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15.01.2018

Mögliche Ursache für mexikanische Epidemie aus der Kolonialzeit identifiziert

Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte und der Universität Tübingen

Bildunterschrift: Åshild J. Vågene im Reinraumlabor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte. Bildnachweis: Elizabeth Nelson

Das Bakterium Salmonella enterica, welches enterisches Fieber auslöst, könnte die lang debattierte Ursache der „Cocoliztli“-Epidemie sein, die von 1545 bis 1550 in Mexiko wütete und schwerwiegende Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung Mesoamerikas hatte.

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, der Universität Harvard und des Nationalen Instituts für Anthropologie und Geschichte Mexikos sowie unter Beteiligung der Universität Tübingen hat eine neuartige Software zur Datenanalyse verwendet, mithilfe derer aus alter DNA die möglichen Erreger einer der zahlreichen Epidemien im kolonialen Amerika identifiziert werden konnten. Viele Epidemien breiteten sich im 16. Jahrhundert großflächig in der „Neuen Welt“ aus. Zwar wurden die Symptome dieser Krankheiten in zeitgenössischen Berichten gut beschrieben, aber die genauen biologischen Ursachen der kolonialen Epidemien sind anhand dieser historischen Überlieferungen nur schwer zu bestimmen. In der nun vorgelegten Studie, die in Nature Ecology and Evolution veröffentlicht wurde, gelang es dem Team durch neue Methoden zur Analyse alter DNA, Salmonella enterica Paratyphi C, ein Bakterium, das enterisches Fieber verursacht, in den Skeletten von Opfern der „Cocoliztli“-Epidemie von 1545-1550 in Mexiko zu identifizieren.

Nachdem die einheimischen Bevölkerungsgruppen der amerikanischen Kontinente mit Europäern in Kontakt gekommen waren, fegten Dutzende von Epidemien mit verheerenden Auswirkungen durch die „Neue Welt“. Obwohl viele Berichte aus erster Hand über diese Epidemien vorliegen, war es bislang in den meisten Fällen schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, ihre Ursachen anhand der historischen Beschreibungen der Symptome eindeutig zu bestimmen. So können zum Beispiel die Symptome, die durch die Infektion mit verschiedenen Bakterien oder Viren verursacht werden, einander sehr ähnlich sein oder die Symptome, die durch bestimmte Krankheiten hervorgerufen werden, können sich in den letzten 500 Jahren verändert haben. Deshalb haben Wissenschaftler gehofft, dass Fortschritte bei der Analyse alter DNA einen Durchbruch bei der Identifizierung der unbekannten Ursachen früherer Epidemien ermöglichen könnten.

Erster direkter Hinweis auf eine mögliche Ursache der Cocoliztli-Epidemie 1545-1550

Die Cocoliztli-Epidemie, deren Ursache bislang nicht identifiziert werden konnte, gehört zu den verheerendsten Epidemien auf den amerikanischen Kontinenten während der Kolonialzeit. Schon Alexander von Humboldt hatte vor mehr als 200 Jahren über die Ursache dieser Seuche spekuliert. Sie grassierte in großen Teilen Guatemalas und Mexikos, einschließlich der mixtekischen Stadt Teposcolula-Yucundaa in Oaxaca, Mexiko. Dort wurde bei archäologischen Grabungen der einzige Seuchenfriedhof freigelegt, der bislang mit dem Ausbruch dieser Epidemie in Verbindung gebracht wird. „Angesichts des historischen und archäologischen Kontextes von Teposcolula-Yucundaa bot sich uns die einzigartige Gelegenheit, die Frage nach den mikrobiellen Ursachen dieser Epidemie zu beantworten", erklärt Åshild J. Vågene vom MPI für Menschheitsgeschichte, Erstautorin der Studie. Nach der Epidemie war die Stadt aufgegeben und von der Spitze eines Berges in das benachbarte Tal verlegt worden, sodass der Friedhof bis zu den archäologischen Grabungen im Wesentlichen unberührt geblieben war. Diese Umstände machten Teposcolula-Yucundaa zu einem idealen Ort, um bei der Suche nach den Ursachen der Epidemie eine völlig neue Herangehensweise zu testen.

Das Forschungsteam analysierte DNA von 29 menschlichen Überresten aus der Fundstelle und verwendete dabei ein neuartiges, hocheffizientes Computerprogramm für die Charakterisierung der in den Proben enthaltenen bakteriellen DNA. Diese Technik ermöglichte es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Proben vollständig auf bakterielle DNA zu untersuchen, ohne vorher genauer spezifizieren zu müssen, wonach gesucht werden sollte. Für zehn Proben erbrachte diese Methode vielversprechende Hinweise auf DNA-Spuren des Bakteriums Salmonella enterica.

Nach diesem ersten Befund kam eine speziell für diese Studie entwickelte DNA-Anreicherungsmethode zum Einsatz. Mit ihr gelang es dem Forschungsteam, komplette Salmonella enterica-Genome zu entschlüsseln und zu zeigen, dass die zehn Individuen mit einer Unterart des Bakteriums Salmonella enterica infiziert waren, das enterisches Fieber verursacht. Dies ist das erste Mal, dass Wissenschaftler durch die Analyse alten Materials aus der Neuen Welt molekulare Beweise für eine mikrobielle Infektion mit diesem Bakterium gefunden haben. Bakterielles enterisches Fieber, dessen bekannteste Form heute Typhus darstellt, verursacht hohes Fieber, Dehydratation und schwere Magen-Darm-Infektionen. Heute gilt die Krankheit als weltweite Bedrohung. Allein im Jahr 2000 traten schätzungsweise 27 Millionen Krankheitsfälle auf. Über die Schwere der Krankheit in der Vergangenheit und ihre globale Verbreitung ist allerdings bis heute wenig bekannt.

