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14.11.2024
Eiszeitkunst trifft auf Moderne
Archäologie der Universität Tübingen und Urgeschichtliches Museum Blaubeuren präsentieren Ausstellung zur Gegenwartskunst im Dialog mit Funden aus dem UNESCO-Weltkulturerbe der Alb
Künstler gab es schon vor mehr als 40.000 Jahren. Sie schnitzten ausdrucksstarke Tier- und Menschenfiguren aus Mammutelfenbein und bemalten Höhlenwände mit lebhaften Jagdszenen, aber auch mit abstrakten Linien, Flächen und Formen. Der Drang, Artefakte zu kreieren und sie mit tieferem Sinn aufzuladen, zeichnet den Menschen seitdem aus. Den eiszeitlichen Kunstfunden aus dem UNESCO-Welterbegebiet „Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb“ stellt das Urgeschichtliche Museum Blaubeuren (urmu) nun die Werke von zehn international namhaften Gegenwartskünstlern gegenüber, die sich von den archaischen Motiven der frühen Jäger- und Sammlergesellschaften haben inspirieren lassen. Die Ausstellung trägt den Titel „Eiszeitwesen. Moderne Perspektiven zur Eiszeitkunst“, läuft vom 16. November 2024 bis zum 12. Januar 2025 und wurde von Studierenden und Lehrenden der Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie an der Universität Tübingen gemeinsam mit dem Blaubeurer Museum entwickelt.
„Als Forschungsmuseum sitzt das urmu am Puls der Wissenschaft: Unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse machen wir hier unmittelbar öffentlich“, sagt Professor Nicholas Conard, Tübinger Abteilungsleiter und zugleich wissenschaftlicher Direktor des urmu. „Glücklicherweise können wir hier aber auch darstellen, wie Urgeschichte fasziniert und wie heute kreative Köpfe auf Basis der eiszeitlichen Funde mit neuen Materialien neue, vollkommen unterschiedliche Kunstwerke schaffen.“
Gewichtige Bronzebüsten und Kunst, die unter die Haut geht
Begrüßt werden die Ausstellungsgäste von einer Reihe keramischer Wildtierplastiken, die urzeitlich und wie just archäologisch ausgegraben anmuten. Die Künstlerin Ule Ewelt hat sie ebenso deutlich stilisiert wie die berühmten Elfenbeinstatuetten aus den Höhlen der Schwäbischen Alb und hinterfragt die Beziehung von Eiszeitmensch und Tier.
An nächster Stelle erfindet Lisa Moll auf oft runden und faltbaren Malgründen eigene Formen: Mal sehen sie organisch aus, mal wie mutierte Körperteile und mal sind sie Schriftfragmente. So entstehen Formulierungen und Performances, die Bezug auf Ausdrucksmöglichkeiten in der Kunst nehmen.
Der israelische Künstler Abi Shek ist mit Metallskulpturen und Holzschnitten vertreten, die in der Ausstellung an die Seite eiszeitlichen Schmucks und urgeschichtlicher Tierfiguren treten. Die silhouettenhaften Gestalten aus seiner Hand stehen der prähistorischen Kunst in einer modernen Formensprache gegenüber, die das Verhältnis von Mensch und Kultur thematisiert.
Mit der Technik der Radierung − dem Gravieren eines Motivs in eine Druckplatte – greift Jürgen Mack Steinzeitkunst an Höhlenwänden auf. Seine Jagdmotive entspringen seinen eigenen Erfahrungen mit experimenteller Archäologie und fügen sich zwischen archaischen Menschendarstellungen im Museum harmonisch ein.
Bertram Bartl vermag es, in seinen jüngsten Gemälden zu irritieren: Mit der Verbindung weiblicher und männlicher Sexualorgane spielt er auf die in den altsteinzeitlichen Frauenfiguren und Phallusdarstellungen angelegten Fragen der Geschlechteridentität an.
Zu überraschend massiven Figuren haben die eiszeitlichen Kleinkunstwerke Fabian Vogler inspiriert: Aus seinem Atelier stammen beispielsweise vier gewichtige Bronzebüsten. Sie stehen wie Wächterinnen um die Venus vom Hohle Fels − der mit einem Alter von 40.000 Jahren ältesten bekannten figürlichen Darstellung der Menschheit –, sind ebenso prall wie ihr vorgeschichtliches Vorbild und reihen sich in Voglers Arbeiten zum Thema geschlechtlicher Varianz ein.
