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23.08.2024

Vielfalt von Pflanzen ist in Wüsten unerwartet groß

Lehrstuhl für Vegetationsökologie beteiligt an großangelegter internationaler Studie zu Auswirkungen des globalen Wandels auf Trockengebiete

Cover von Nature, Volume 632 Issue 8026, 22 August 2024

Pflanzen verfügen über ein breites Spektrum an Strategien, um auch in Trockengebieten ihr Überleben zu sichern – und die Vielfalt dieser Strategien steigt sogar in Regionen mit zunehmender Trockenheit. Die Diversität von Formen, Anpassungsstrategien und Elementkonzentrationen in diesen extremen Habitaten übersteigt dasjenige in humiden Gebieten um ein Vielfaches! Dieses überraschende Ergebnis erhielt ein Team aus 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 27 Ländern in einer großangelegten Studie, die vom französischen Nationalen Forschungsinstitut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt (INRAE) koordiniert wurde.

Die Studie zur Anpassung von Pflanzen an das Leben in Trockengebieten lief über einen Zeitraum von acht Jahren. Dabei wurden – erstmals in dieser Größenordnung – Proben von mehreren Hundert Flächen von allen Kontinenten außer der Antarktis gesammelt; 1.300 Einzelbeobachtungen von mehr als 300 ausdauernden Pflanzenarten gingen in die Analysen ein. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Professorin Katja Tielbörger vom Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen waren mit mehreren Stationen beteiligt und lieferten Daten aus Palästina, Chile und Südafrika. Die Studienergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Die Vielfalt bei Pflanzen ergab sich dabei sich aus einem weiten Spektrum an Formen und Funktionen, in der Gestalt, der Physiologie und Biochemie. Einige dieser Eigenschaften, wie zum Beispiel die chemische Zusammensetzung des Pflanzenmaterials, sind bisher wenig untersucht worden. Auch umfasst das meiste aktuelle Wissen über die funktionelle Diversität von Pflanzen vorrangig gemäßigte Breiten. Dies ist überraschend, weil Trockengebiete 45 Prozent der Landfläche der Erde umfassen. „Es wird vielfach behauptet, dass diese Gebiete wegen zunehmender Trockenheit und höherem Beweidungsdruck von Wüstenbildung bedroht sind. Daher ist es wichtig zu verstehen, wie Pflanzen auf solchen Druck reagieren, oder inwieweit sie vorangepasst sein können“, nennt Katja Tielbörger eine Motivation für die Studie.

Gegenteilige Ausgangshypothese

Eine Schlüsselhypothese zu Beginn war, dass Trockenstress die Pflanzenvielfalt durch Selektion reduzieren würde, sodass nur eng an extremen Wassermangel und Hitzestress angepasste Arten überleben. „Das Gegenteil war jedoch der Fall – gerade in den allertrockensten Weidegebieten zeigte sich ein starker Anstieg in der Vielfalt der pflanzlichen Eigenschaften”, berichtet Katja Tielbörger. Zum Beispiel hielten manche Pflanzen in ihren Zellen und Geweben einen hohen Kalziumgehalt aufrecht. Dies kann ein Zurückhalten von Wasser erleichtern und somit das Austrocknen von Zellwänden verlangsamen. Zwar sind in Trockengebieten auf lokaler Ebene weniger Pflanzenarten anzutreffen als in anderen Erdregionen der gemäßigten oder tropischen Zonen, doch haben die Pflanzen auf regionaler Ebene in Trockengebieten eine außerordentliche Vielfalt an Formen, Größen und Funktionen entwickelt. „Diese Merkmalsvielfalt der Pflanzen war in unserer Studie in Trockengebieten doppelt so groß wie in gemäßigteren klimatischen Zonen“, sagt die Wissenschaftlerin.

Die Diversität der Merkmale stieg dabei plötzlich an dem Punkt, an welchem die mittleren Jahresniederschläge unter einen Schwellenwert von 400 Millimetern im Jahr sinken. Dies ist auch die Schwelle für eine deutliche Reduzierung der Pflanzenbedeckung auf unter 50 Prozent und das Sichtbarwerden großer Bereiche nackten Bodens. Ein Teil der Autorinnen und Autoren glaubt, dass die Tatsache, dass Pflanzen in Wüsten weniger Nachbarn haben, die Entwicklung von einer großen Vielfalt von Strategien zur Anpassung an Extrembedingungen befördert. Die Erklärung dieser Strategievielfalt ist jedoch nicht einfach, da es sich um evolutionäre Prozesse handelt, die auf langen Zeitskalen stattgefunden haben. Womöglich begannen sie bereits mit der erstmaligen Besiedlung des Landes durch Pflanzen vor mehr als 500 Millionen Jahren. Diese trockenen Habitate machten für die Lebewesen damals eine Anpassung an extreme und schwankende Bedingungen notwendig.

Katja Tielbörger nennt einen weiteren Ansatz zur Erklärung der Vielfalt: „Typisch für Trockengebiete ist auch, dass es nicht immer trocken ist, sondern im Gegenteil bei seltenen ergiebigen Niederschlägen bisweilen sogar sehr feucht. Die Pflanzen in Trockengebieten müssen also sowohl mit trockenen als auch sehr feuchten Bedingungen klarkommen und ‚wissen‘, wie sie zum Beispiel Erfolge bei der Fortpflanzung aus feuchten Jahren in trockene hinüberretten.“

Die Studie offenbart, wie wichtig Trockengebiete als globales Reservoir für die funktionelle Diversität von Pflanzen sind. Da Vielfalt die Hauptversicherung gegen schnelle Umweltveränderungen darstellt, könnten somit entgegen mancher Annahmen Pflanzengemeinschaften in Trockengebieten besonders resistent oder resilient gegen den Klimawandel sein.

Was sind Trockengebiete?

Trockengebiete sind Bereiche der tropischen und gemäßigten Zonen mit einer Ariditätskennzahl unter 0,65 – in diesem Trockenheitsindex werden die Niederschlags- und die Verdunstungsmenge eines Gebiets ins Verhältnis gesetzt. Trockengebiete machen 45 Prozent der Landflächen der Erde aus und beherbergen etwa ein Drittel der menschlichen Bevölkerung. Sie umfassen sub-humide, semi-aride, aride und hyper-aride Ökosysteme wie zum Beispiel mediterrane Gebiete, Steppen, Savannen und Wüsten.

Nach einer Pressemitteilung des INRAE/Janna Eberhardt, Hochschulkommunikation
  

Publikation:

Nicolas Gross, Fernando T. Maestre, Pierre Liancourt et al.: Unforeseen plant phenotypic diversity in a dry and grazed world. Nature, https://doi.org/10.1038/s41586-024-07731-3

Kontakt:

Prof. Dr. Katja Tielbörger
Universität Tübingen
Institut für Evolution und Ökologie
Telefon  +49 7071 29-74246
katja.tielboergerspam prevention@uni-tuebingen.de

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