Uni-Tübingen

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21.06.2018

Erste historische Syphilis-Genome entziffert

Forscher bergen drei Genome des Bakteriums Treponema pallidum aus menschlichen Überresten der Kolonialzeit in Mexiko – Unterarten in Erreger der Syphilis und der Frambösie unterschieden

Knochenüberreste von Individuum 94A, einem sechs Monate alten Kind, das mit Syphilis infiziert war. Das Skelett weist charakteristische Zeichen einer Erkrankung durch Treponema-Bakterien auf. Bildnachweis: Rodrigo Barquera. Santa Isabel collection, Lab. of Osteology, ENAH, Mexico (Genehmigung No. 401.15.3-2017/1065 INAH).

Ein internationales Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, der Universität Tübingen, der National School of Anthropology and History in Mexiko-Stadt sowie der Universität Zürich hat die bisher ältesten Genome des Bakteriums Treponema pallidum entdeckt, das Syphilis verursacht. Es wurde bisher nicht für möglich gehalten, das Bakterium aus alten Proben zu bergen. Der neue Fund eröffnet die Möglichkeit, die Herkunft und Evolution dieser wieder in Ausbreitung befindlichen Krankheit direkt zu untersuchen. In der Studie, die in der Fachzeitschrift PLOS Neglected Tropical Diseases veröffentlicht wurde, konnten die Forscher die beiden Unterarten der Krankheitserreger voneinander trennen, die entweder Syphilis oder die Tropenkrankheit Frambösie verursachen. Obwohl die Krankheiten bei Lebenden verschiedene Symptome hervorrufen, lassen sich die jeweiligen Auswirkungen auf die Knochen nicht ohne weiteres unterscheiden. Dies hatte die Erforschung der Krankheit zuvor behindert.

Das Bakterium Treponema pallidum verursacht weltweit Infektionen beim Menschen, unter anderem ruft es Syphilis und Frambösie hervor. Vor allem die sexuell übertragene Syphilis breitet sich inzwischen wieder aus, jährlich werden weltweit Millionen von Neuinfektionen gemeldet. Trotz ihrer historischen Bedeutung sind der Ursprung und die Evolution der Syphilis sowie verwandter Krankheiten nicht gut erforscht. Insbesondere die Syphilispandemie im Europa des späten 15. Jahrhunderts hatte unter Wissenschaftlern zu einer Debatte geführt, ob die Infektionswelle in der Neuen Welt oder in der Alten Welt ihren Anfang genommen hatte. Da die verschiedenen mit der Syphilis verwandten Krankheiten ähnliche Spuren an Knochen verursachen, war es zuvor nicht möglich, historische Syphilisfälle sicher als solche zu identifizieren.

In der aktuellen Studie untersuchten die Forscher die Überreste von fünf Individuen, die im früheren Kloster Santa Isabel entdeckt wurden, einer historischen Stätte in der Unterstadt von Mexiko-Stadt, die von 1681 bis 1861 von Nonnen des Franziskanerordens genutzt wurde. Die Skelettteile wiesen charakteristische Zeichen von Krankheiten auf, die durch Treponema-Bakterien verursacht werden. Drei der Individuen wurden positiv auf solche DNA getestet. Wie bei 90 Prozent der Verstorbenen von diesem Friedhof handelte es sich um Kinder, bei einigen auch um Frühgeburten. Sie alle wurden in der Kolonialzeit vor rund 350 Jahren beerdigt.

Molekulare Unterscheidung der Krankheitserreger

Aus den drei Individuen konnten jeweils gesamte T. pallidum-Genome geborgen werden. Die Forscher erkannten zwei Genome der Unterart T. pallidum ssp. pallidum, die Syphilis verursacht, und eins der Unterart T. pallidum ssp. pertenue, das zu Frambösie führt. Die Unterschiede zwischen Frambösie und Syphilis ließen sich nicht allein aufgrund der äußeren Merkmale der Funde machen. Nur genetisch ließen sich die Krankheitserreger in den alten Proben unterscheiden. „Unsere Arbeit belegt den Wert einer molekularen Identifikation der alten Krankheitserreger, vor allem bei den mit der Syphilis verwandten Krankheiten, die zu ähnlichen Knochenveränderungen führen“, erklärt Professorin Verena Schünemann von der Universität Zürich, die Erstautorin der Studie.

