Uni-Tübingen

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27.11.2025

Erfolg beim Eliteprogramm für Postdocs der Baden-Württemberg Stiftung

Förderung für Projekte in der Kunstgeschichte und den Geschichtswissenschaften

Die Baden-Württemberg Stiftung fördert zwei Tübinger Forschungsprojekte mit ihrem „Eliteprogramm für Postdocs“: Dr. Saskia C. Quené (Kunstgeschichte) und Dr. Sabine Hanke (Geschichtswissenschaften) erhalten für die Laufzeit von maximal drei Jahren bis zu 200.000 Euro für eigene Forschungsvorhaben.

Das Programm unterstützt exzellente junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Qualifizierungsphase nach der Promotion, um wissenschaftliche Eigenverantwortung und Selbstständigkeit zu stärken. Übergeordnetes Ziel ist es, die Attraktivität Baden-Württembergs für die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu erhöhen und sie als hochqualifiziertes Personal für die Hochschulen gewinnen zu können.

„Feathers of Empire: Commodifying and Conserving Nature during the 19th Century“

(Dr. Sabine Hanke, Geschichtswissenschaften)

Das Forschungsprojekt FEATHERS OF EMPIRE untersucht die Verflechtungen von Natur, Kultur und Gesellschaft während des Hochimperialismus (1860er–1920er) anhand der Geschichte zweier Vogelarten: der Paradiesvögel aus Neuguinea und der Strauße aus Südafrika. Vögel spielten in der europäischen Wissensgeschichte eine besondere Rolle – als Inspirationsquelle für Kunst und Wissenschaft, als Handelsware und als Symbol für ökologische Veränderungen. Ihre Federn waren begehrte Luxusgüter, die globale Wirtschaft und weitreichende koloniale Netzwerke maßgeblich beeinflussten. Doch ihre biologische Beschaffenheit – sei es das schwer zugängliche Habitat der Paradiesvögel, ihr besonderes Paarungsritual, oder die Anpassungsfähigkeit des Straußes an Farmhaltung – prägte wiederum die Art und Weise, wie sie gejagt, gezüchtet und gehandelt wurden.

Das Projekt verbindet imperiale Wirtschafts-, Umwelt- und Wissensgeschichte und untersucht die Bedeutung von Tieren als Akteure in kolonialen Systemen. FEATHERS OF EMPIRE kombiniert zwei Fallstudien: Die erste beleuchtet die Jagd und den Handel mit Paradiesvögeln im europäischen-pazifischen Raum anhand der Insel Neuguinea, die zweite analysiert die Straußenfarmen der Kapkolonie und deren Verflechtung mit dem europäischen Markt. Durch diesen vergleichenden Ansatz zeigt das Projekt auf, wie imperialistische Expansion nicht nur durch den menschlichen Willen zur Beherrschung der Natur bestimmt wurde, sondern auch durch ökologische Bedingungen und tierisches Verhalten mitgeformt wurde.

Methodisch stützt sich die Untersuchung auf die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT), um aufzuzeigen, wie Menschen, Tiere, Handelsnetzwerke und Wissenschaftsstrukturen in Wechselwirkung standen. Das Projekt analysiert umfangreiche Quellenbestände, darunter Reiseberichte, Naturkundearchive, Museumsdokumente sowie indigene Wissenspraktiken. Ziel ist es, die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Mechanismen der Ressourcennutzung im Kolonialismus neu zu bewerten und die Rolle von Tieren als historische Akteure sichtbar zu machen. 

Mit seinem transimperialen und interdisziplinären Ansatz leistet FEATHERS OF EMPIRE einen wichtigen Beitrag zur Umwelt- und Wissensgeschichte, zur kolonialen Globalgeschichte und zur aktuellen Debatte über das Erbe kolonialer Naturausbeutung. Durch Kooperationen mit Museen, einer Projektwebseite und die Erstellung einer Open-Access-Datenbank wird das Projekt zudem einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Sabine Hanke wurde im Januar 2021 an der University of Sheffield (UK) in Geschichte promoviert. Bevor sie im Oktober 2023 an die Universität Tübingen kam, war sie Postdoktorandin an der Universität Duisburg-Essen im Arbeitsbereich „Globale Mobilität (18.–20. Jahrhundert)“. Sabine Hanke engagiert sich ebenfalls für Public History und arbeitet regelmäßig mit Museen und zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammen, um postkoloniale Geschichte(n) kritisch zu reflektieren und deren Auswirkungen auf die Gegenwart sichtbar zu machen.

„Formen der Zeit: Zur Erfindung der Zeitmatrix im Mittelalter“

(Dr. Saskia C. Quené, Kunstgeschichte)

Wie lässt sich etwas so Flüchtiges wie Zeit im Bild sichtbar machen? Und welchen Beitrag können digitale Methoden dazu leisten, vormoderne Imaginationen von Temporalität zu visualisieren? Das Projekt FORMEN DER ZEIT untersucht, wie im 9. und 10. Jahrhundert Zeit auf der Fläche geordnet und gezeigt wurde. Im Zentrum stehen Diagramme – neuartige „Zeitmatrizen“, die nicht nur Abfolgen von Ereignissen darstellen, sondern Zeit als eigene Größe erfassen. Diese Diagramme finden sich in Handschriften, in denen kosmologisches und musikalisches Wissen eng miteinander verknüpft ist. Leitend ist somit auch die Frage, wo die Verbindung kosmologischer und musikalischer Modelle im Quadrivium besonders produktiv zur Herausbildung neuer temporaler Matrizen beigetragen hat. 

FORMEN DER ZEIT erschließt mittelalterliche Diagramme des Quadriviums mit digitalen Verfahren neu. In Kooperation mit Zoltán Bereczki (University of Debrecen) werden historische Zeitstrukturen mittels parametrischer Modellierung und Monte-Carlo-Simulationen systematisch konstruiert und in dynamische, digitale Modelle überführt. So werden die prozessualen und prozeduralen Dimensionen der Diagramme anschaulich und experimentell erfahrbar. Auf diese Weise verbindet FORMEN DER ZEIT mediävistische Grundlagenforschung mit innovativen digitalen Visualisierungs- und Analysetools und schärft den Blick dafür, wie unsere heutigen Notations- und Darstellungssysteme zeitlicher Abläufe zu vormodernen Wissenskulturen in Beziehung stehen – und wie sich eine visuelle Metaphysik der Zeit im Mittelalter beschreiben lässt.

Saskia C. Quené ist seit 2023 am Kunsthistorischen Institut der Universität Tübingen tätig. Nach ihrem Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin promovierte sie 2020 an der Universität Basel mit der Arbeit „Goldgrund und Perspektive. Fra Angelico im Glanz des Quattrocento“, die seitdem mehrfach ausgezeichnet wurde. Ihr aktuelles Habilitationsprojekt „Zeit Sehen. Formen imaginierter Temporalität im Quadrivium (800–1200)“ profitierte von Forschungs- und Lehrtätigkeiten an der Universität Bern, der University of California, Berkeley und am Centre for Medieval Studies der Universiteit Utrecht.

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