Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2010: Forschung
Völlig neue Möglichkeiten für Archäologen
Ist ein auf dem Antikenmarkt angebotenes archäologisches Objekt nun echt oder schlichtweg eine Fälschung? Was verraten uns die oftmals mehrere tausend Jahre alten Fundstücke über die Lebensweise unserer Vorfahren? Wie verliefen Handel und Handelswege in früheren Zeiten, und wie intensiv tauschte man Informationen aus? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Curt-Engelhorn-Zentrums Archäometrie – einem An-Institut der Universität Tübingen – arbeiten mit neuesten naturwissenschaftlichen Methoden an der Beantwortung solcher Fragen. Sie analysieren Alter, Verarbeitung und Herkunft von Metallen, und erlangen durch ihre Forschungen an der Schnittstelle zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ganz neue Erkenntnisse über die Lebensweise früherer Kulturen.
Archäologen und Kunsthistoriker arbeiten dabei wie Kriminalisten: Die Fundstücke werden nach allen Regeln der Kunst und Wissenschaft genauestens untersucht. Sie verfolgen jede Spur, die etwas über Herkunft, Alter oder Entstehungsgeschichte eines Objekts verraten könnte. Form und Stil liefern oft viele Informationen, doch die Forscher bleiben nicht mehr nur an der Oberfläche und holen mit den neuesten naturwissenschaftlichen Methoden verborgene Daten und Details hervor. Archäometrie nennt man diesen Forschungszweig an der Schnittstelle von Natur- und Geisteswissenschaften, der zur Naturwissenschaftlichen Archäologie gehört.
In diesem Bereich wurde 2004 das Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie (CEZA) gegründet, zu dem ein Forschungsinstitut in Mannheim gehört. Leiter war von Beginn an Prof. Dr. Ernst Pernicka, der auch einen Lehrstuhl am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters an der Universität Tübingen innehat. Das CEZA ist eine gemeinnützige Einrichtung, die von der Curt-Engelhorn-Stiftung für die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, der Stadt Mannheim und von der Universität Tübingen als deren An-Institut getragen wird. Es wird in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH als Public Private Partnership geführt und unterstützt die Reiss-Engelhorn-Museen bei ihren internationalen Forschungs- und Ausstellungsprojekten.
Mit dieser Rechtsform darf das CEZA Drittmittel für Forschungsprojekte einwerben, aber auch private Dienstleistungen anbieten, deren Einnahmen ebenfalls der archäometrischen Forschung zugute kommen. Vielfach untersucht das CEZA für private Kunden auf dem Antikenmarkt angebotene archäologische Objekte – besonders aus Westafrika und Ostasien – vor dem Kauf auf Echtheit, denn bei einem großen Teil handelt es sich um Fälschungen. Besonders gefragt ist eine Testmethode für Metalle wie Kupferlegierungen, Silber, Blei und Zinn, die auf der Radioaktivität einer Form des Bleis beruht, einem in der Natur vorkommenden radioaktiven Zerfallsprodukt des Urans. Sie erlaubt es, zwischen "jungem" – das heißt jünger als etwa 100 Jahre – und "altem" Metall zu unterscheiden. Seit drei Jahren wird diese Methode vom CEZA weltweit einzigartig für die Echtheitsprüfung von archäologischen Metallobjekten angeboten.
Die Forschungsaktivität des CEZA konzentriert sich auf die Entstehung und Ausbreitung der Metallurgie und metallurgischer Techniken, zum Beispiel die Herstellung von Legierungen in der Alten Welt. Anhand ihrer Spurenelementzusammensetzung können prähistorische Metallobjekte in Gruppen eingeteilt werden, die auf die Verwendung gemeinsamer Rohstoffe oder einheitliche Herstellungsmethoden schließen lassen. Aus der Verbreitung solcher Materialgruppen in bestimmten Gebieten und zu bestimmten Zeiten erhalten die Forscher Informationen über die Metallversorgung und den Handel mit Metallen in früheren Kulturen. Weitere wichtige Messgrößen zur Herkunftsuntersuchung sind die Isotopenverhältnisse, also der Gehalt an Atomen unterschiedlicher Masse eines Elements, besonders des Bleis. Denn die Isotopenverhältnisse ändern sich auf dem Weg von der Lagerstätte zum Fertigprodukt nicht.
Die Erhebung archäometrischer Daten eröffnet den Archäologien völlig neue Möglichkeiten. So können die Wissenschaftler ihrem Bild von früheren Kulturen zahlreiche gut belegte Erkenntnisse über die Abbaustätten von Rohstoffen, Arbeitsgänge bei der Herstellung von Gegenständen aller Art, Handel und Handelswege, Arbeitsteiligkeit der Kulturen und ihrer Produktionsstätten, internationale Vernetzung von Herrschaftsgruppen sowie die Intensität des Informationsaustausches zwischen untergegangenen Kulturen hinzufügen.
Daneben wird auch die Radiokohlenstoffdatierung weiterentwickelt, mit der das Alter organischer Proben wie zum Beispiel Holz ermittelt werden kann. Das CEZA richtet derzeit mit Unterstützung der Klaus-Tschira-Stiftung ein Labor für physikalische Datierungsmethoden ein, in dem die Radiokohlenstoffdatierungen mittels Beschleuniger-Massenspektrometrie durchgeführt werden sollen. Mit der neuen Technik werden nur winzige Probemengen benötigt, die Altersbestimmungen sind sehr präzise. Die Radiokohlenstoffdatierung für eine organische Probe aus den vergangenen 6.000 Jahren kann auf plus/minus 25 Jahre genau vorgenommen werden. Bei organischen Proben, die zwischen 1962 und 1995 gewachsen sind, ist die Probendatierung sogar auf das Jahr genau.
Janna Eberhardt
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