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25.09.2023
Wer knackt das Zinnrätsel der Bronzezeit?
Herkunft der Zinnbarren aus dem berühmten Schiffswrack von Uluburun weiter ungeklärt – auch Minen im Erzgebirge oder Cornwall kommen in Frage
Die genaue Herkunft des Zinns in der Bronzezeit ist der Heilige Gral der Archäometallurgen: Seit 150 Jahren führen die Fachleute einen Diskurs über die Frage, aus welchen Minen das Zinn für all die Schwerter, Helme, Armreife, Teller oder Krüge in der Bronzezeit stammte. Die Lösung des Zinnrätsels verspricht weitreichende Erkenntnisse über frühe Handelsbeziehungen zwischen Zentralasien, Mesopotamien, Nordafrika, der Levante und Europa und damit über eine frühe Globalisierung, die unsere Welt für immer veränderte.
Als Schlüsselfund, um das Zinnrätsel zu lösen, gilt die Ladung eines um 1320 v. Chr. gesunkenen Handelsschiffs vor der westtürkischen Küste bei Uluburun. Das Wrack wurde 1982 von Tauchern entdeckt und seine Ladung unterwasserarchäologisch geborgen. Es enthielt neben Luxusgütern 10 Tonnen Kupfer- und eine Tonne Zinnbarren – viel mehr, als jemals zuvor aus der Bronzezeit gefunden worden waren.
„Auch 40 Jahre nach dem Fund von Uluburun bleibt das Zinnrätsel bestehen, auch wenn wir uns der Lösung durch Anwendung neuer Methoden immer mehr annähern“, erklärt Ernst Pernicka, Seniorprofessor an der Universität Tübingen und wissenschaftlicher Direktor des Curt-Engelhorn-Zentrums Archäometrie CEZA an den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim. Seit nunmehr vier Jahrzehnten ist er der Lösung des Zinnrätsels auf der Spur.
In einer kürzlich veröffentlichten Studie im Fachmagazin Frontiers in Earth Science widersprechen Ernst Pernicka, Daniel Berger und zwei weitere Autoren einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Science Advances vom November 2022, in der Professor Wayne Powell vom Brooklyn College in New York behauptet, die Herkunft des Zinns aus dem Schiffswrack von Uluburun eindeutig bestimmen zu können.
Dies stamme zum Großteil aus der Zinnlagerstätte Muschiston im Nordwesten Tadschikistans, außerdem aus zwei Minen im Taurus-Gebirge nahe der heutigen türkisch-syrischen Grenze, erklärte das Team um Wayne Powell. Für seine Analyse hatte es Proben von 105 Zinnbarren aus dem Wrack genommen und damit von 90 Prozent der Zinnladung chemische und isotopische Signaturen bestimmt. Insbesondere wurden die Isotopenverhältnisse von Zinn und von Blei gemessen, die neben der chemischen Zusammensetzung ebenfalls Hinweise auf die Herkunft des Zinns liefern. Außerdem spreche der Anteil des Spurenelements Tellurium für Zinnlagerstätten in Zentralasien. Die Studie behauptet, anhand der übereinstimmenden Signaturen zwischen den Barren von Uluburun und Zinnerz-Proben aus den genannten Minen eine eindeutige Zuordnung ableiten zu können.
„Die Daten geben diese Interpretation nicht her, sie lassen keinen eindeutigen Schluss zu“, widerspricht Dr. Daniel Berger, Mitarbeiter von Ernst Pernicka am CEZA in Mannheim und Hauptautor der jetzt veröffentlichten Studie. Für diese Überprüfung hat er chemische und isotopische Analysen auch vorangegangener Studien umfassend berücksichtigt und mit dem Datensatz von Wayne Powell abgeglichen. „Eine Herkunft des Zinns der Barren aus dem Schiffswrack von Uluburun, zumindest eines Teils der Ladung, aus Cornwall in Großbritannien wäre aufgrund der Isotopenverhältnisse und chemischen Charakteristika sogar weitaus wahrscheinlicher. Insbesondere der Vergleich mit bronzezeitlichen Zinnbarren aus Großbritannien und Israel legt diese Schlussfolgerung nahe, für die wir zuvor schon eine vergleichbare Herkunft in Erwägung gezogen haben. Letztendlich ist aber auch die Herkunft aus dem Erzgebirge oder der Iberischen Halbinsel nicht auszuschließen.“ Um diese Vermutungen zu untermauern, brauche es aber erst mehr Proben und Analysen von Erzen aus europäischen und asiatischen Zinnlagerstätten.
Die Bronzezeit dauerte insgesamt vom späten vierten Jahrtausend bis ins frühe erste vorchristliche Jahrtausend – je nach Weltregion aber mit unterschiedlichem Beginn und Ende. Bronze entsteht durch das Verschmelzen von Kupfer und Zinn im Verhältnis neun zu eins und ist bedeutend härter als Kupfer allein. Kupfererze sind in vielen Regionen der Alten Welt zu finden. Für die Bronzezeit zugängliche Zinnerze aber können nur an wenigen Orten Zentralasiens des Iran und Europas nachgewiesen werden. Umso erstaunlicher ist es, dass einige der frühesten Bronzeartefakte aus dem Zweistromland um Euphrat und Tigris stammen. Dort gibt es aber keine Zinnvorkommen. Nur über Fernhandel konnten also Angebot an und Nachfrage nach Zinn zusammengebracht werden.
„Auch zahlreiche archäologische Beweise zeigen, dass die britischen Inseln und Zentraleuropa in der Bronzezeit mit dem Mittelmeerraum eine ökonomische Sphäre bildete und über die Donau, den Rhein und die Rhône, aber auch das Meer als Transportwege verbunden war“, sagte Ernst Pernicka. So wurden im Wrack von Uluburun auch Bernsteinperlen gefunden, die wahrscheinlich aus dem Baltikum gehandelt worden waren. Auch die Verwendung standardisierter Gewichte hatte sich im Laufe des zweiten vorchristlichen Jahrtausends bereits von Ägypten und Mesopotamien kommend über Syrien, Anatolien und die Ägäis bis über die Alpen nach Zentraleuropa ausgebreitet. Sie waren zum Abwiegen der Handelsware, so auch den Zinnbarren, notwendig. Solche Verbindungen legen natürlich auch einen Handel mit Zinn, einem der wichtigsten Rohstoffe der Bronzezeit, nahe. Für die Zeit des Schiffs von Uluburun lassen sich für Zentralasien weder Gewichtssysteme noch stichhaltige Handelsverbindungen in den Westen nachweisen, was eine Herkunft des Zinns aus dem Westen zusätzlich erhärtet.
Originalpublikation:
Daniel Berger, Kai Kaniuth, Gerhard Brügmann, Ernst Pernicka: Why Central Asia´s Mushiston is not a source for the Late Bronze Age tin ingots from the Uluburun shipwreck.
Frontiers in Earth Science 11:1211478.
doi:10.3389/feart.2023.1211478
Kontakt:
Prof. Ernst Pernicka
Wissenschaftlicher Direktor Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie
Leiter Troia-Projekt der Universität Tübingen
Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie gGmbH D6, 3 | 68159 Mannheim
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