Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2013: Leute
Pionier der Insulin- und der Schilddrüsenerforschung
Zum Tode von Professor Dr. Ekkehard Kallee ein Nachruf von Richard Wahl
Am 11. Dezember 2012 starb der endokrinologisch orientierte Nuklearmediziner Professor Dr. Ekkehard Kallee im Alter von 90 Jahren. Bis zu seiner Pensionierung 1987 war er Leiter des Isotopenlabors der Medizinischen Klinik.
Mit ihm verliert die Universität Tübingen ein Original, das sich durch Humor, Sachverstand und Erfolg auszeichnete. Seine humanistische Bildung, seine vielseitige Belesenheit und der breite Horizont seiner medizinisch-naturwissenschaftlichen Interessen waren bis in sein hohes Alter beeindruckend, wenn nicht sogar furchteinflößend.
Ekkehard Kallee begann sofort nach dem Kriegsende und französischer Kriegsgefangenschaft mit dem Studium der Medizin. Nach dem Staatsexamen fand er 1950 eine Anstellung bei Professor Dr. Hermann Bennhold in der Medizinischen Klinik. In ihm fand er einen hervorragenden Lehrer. Von da an stand Kallees Sinn vorwiegend nach wissenschaftlicher Tätigkeit. Promoviert hat er bei den Professoren Carl Martius und Adolf Butenandt in der Physiologischen Chemie. Für Bennhold, den geistigen Vater der Vehikelfunktion des Albumins, markierte er als Allererster Albumin, das zur Gruppe der Plasmaproteine gehört, so schonend radioaktiv, dass es sich biologisch exakt wie nichtradiomarkiertes Albumin verhielt. Hierzu durfte er 1951/52 das erste Isotopenlabor in der Tübinger Medizin einrichten. Umgang mit Radioaktivität wurde zu seinem ständigen Arbeitsgebiet. Für die Proteinuntersuchung stand die damals noch neue Papierelektrophorese zur Verfügung. Seine herausragende Leistung war es, die Geheimnisse und Eigenschaften dieses besonderen Papiers richtig erkannt zu haben. Er entdeckte, dass es in diesen Papierfasern hochspezifische und unspezifische Adsorptionsstellen gibt, die erst bei extrem niedrigen Proteinkonzentrationen zum Vorschein kommen – diese Erkenntnisse zur Adsorptionsspezifität auf der Oberfläche von Papierfasern, die große Ähnlichkeit mit den Spezifitäten und Unspezifitäten von Antikörpern hat, waren bahnbrechend. Dies erschien damals jedermann so unglaublich, dass seine Beobachtung von vielen für pure Phantasterei gehalten wurde. Interessanter als Albumin wurde für Professor Kallee Insulin. 1952 markierte er als erster in Europa reines Insulin radioaktiv, ohne dass es dadurch seine biologische Wirkung verlor. Für die Hormonforschung bedeutete dies einen Durchbruch in die unvorstellbar niedrige Dimension von Nano- und Pikogramm pro Liter. Eine Blütezeit hätte beginnen können, wären Kallees neue, noch merkwürdig anmutende Verfahren in Deutschland besser verstanden worden. In den USA fielen seine Publikationen auf fruchtbaren Boden. Solomon Aaron Berson in New York und Francis C. Lowell in Boston haben 1955/56 unabhängig voneinander den spezifischen Insulin-Nachweis von Kallee aufgegriffen, nachuntersucht, verstanden und für die bahnbrechende Technik der Radioimmunologie eingesetzt. Kallee überraschte weiter mit der Mitteilung, dass bei Diabetikern gegen Insulin Antikörper gebildet werden können. Diese Mitteilung war seiner Zeit voraus, denn dass gegen Insulin keine Antikörper gebildet würden, war die damals noch vorherrschende Meinung auch angesehener Tübinger Professoren. Er wurde so völlig zu Unrecht in Frage gestellt. Um dem ausgelösten wissenschaftlichen Disput aus dem Wege zu gehen, empfahl ihm Bennhold, die umstrittene Forschung mit Insulin aufzugeben. Berson und Rosalyn Yalow dagegen entwickelten in New York die papierelektrophoretischen Methoden von Kallee weiter und konnten schließlich die erste quantitative radioimmunologische Insulinbestimmung, die sogar 1977 mit dem Nobelpreis an Frau Yalow ausgezeichnet wurde, vorlegen.
Kallee wechselte das Interessengebiet und avancierte zum international renommierten Schilddrüsenforscher. Ganz im Sinne Bennholds übertrug er seine Kenntnisse über die Transportfunktion der Eiweiße auch auf die Schilddrüsenhormone. Darüber konnte er sich dann 1961 für experimentelle Medizin habilitieren. Ihm kam zu gute, dass ihm die Max-Kade-Foundation, deren Stipendiat er 1956/57 in Rochester, N.Y., war, 1962 ein großes Isotopenlabor samt Erstausstattung für die auf dem Schnarrenberg neu erstellte Medizinische Klinik stiftete. Unter seinem neuen Chef Professor Dr. Hans Erhard Bock kehrte er nach einem Aufenthalt am C.H.Best-Institut in Toronto im Jahr 1964 noch einmal zum Insulin zurück, um zu zeigen, dass dieses nicht an der Zellmembran Halt macht, sondern auch in die Zelle hineingeht. Anschließend befasste er sich dann unter anderem experimentell mit der Therapie der thyreotoxischen Krise, einer hochakuten Form der Schilddrüsenüberfunktion. 1995 publizierte er, 73-jährig, seine neue Entdeckung von der Spaltung von Antigen-Antikörper-Komplexen durch Antirheumatika. Damit kehrte er zur immunologischen Eiweißforschung seiner Pionierzeit zurück.
Ekkehard Kallee, der Grenzgänger zwischen Medizin und Naturwissenschaften, war nicht nur ein engagierter Forscher, sondern auch ein vorbildlicher akademischer Lehrer. Seine Vorlesungen und Kurse kamen aufgrund seiner umfassenden Bildung über das rein Fachliche hinaus einem Studium generale gleich. Seine Schüler, Bekannte und Freunde werden ihn dankbar in Erinnerung behalten.