attempto online Forschung
07.09.2023
Aufgeräumte Zellen verlängern das Leben
Die Zellbiologin Tassula Proikas-Cezanne untersucht die Steuerung geregelter Abbauprozesse und deren Funktion für den gesamten Organismus
Mit dem Begriff Autophagie wird ein Prozess in Zellen bezeichnet, der für den Abbau und die Wiederverwertung von Proteinen und anderen Zellbestandteilen sorgt. Autophagie bedeutet „sich selbst verzehrend“ – das klingt nach Untergang und Ende. Doch weit gefehlt. „Kürzlich wurde festgestellt, dass die Körperzellen hundertjähriger Menschen ein bestimmtes Protein namens WIPI1, das die Autophagie anregt, in vergleichsweise hohen Mengen produzieren“, berichtet Professorin Tassula Proikas-Cezanne vom Interfakultären Institut für Zellbiologie der Universität Tübingen. „Als Postdoc habe ich das WIPI1-Protein als Mitglied einer neuen Genfamilie entdeckt und darauf aufbauend die Autophagie-Forschung meiner Arbeitsgruppe entwickelt.“
Doch warum könnte eine hohe Autophagieaktivität günstig sein, und wie hängt sie mit Langlebigkeit zusammen? „Je älter ein Lebewesen wird, desto mehr Zellbestandteile können beschädigt sein, weil sie nicht effizient repariert wurden und sich mit der Zeit anreichern. Auch neu gebildete Zellbestandteile können fehlerhaft produziert worden sein, weil sich zum Beispiel das Erbgut der Zelle verändert hat, was zur Entstehung von Krebszellen führen kann. All diese Last fehlerhafter Moleküle muss möglichst wieder aus den Zellen des Körpers entfernt werden“, erklärt Proikas-Cezanne. Die Autophagosomen, in denen Ab- und Umbau von Zellbestandteilen stattfinden, funktionierten dabei nicht einfach wie ein Müllschlucker, sondern es handele sich um einen penibel regulierten Prozess des „Recycling“, mit Mülltrennung und Wiederverwertung. Zahlreiche Erkrankungen sind im Zusammenhang mit einer gestörten Autophagie zu sehen, wie etwa die Alzheimer-Krankheit oder die Metastasenbildung bei Tumoren. „Das macht deutlich, dass nicht nur zelluläre Aufbauprozesse lebenswichtig sind, sondern dass auch die Aufräumarbeit in den Zellen für die Funktion des ganzen Systems entscheidend ist“, sagt die Forscherin.
Auf den Wurm gekommen
Nach ihrem Forschungsobjekt befragt, wartet Tassula Proikas-Cezanne mit einer Überraschung auf: Sie untersucht die Autophagie an einem Wurm, dem nur einen Millimeter langen Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Mensch und Wurm – wie passt das zusammen? Wo der Laie so viele Unterschiede sieht, dass er kaum weiß, wo er mit der Aufzählung beginnen soll, betont die Wissenschaftlerin die Ähnlichkeiten: „Der Aufbau der einzelnen Zellen ist bei beiden Arten prinzipiell gleich, sie haben – wie alle vielzelligen Lebewesen – einen echten Zellkern und Organelle, das heißt Organe innerhalb der Zellen. Auch die Stoffwechselwege zum Auf- und Abbau von Baumaterial sowie der Gewinnung von Energie sind in den Grundzügen vergleichbar, so auch die Autophagie“, sagt sie. „Natürlich ist ein Fadenwurm viel einfacher aufgebaut und besitzt viel weniger Zellen als ein Mensch. Das macht ihn als Modellorganismus in der Forschung deutlich besser überschaubar.“
In ihrer neuen Studie hat sie gemeinsam mit ihrer Arbeitsgruppe untersucht, welche Faktoren die tatsächlich vorhandene Menge von WIPI1 in den Zellen bestimmen. „Wir haben einen Signalweg entdeckt, der reguliert, wie viel WIPI1 die Zelle produziert, um dadurch die Autophagie zu fördern“, sagt Proikas-Cezanne. „Das geschieht teilweise auch dadurch, dass WIPI1 die Bildung von Membranen für die Autophagosomen stimuliert. Diese können dann über winzige Tunnel in Nachbarzellen mit niedriger Autophagieaktivität wandern und dort die Autophagieaktivität verstärken.“ Wenn man den Signalweg, der die Menge an WIPI1 niedrig hält, ausschaltet, wird die Autophagie gesteigert und „dies unterstützt insgesamt ein längeres Leben – so ist es zumindest bei den Fadenwürmern“, sagt die Forscherin. „Im Hinblick auf den Menschen könnte man vorsichtig spekulieren, dass der von uns identifizierte Signalweg, der WIPI1 reguliert, künftig beeinflusst werden kann, um möglicherweise die Autophagie im Alter anzuregen.“
Janna Eberhardt/Hochschulkommunikation
Publikation:
Katharina Sporbeck, Maximilian L. Haas, Carmen J. Pastor-Maldonado, David S. Schüssele, Catherine Hunter, Zsuzsanna Takacs, Ana L. Diogo de Oliveira, Mirita Franz-Wachtel, Chara Charsou, Simon G. Pfisterer, Andrea Gubas, Patricia K. Haller, Roland L. Knorr, Manuel Kaulich, Boris Macek, Eeva-Liisa Eskelinen, Anne Simonsen & Tassula Proikas-Cezanne: The ABL-MYC axis controls WIPI1-enhanced autophagy in lifespan extension. Communications Biology, https://doi.org/10.1038/s42003-023-05236-9
Kontakt:
Prof. Dr. Tassula Proikas-Cezanne
Universität Tübingen
Interfakultäres Institut für Zellbiologie (IFIZ)
Telefon +49 7071 29-78897
tassula.proikas-cezannespam prevention@uni-tuebingen.de