einzigartiger Weise. Vor allem das „History Museum of Armenia“ und das „National Museum of Armenian Ethnography and History of the Liberation Struggle“ zeigen die lange, wechselhafte Geschichte des Landes von der Frühzeit bis in die heutige Zeit auf. Für die urartäische Zeit besitzen die Museen eine umfangreiche Sammlung, die mit mehreren Königsinschriften, Kleinfunden wie Figurinen, Schmuckobjekten, Keramik und Militärausrüstung sowie vielen weiteren interessanten Funden einen umfassenden Einblick in die materielle Kultur des Reichs von Urartu geben.
Wertvolle Beiträge zur wissenschaftlichen Ausbildung
Unsere Exkursion führte uns vor Augen, wie wichtig es für Studierende und Forschende der Vorderasiatischen Archäologie ist, archäologische Fundorte zu besuchen und mit eigenen Augen zu erfassen, um sie in ihrer Struktur und Lage sowie in ihrem geographischen Umfeld zu verstehen. Die wissenschaftlichen Diskussionen vor Ort mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie den Dozierenden über Funde und Befunde sind ein wesentlicher Bestandteil einer solchen Exkursion. Sie erweitern nicht nur das Wissen und die Denkmälerkenntnis in besonderer Weise, sondern stärken auch die methodischen Kenntnisse. Von großem Wert ist zudem auch der Besuch der modern ausgestatteten Museen dieser Länder, die eine intensive Auseinandersetzung mit den Objekten erlauben, was durch ein Studium der Objekte in Büchern allein nicht zu gewinnen ist. Ein Schild am Eingang der im Stadtgebiet von Jerewan, unmittelbar am Jerewan-See gelegenen frühbronzezeitlichen Ruinenstätte von Shengavit, fasst es zumindest für Armenien treffend in einem Satz zusammen: „Armenia is an open-air museum“. Für jeden Studierenden der Archäologie ist eine Exkursion dieser Art nicht nur ein unvergessliches Erlebnis, sondern auch ein wesentlicher Beitrag zur wissenschaftlichen Ausbildung.
Fabian E. Werner & Joel D. Fahrbach
Institut für die Kulturen des Alten Orients (IANES)
Abteilung für Vorderasiatische Archäologie
fa.wernerspam prevention@student.uni-tuebingen.de, joel.fahrbachspam prevention@student.uni-tuebingen.de