Diskussionen über die Herkunft der Syphilis

Die Forschung beginnt, Licht auf die Evolutionsgeschichte der Krankheit zu werfen. Einige Wissenschaftler stellten die Hypothese auf, dass Syphilis eine Krankheit der Neuen Welt sei, die in der Kolonialzeit nach Europa eingeschleppt wurde. Andere gehen davon aus, dass die Krankheit schon vor der Pandemie im späten 15. Jahrhundert in der europäischen Bevölkerung weit verbreitet war. Die neuen Erkenntnisse bringen noch keine Klärung. „Bei früheren Forschungen wurde T. pallidum ssp. pertenue bei Altweltaffen gefunden. Unsere Erkenntnisse legen nahe, dass zwei T. pallidum-Unterarten in der Vergangenheit ähnliche Veränderungen am Skelett bewirkten. Daraus schließen wir, dass die Evolutionsgeschichte von T. pallidum komplexer sein könnte als bisher angenommen“, sagt der Mitautor der Studie Dr. Alexander Herbig vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.

Die erste Rekonstruktion von T. pallidum-Genomen aus archäologischem Material eröffnet die Möglichkeit, deren Evolutionsgeschichte zu erforschen, was zuvor nicht machbar schien. „Weitere Untersuchungen von zusätzlichen alten Proben aus aller Welt werden unser Verständnis der Krankheit weiter verfeinern“, gibt sich der weitere Mitautor Professor Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und der Universität Tübingen zuversichtlich.

 

In der vorderen Ebene dieser Bildkomposition steht eine Familie auf dem Dach des Klosters Santa Isabel (dem heutigen Palast der schönen Künste) in Mexiko-Stadt, gemalt im 18. Jahrhundert (Künstler unbekannt).

Bildnachweis: Velázquez A. 2004. La colección de pintura del Banco Nacional de México. Catálogo, Siglo XIX, México, Fomento Cultural Banamex, 2 V

Knochenüberreste von Individuum 94A, einem sechs Monate alten Kind, das mit Syphilis infiziert war. Das Skelett weist charakteristische Zeichen einer Erkrankung durch Treponema-Bakterien auf.

Bildnachweis: Rodrigo Barquera. Santa Isabel collection, Lab. of Osteology, ENAH, Mexico (Genehmigung No. 401.15.3-2017/1065 INAH).

Nahaufnahme der Fingerknochen von Individuum 94A, einem sechs Monate alten Kind, das mit Syphilis infiziert war. Das Skelett weist charakteristische Zeichen einer Erkrankung durch Treponema-Bakterien auf.

Bildnachweis: Rodrigo Barquera. Santa Isabel collection, Lab. of Osteology, ENAH, Mexico (Genehmigung No. 401.15.3-2017/1065 INAH).

Publikation:

Verena J. Schuenemann, Aditya Kumar Lankapalli, Rodrigo Barquera, Elizabeth A. Nelson, Diana Iraíz Hernández, Víctor Acuña Alonzo, Kirsten I. Bos, Lourdes Márquez Morfín, Alexander Herbig, Johannes Krause: Historic Treponema pallidum genomes from Colonial Mexico retrieved from archaeological remains. PLOS Neglected Tropical Diseases, DOI: 10.1371/journal.pntd.0006447

Kontakt:

Prof. Dr. Johannes Krause

Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und Universität Tübingen

Telefon +49 3641 686-621

krausespam prevention@shh.mpg.de

Prof. Dr. Dr. Verena Schünemann

Universität Zürich

verena.schuenemannspam prevention@iem.uzh.ch

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung

Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
Telefax +49 7071 29-5566
janna.eberhardtspam prevention@uni-tuebingen.de

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