Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2014: Forschung
Steven Heydemann: US-Experte für Konfliktforschung als Gastprofessor in Tübingen
Der Politikwissenschaftler berät unter anderem Regierungen und Organisationen zur Syrien-Krise
Mit Gastprofessor Steven Heydemann (Washington, USA) hat das Institut für Politikwissenschaft einen weltweit gefragten Konfliktforscher nach Tübingen geholt. Er verfolgt seit Jahren die politischen Entwicklungen im Nahen Osten und ist insbesondere auf Syrien spezialisiert. Als Vizepräsident für angewandte Konfliktforschung im „United States Institute of Peace“ (USIP) berät er unter anderem internationale Organisationen und die US-Regierung zu den Ereignissen im Nahen Osten. Antje Karbe hat Steven Heydemann für „Uni Tübingen aktuell“ interviewt.
Sie arbeiten beim United States Institute of Peace (USIP), das die US-Regierung zu Konflikten im Nahen Osten berät. Tun Sie das auch in der aktuellen Syrien-Krise?
Die USIP arbeitet eng mit Regierungsbehörden zusammen und bietet Beratung zu Konflikten um den ganzen Globus an. Wir haben Büros in sechs Konfliktregionen, zum Beispiel im Irak und in Afghanistan, und wir arbeiten vor Ort an Lösung der Konflikte. Wir kooperieren mit der Zivilgesellschaft und wichtigen Akteure vor Ort, um gewaltsame Konflikte einzugrenzen oder gar zu verhindern. Auch in der Syrienfrage arbeite ich sehr eng mit der US-Regierung zusammen. Einerseits kann aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen in der Region Beratung und Einblicke bieten. Aber wir haben auch zusammen mit Gruppen aus der syrischen Zivilgesellschaft und Opposition Programme entwickelt, um sie auf das Szenario vorzubereiten, dass sie eines Tages eventuell Syrien regieren.
Die Situation in Syrien scheint von hier sehr unübersichtlich – aus welchen Quellen beziehen Sie Ihre Informationen?
Ich spreche direkt mit vielen Menschen, die in Syrien sind oder in den Grenzgebieten arbeiten. Ich finde, das ist ein guter Weg, um zu verstehen, wie die Menschen sich dort fühlen und wie sie die Situation einschätzen.
Welche Maßnahmen müsste man Ihrer Meinung nach ergreifen, damit in Syrien wieder Frieden herrscht?
Der allerwichtigste Schritt ist es, dass die beiden wichtigsten Akteure im Konflikt, die Regierung von Assad und die Opposition, Verhandlungen zustimmen. Das wäre meiner Meinung nach notwendig, um diesem Konflikt ein Ende zu setzen. Aber es sieht nicht so aus, als ob die syrische Regierung dazu bereit ist. Die USA, Deutschland und andere Staaten, die mit der Opposition zusammen arbeiten, müssen irgendwie ein Umfeld schaffen, in dem Verhandlungen möglich werden. Bislang wurde hierfür kein guter Weg gefunden. Die amerikanische Regierung scheint der Meinung zu sein, man müsse militärisch den Druck auf die Regierung erhöhen, indem man der gemäßigten Opposition mehr Training und Unterstützung zukommen lässt. Ich weiß nicht, ob das funktioniert. Das weiß keiner.
Eine Lösung in naher Zukunft können wir also nicht erwarten?
Wir müssen begreifen, dass dieser Konflikt sich noch über viele Jahre hinziehen könnte. Es bleibt uns dennoch nichts anderes übrig, als weiter zu versuchen, der Gewalt ein Ende zu setzen ‒ und es den Syrern zu ermöglichen, selbst herauszufinden, wie ein Frieden in ihrem Land aussehen kann.
Was reizte Sie an der Vorstellung, nach Tübingen zu kommen und hier zu lehren?
Ich komme aus dem akademischen Umfeld – vor meiner USIP-Tätigkeit war ich an der Columbia University und der Georgetown University in der Lehre tätig. Die Gelegenheit, wieder Studierende zu lehren hat mich gereizt. Außerdem wusste ich, dass die Universität Tübingen ein starkes Nahost-Profil hat.
Was sollen Studierende aus Ihrer Lehrveranstaltung “The Regional Order in the Middle East” mit nach Hause nehmen?
In den letzten 40 Jahren ist im Nahen Osten ein “Arab State System” entstanden, Beziehungen und Verbindungen organisieren sich in bestimmten ökonomischen, politischen und strategischen Mustern. Ich möchte, dass die Studierende diese Schemata verstehen und so die Hintergründe für das Verhalten arabischer Staaten erkennen können. Wie treffen arabische Regierungschefs ihre Entscheidungen? Wie können wir die Rolle des Krieges und anderer Mächte in diesem System einschätzen? Welche Rolle spielt das Öl? Ich möchte ihnen das nötige Hintergrundwissen und die begrifflichen Strukturen vermitteln, damit das, was sie im Nahen Osten beobachten, für sie einen Sinn ergibt.
Und was nehmen Sie persönlich mit nach Hause?
Aus jeder Lehrveranstaltung lerne ich etwas – entweder durch die Studierenden oder aus der Literatur. Lehre ist für mich keine Einbahnstraße, ich bekomme immer neue Ideen und Einblicke in den Stoff. Dieser Aufenthalt ist für mich eine fantastische Verschnaufpause – eine Gelegenheit, einen Schritt von meiner alltäglichen Verantwortung zurückzutreten und etwas Zeit mit Studierenden zu verbringen, mit Lesen und auch mit Schreiben.
Das „United States Institute of Peace“ USIP wurde 1984 in Washington von der US-Regierung gegründet, um Konflikte weltweit zu erforschen und zu verhindern. Es unterhält Büros im Irak, in Afghanistan und in Pakistan und berät die US-Regierung in Konflikten weltweit. www.usip.org/
Als „Visiting Professor“ verbringt Steven Heydemann bis zum Jahr 2016 jeweils einen Monat an der Universität Tübingen und bringt sich hier in mit Lehrveranstaltungen und Workshops ein. Seine Gastprofessur wird durch das Masterprogramm 2016 des Landes Baden-Württemberg und durch Gelder aus der Exzellenzinitiative gefördert. |
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