Uni-Tübingen

attempto online

24.05.2023

„Momentum“-Förderung der Volkswagen-Stiftung geht gleich drei Mal an die Universität Tübingen

Sigrid G. Köhler, Andreas Geiger und Alexander Weber erhalten jeweils mehr als 700.000 Euro zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung ihrer Professuren

Gleich drei Mal geht die „Momentum“-Förderung der Volkswagen-Stiftung für erstberufene Professorinnen und Professoren in diesem Jahr an die Universität Tübingen: Die Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft Sigrid G. Köhler vom Deutschen Seminar, der Professor für Autonomes Maschinelles Sehen Andreas Geiger aus dem Fachbereich Informatik und Professor Alexander Weber vom Interfakultären Institut für Zellbiologie erhalten die Förderung, um ihre Professuren an die Erfordernisse ihrer Forschung besser anzupassen. Die Momentum-Förderung umfasst einen Zeitraum von vier Jahren und eine Fördersumme von bis zu 800.000 Euro. Eine Weiterbewilligung von zwei Jahren ist möglich. Deutschlandweit hat die Volkswagen-Stiftung in diesem Jahr nur 13 Anträge bewilligt.

Neuere deutsche Literaturwissenschaft aus der Perspektive von Globalität und Diversität

Sigrid G. Köhler will mit ihrem Momentum-Vorhaben „Globalität und Diversität als Leitkategorien der Neueren deutschen Literaturwissenschaft“ die Literaturgeschichtsschreibung und Methodik der Neueren deutschen Literaturwissenschaft neu ausrichten. Sie erhält 735.000 Euro. 

Literatur und Literaturgeschichte sind Teil und Medium des kulturellen Archivs. Sie speichern und vermitteln kulturelles Wissen und generieren kollektive Selbstnarrative, die Vergangenheit und Gegenwart formen und in die Zukunft wirken. Was Eingang ins kulturelle Archiv findet, etwa als Teil des literarischen Kanons, aber auch vermittelt durch andere kulturelle Medien, ist entscheidend für die Selbst- und Weltwahrnehmung einer Gesellschaft, die Zuschreibung von Zugehörigkeit und Identität wie auch für Exklusionsprozesse. „Diese Selektionsprozesse verändern sich jedoch in einer durch Migration, Globalität und Diversität geprägten Welt“, erklärt die Wissenschaftlerin, „und sie müssen dies tun, wenn gesellschaftliche Selbstbeschreibungen und das kulturelle Archiv inklusiv sein sollen.“

Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Transformationen forderten auch historisch ausgerichtete geisteswissenschaftliche Fächer heraus. Die Literaturwissenschaft als Disziplin, die sich mit Literatur- und Kulturgeschichte wie auch mit Ästhetik in Sinne von ‚aisthesis‘ befasst und nach ästhetischen Formen und Praktiken fragt, hält Sigrid G. Köhler vor diesem Hintergrund für prädestiniert, Prozesse und Medien der Selbstbeschreibung kritisch zu analysieren. „In der germanistischen Literaturwissenschaft haben solche Fragen bisher vor allem Einzug in die Forschung zur Gegenwartsliteratur und zur Literatur der zweiten Hälfe des 20. Jahrhunderts gehalten, wenig bis gar nicht darüber hinaus“, sagt sie. 

Ihr Ziel ist es, nach dem Welt- und Diversitätswissen der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts zu fragen und ihre Darstellungs- und Vermittlungsverfahren zu erforschen, um auf diese Weise die Genealogien offenzulegen, die zu den gesellschaftlichen Debatten und Fragen von heute führen. Sie will nachhaltige Vermittlungsformen für eine globalitäts- und diversitätsorientierte Literaturwissenschaft in Forschung und Lehre entwickeln. Dabei wird sie mit Germanistiken unter anderem in Togo, Namibia, Südafrika und den USA kooperieren.

Den Überblick behalten durch lernbasierte wissenschaftliche Dokumentenanalyse

Andreas Geiger forscht an Problemen der künstlichen Intelligenz, insbesondere an der Schnittstelle des Computersehens, des maschinellen Lernens und der Robotik. Sein Momentum-Vorhaben trägt den Titel „Beschleunigte Forschung durch lernbasierte wissenschaftliche Dokumentenanalyse“. Es wird mit 786.000 Euro gefördert. 