Ein wahrer Experte für Archäologie ist Friedrich Palmer. Mit großformatigen Kohlezeichnungen begibt er sich auf die Suche nach nicht nachweisbaren Gefühlen und Gedanken in archaischen Zeiten und stellt den Fakten archäologischer Forschung eine emotionale Ebene entgegen.
„Strata“, italienisch für Schichten, heißt das international beachtete Film- und Performancekunstprojekt des Künstlerpaars Verena Stenke und Andrea Pagnes, alias VestAndPage − an Schauplätzen des UNESCO-Welterbegebiets gedreht. Wie in archäologischen Ausgrabungen ist es ihr Ansinnen, Vergangenes und Verborgenes aufzudecken. Schicht um Schicht, um Verbindungen des Menschen zu seiner Umgebung sichtbar zu machen.
Der Körperkunst verschrieben hat sich schließlich Rhoda Fromme unter dem Label rhoda.tattoo. Fotos, Zeichnungen und auf Video aufgezeichnete Tattoosessions zeugen davon, wie sie Höhlenmalereien und Steinritzungen in eine Kunst umsetzt, die unter die Haut geht.
Tiefe Faszination für die Hinterlassenschaften unserer Vorfahren
Seinen Ausgang hatte das Ausstellungsprojekt an der Universität Tübingen im Semester 2021/22 in einem Team um Dr. Sibylle Wolf. Eiszeitfiguren und das Zusammenspiel von Eiszeitkunst und Gegenwartskunst waren das Thema in dem Studierendenseminar. Es gelang, die Maler, Bildhauer, Performance- und Videokünstler für das Projekt zu gewinnen. „Die Künstlerinnen und Künstler haben eine tiefe Faszination für die materiellen Hinterlassenschaften unserer Vorfahren und begeisterten sich direkt für die Dinge, die vor 40.000 Jahren erschaffen wurden“, berichtet Dr. Wolf. Im vergangenen Jahr waren die Kunstschaffenden drei Tage lang eingeladen, Eiszeitkunst intensiv zu erleben. Sie besuchten sowohl die UNESCO-Welterbehöhlen im Ach- und Lonetal wie auch das urmu und nahmen Eingebungen für ihre Arbeit mit.
„Unser Zugang zur Eiszeitkunst von prähistorischer und archäologischer Seite ist von wissenschaftlicher Belegbarkeit dominiert“, sagt Professor Harald Floss von der Universität Tübingen, der sich seit Jahrzehnten intensiv mit Kunst befasst, die sich Inspirationen aus der Eiszeit holt. „Ich bin davon überzeugt, dass Wissenschaft nur ein Zugang ist.“ Die Künstler hätten einen eigenen Blick auf die Kunst von vor 40.000 Jahren und die damit verbundenen Themen und Techniken, sagt Floss: „Was sie an der Eiszeitkunst interessiert und wie sie sie als Inspirationsquelle nutzen, ist divers. Aber es vereinen sie Fragen wie etwa, wer wir als Homo sapiens sind, in welchem Verhältnis der Mensch zu seiner Umwelt steht und wie er sich in einer gemeinsamen menschlichen Ursprache ausdrücken kann.“
Das Programm zum Eröffnungswochenende im Überblick unter https://www.urmu.de/sonderausstellungen/eiszeitwesen-moderne-perspektiven-zur-eiszeitkunst
Die Ausstellung wurde realisiert mit Unterstützung von:
Die Ausstellung ist finanziert aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat. Der überwiegende Teil der Fördermittel stammt aus den Erlösen der Staatlichen Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg. Weitere Geldgeber sind die Gesellschaft für Urgeschichte e.V. und pro.urmu, der Förderkreis des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren
Kontakt:
Prof. Nicholas Conard PhD
Universität Tübingen, Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie
Wissenschaftlicher Direktor Urgeschichtliches Museum Blaubeuren
+49 7071 29-72416
Nicholas.conardspam prevention@uni-tuebingen.de
Dr. Stefanie Kölbl
Geschäftsführende Direktorin Urgeschichtliches Museum Blaubeuren
+49 7344 9669 911
koelblspam prevention@urmu.de
Weitere Informationen zu den ausstellenden Künstlern finden Sie unter:
https://www.urmu.de/sonderausstellungen/eiszeitwesen-moderne-perspektiven-zur-eiszeitkunst
Pressekontakt:
Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Christfried Dornis
Leitung
Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
Telefax +49 7071 29-5566
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