Ein neues Werkzeug zur Identifizierung vergangener Krankheiten

„In der Vergangenheit haben wir in der Regel einen bestimmten Erreger oder eine kleine Gruppe von Krankheitserregern ins Visier genommen, für die es zuvor eine Indikation gab. Deshalb ist es ein wichtiger Beitrag dieser Studie, dass es uns gelungen ist, Informationen über eine in dieser Population zirkulierende mikrobielle Infektion zu gewinnen, ohne dass wir vorher genauer spezifizieren mussten, wonach wir suchten“, erklärt Alexander Herbig, Forschungsgruppenleiter am MPI für Menschheitsgeschichte und ebenfalls Erstautor der Studie.

„Dieser neue Ansatz erlaubt es uns, Skelette in breit angelegten Untersuchungen auf alle Erreger hin zu untersuchen, die möglicherweise in ihnen vorhanden waren“, ergänzt Johannes Krause, Direktor der Abteilung für Archäogenetik am MPI für Menschheitsgeschichte und Professor an der Universität Tübingen, der Leiter der Studie. Und Kirsten Bos, Forschungsgruppenleiterin am MPI für Menschheitsgeschichte, fügt hinzu: „Dies ist ein entscheidender Fortschritt in den Methoden, die uns zur Erforschung vergangener Krankheiten zur Verfügung stehen. Wir können nun die Anwesenheit zahlreicher infektiöser Organismen in archäologischem Material überprüfen. Das ist besonders relevant für Fälle, in denen die Ursache einer Krankheit zuvor nicht bekannt war.“

Veröffentlichung

Åshild J. Vågene, Alexander Herbig, Michael G. Campana, Nelly M. Robles García, Christina Warinner, Susanna Sabin, Maria A. Spyrou, Aida Andrades Valtueña, Daniel Huson, Noreen Tuross, Kirsten I. Bos and Johannes Krause: Salmonella enterica genomes from victims of a major 16th century epidemic in Mexico, Nature Ecology and Evolution, DOI: 10.1038/s41559-017-0446-6

Medienkontakte

Åshild J. Vågene
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte
E-Mail: vagenespam prevention@shh.mpg.de

Alexander Herbig
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte
E-Mail: herbigspam prevention@shh.mpg.de

Kirsten I. Bos
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte
E-Mail: bosspam prevention@shh.mpg.de

Prof. Dr. Johannes Krause
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und Universität Tübingen
E-Mail: krausespam prevention@shh.mpg.de

Bildmaterial


Übersichtskarte von Teposcolula-Yucundaa. Die Karte zeigt die Lage der Siedlung in der Mixteken-Region von Oaxaca, Mexico (A), und die Lage der Ausgrabungsstätte (B). Teilbild C ist eine zeichnerische Darstellung des Individuums Nr. 35, aus dessen Probe ein S. enterica-Genom rekonstruiert werden konnte.


Bildnachweis: Åshild J. Vågene et al. Salmonella enterica genomes from victims of a major 16th century epidemic in Mexico. Nature Ecology and Evolution.

Freigelegte Mauerreste am nördlichen Rand der Grand Plaza bei Teposcolula-Yucundaa. Architektonische Untersuchungen des Grand Plaza führten zu der unerwarteten Entdeckung eines großen Epidemiefriedhofs, der mit der Cocoliztli-Epidemie von 1545-1550 in Zusammenhang steht. Der Friedhof enthielt zahlreiche Massengräber, die das katastrophale Ausmaß der Epidemie belegen.


Bildnachweis: Christina Warinner; mit freundlicher Genehmigung des archäologischen Projektes „Teposcolula-Yucundaa“

Massengrab auf der Teposcolula-Yucundaa Grand Plaza vor dem Beginn der Ausgrabung. Es enthielt die Überreste von drei Individuen, die alle drei positiv auf S. enterica getestet wurden. Ein zweites Grab (am oberen Bildrand rechts) enthielt zwei weitere Individuen, die positiv auf S. enterica getestet wurden. Die Massengräber in der Grand Plaza lagen dicht beieinander und waren grob in den Putzboden eingeschnitten. Der Boden wurde nie repariert, was auf die Eile hinweist, mit der der Standort kurz nach der Epidemie aufgegeben wurde.


Bildnachweis: Christina Warinner; mit freundlicher Genehmigung des archäologischen Projektes „Teposcolula-Yucundaa“

Archäologische Ausgrabungen an der Grabungsstätte Teposcolula-Yucundaa, einem wichtigen politischen Zentrum der alten Mixteken. Nach der Epidemie wurde die Siedlung ins Tal verlegt und der Standort auf der Spitze des Berges wurde aufgegeben.

Bildnachweis: Christina Warinner; mit freundlicher Genehmigung des archäologischen Projektes „Teposcolula-Yucundaa“

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