Als Ausgangspunkt für die Ausweitung seiner Professur stellt er fest, dass der Umfang der wissenschaftlichen Literatur selbst auf Spezialgebieten so stark angewachsen ist, dass einzelne Forschende sie nicht mehr überblicken können. „Dadurch wird der Fortschritt insgesamt behindert“, sagt Andreas Geiger. „Es kann passieren, dass Forscherinnen und Forscher parallel an gleichen oder ähnlichen Ansätzen arbeiten, ohne voneinander zu wissen. Oder es werden Zusammenhänge übersehen beziehungsweise wichtige Verbindungen nicht geknüpft.“ 

Geiger will sein Forschungsgebiet auf neuartige Modelle ausweiten, die natürliche Sprache verarbeiten und diese Informationen für eine tiefgehende semantische Analyse wissenschaftlicher Artikel anwenden können. Dabei sollen neue Algorithmen und Modelle entwickelt werden, die wissenschaftliche Literatur selbständig auf semantischer Ebene analysieren können. „Dieses Sprachmodell soll allgemein für die Wissenschaft verfügbar werden“, sagt der Forscher. Um die Verarbeitung wissenschaftlicher Dokumente und die Extraktion von Informationen weiter voranzutreiben, wird er mit seiner Arbeitsgruppe neue Datensätze erstellen. 

„Die Webanwendung, an der wir arbeiten, soll der Wissenschaftsgemeinde als wertvolles Tool zur Verfügung stehen.“ Im Moment könne der Prototyp nur Fachartikel aus sieben Untergebieten der Informatik verarbeiten. „Dieses System möchte ich nun in seinem Umfang und seinen Möglichkeiten erweitern, um aus noch größeren Datenmengen zu lernen und die Ergebnisse einer großen Zahl an Nutzerinnen und Nutzern zugänglich zu machen.“

Das menschliche Immunsystem besser verstehen

Alexander Weber, Professor für Innate Immunity, forscht an der angeborenen Immunität (englisch „innate immunity“), dem schnellen ersten Erkennungs- und Reaktionsarms des menschlichen Immunsystems. In seinem Fokus liegen besonders die sogenannten Mustererkennungsrezeptoren (PRR), zelluläre Sensoren, die mikrobielle oder andere potenzielle Gefahren erkennen und Immunreaktionen auslösen. Als erster Schritt sind PRRs in Immunprozessen wichtige Schalter des Immunsystems bei Gesundheit und Krankheit.

 „Das Wissen über diese Rezeptoren ist sehr wertvoll, um Krankheiten besser zu verstehen oder sogar zu behandeln“, sagt Alexander Weber. „Leider wurde vieles von dem, was wir über die PRRs wissen, anhand von relativ künstlichen Krebszellkulturen oder in Mausexperimenten gewonnen, so dass sich Erkenntnisse oft nur schwer auf gesunde Menschen oder Patienten übertragen lassen“. Mit seinem VW Momentum-Projekt möchte er eine größere Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen auf das Immunsystem des Menschen erreichen. Er erhält 799.000 Euro.

Unter dem Titel „InnatelyHuman - Omics-Bioinformatik und Gen-Editierung von Vorläuferzellen des menschlichen Immunsystems“ möchte der Forscher neueste experimentelle und bioinformatische Methoden implementieren und nutzen, um PRRs in der Umgebung verschiedener primärer Immunzellen und in großen Datensätzen genauer zu untersuchen. Insgesamt zielt das Projekt darauf ab, völlig neue Einblicke in die Funktion von PRRs in ihrer natürlichen Umgebung sowohl unter infektiösen als auch sterilen Bedingungen zu gewinnen. Diese könnten Ausgangspunkt für neue diagnostische oder therapeutische Ansätze sein, die sich auf PRRs und die angeborene Immunität konzentrieren.

Die Momentum-Förderung

Die Volkswagen-Stiftung richtet sich mit der Momentum-Förderlinie an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachgebiete in den ersten drei bis fünf Jahren nach Antritt ihrer ersten Lebenszeitprofessur. Mit der hochdotierten Förderung sollen im Wissenschaftsbetrieb Freiräume für neues Denken in Forschung und Lehre im Universitätsalltag eröffnet werden. Der Fokus liegt darauf, die Vielfalt der Forschung und die Kreativität von Forscherpersönlichkeiten in deutschen Universitäten sowie die strategische Weiterentwicklung der entsprechenden Organisationseinheit zu stärken. Gefördert werden Konzepte zur strategischen und inhaltlichen Weiterentwicklung der Professur. Die Bezeichnung „Momentum“ wählte die Volkswagen-Stiftung mit der Wortbedeutung des entscheidenden Augenblicks und für den englischen Begriff der physikalischen Größe für den Impuls.

Janna Eberhardt/Hochschulkommunikation
 

Kontakt:
Prof. Dr. Sigrid G. Köhler
Universität Tübingen
Deutsches Seminar
Telefon +49 7071 29-74260
sigrid.koehler@uni-tuebingen.de 

Prof. Dr. Andreas Geiger
Universität Tübingen
Fachbereich Informatik
Telefon +49 7071 29-70834
a.geiger@uni-tuebingen.de 

Prof. Dr. Alexander Weber
Universität Tübingen
Interfakultäres Institut für Zellbiologie
Telefon +49 7071 29-87623
alexander.weber@uni-tuebingen.de 

Zurück