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23.02.2022
Mikrobielles Leben unter extremen Bedingungen
Team der Universität Tübingen erforscht das mit Schwermetallen belastete Mündungsgebiet des Rio Tinto in Spanien – Parallelen zur Umgebung auf dem Mars
An der Mündung des Rio Tinto im Südwesten Spaniens vermischt sich das durch den Erzabbau und Mineralverwitterung mit Schwermetallen belastete saure Flusswasser mit dem Salzwasser des Atlantischen Ozeans. Dort bildet sich eine einzigartige Gemeinschaft von Mikroorganismen aus, die die Extreme lieben. Sie leben in Wasser, das so sauer ist wie Essig, sind resistent gegenüber einem hohen Salzgehalt, und manche kommen zudem mit einem hohen Gehalt an giftigen Metallen bestens klar. Diese Lebensgemeinschaft hat ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Andreas Kappler und Juniorprofessorin Sara Kleindienst vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Universität Tübingen entdeckt. Es untersuchte, woher die Mikroorganismen unter den extremen Bedingungen Energie für ihren Stoffwechsel gewinnen und welchen Einfluss sie auf die Ablagerung oder Ausschwemmung von Schwermetallen im Mündungsgebiet des Rio Tinto haben. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Applied and Environmental Microbiology veröffentlicht.
Der Rio Tinto – auf Deutsch „Roter Fluss“ – trägt seinen Namen zu Recht: Stellenweise leuchtet der etwa 100 Kilometer lange Fluss in der spanischen Provinz Huelva prächtig orange bis blutrot. Warum sein Wasser so sauer ist und seine Mündung zu einem der am stärksten mit giftigen Metallen belasteten Wassersysteme der Welt gehört, ist bis heute nicht geklärt.
Erzgewinnung bereits in der Kupferzeit
„Begonnen hat die Verschmutzung jedenfalls schon sehr früh, in der Kupferzeit, vor rund 5.000 Jahren“, berichtet Sara Kleindienst. Schon damals bauten Menschen am Oberlauf des Flusses oberhalb des sogenannten Pyritgürtels der südiberischen Halbinsel Erz ab. In dem Gesteinsgürtel sind Gold, Silber, Kupfer, Zinn, Blei und Eisen sowie große Eisensulfidablagerungen zu finden. Beim Abbau des Erzes kam das Eisensulfid mit dem Sauerstoff der Luft in Kontakt, sodass bestimmte Mikroorganismen Eisen und Schwefel oxidieren konnten. „Dabei entsteht blutrotes, extrem saures Wasser, das jährlich tonnenweise weitere giftige Metalle wie Mangan, Kobalt, Nickel und Cadmium aus den Felsen löst und in den Fluss spült“, sagt die Forscherin.
Die neuen Untersuchungen zeigten, dass die meisten Mikroorganismen im Flusswasser ihre Energie aus gelöstem Eisen gewinnen. „Dabei können sie Eisenminerale bilden und weitere toxische Metalle um ihre Zellwand herum ausfällen. Diese Aggregate aus Zellen und Mineralen werden dann flussabwärts bis in das Mündungsgebiet transportiert“, sagt Andreas Kappler. „Uns hat vor allem interessiert, was sich abspielt, wenn sich dort das saure Flusswasser mit dem Meerwasser mischt.“
Die hohe Chloridkonzentration durch das Meerwasser sei giftig für die säureliebenden Eisen oxidierenden Mikroben. „Die meisten von ihnen verschwinden im Mündungsgebiet. Dort übernehmen andere Eisenoxidierer, die mit dem hohen Salzgehalt zurechtkommen. Außerdem zieht der hohe Gehalt an gelöstem Eisen im Meer lebende Arten von Eisenoxidierern an“, erklärt Kleinschmidt. Diese seien es auch, die im Mündungsgebiet Eisenminerale bilden und giftige Metalle wie Arsen und Chrom ausfällen, die sich im Sediment des Rio Tinto ablagern. Ein Teil dieser Minerale würde jedoch weitertransportiert an die Küsten des Ozeans. „Durch die Einblicke in diese Mikrobengemeinschaft erfahren wir mehr über den Einfluss der Mikroorganismen auf die Mobilität der giftigen Metalle im Rio Tinto“, sagt Kleinschmidt.
Marsähnliche Bedingungen faszinieren die Astrobiologie
Durch die Eisen oxidierenden Bakterien im Rio Tinto werden farbenprächtige Minerale gebildet wie Goethit, roter Hämatit, Schwertmannit und Jarosit, die sich im Sediment des Flusses ablagern. „Faszinierenderweise wurden die gleichen Minerale von dem Mars-Rover Curiosity im Sediment des Marskraters Gale entdeckt. Die Bildung solcher Minerale könnte dort vor 4,1 bis 3,7 Milliarden Jahren durch ähnliche säureliebende Mikroorganismen in einem großflächigen Flusssystem ausgelöst worden sein wie im Rio Tinto“, sagt Sergey Abramov von der Universität Tübingen, der Erstautor der Studie. Damals hätten auf dem Mars feuchtere Bedingungen und gemäßigtere Temperaturen geherrscht.
„Tatsächlich lockt der Rio Tinto Astrobiologen aus aller Welt an, um das hypothetische Leben auf dem Mars zu studieren“, ergänzt Kappler. Auch er sieht weitere Ähnlichkeiten zwischen dem Mündungsgebiet des Rio Tinto und dem Mars: Bei Ersterem kommt es durch die Gezeiten des Atlantischen Ozeans zur periodischen Vermischung von saurem Flusswasser und dem Meerwasser; auf dem Mars könnten ähnliche Prozesse in einem aktiven Sedimentzyklus am Gale-Krater vor 3,7 bis 3,6 Milliarden Jahren abgelaufen sein. In diesem Zeitraum seien zudem die Seen- und Flusssysteme auf dem Mars periodisch ausgetrocknet, am Mündungssystem des Rio Tinto sorge das Klima für eine entsprechende saisonale Austrocknung der Flutebene.
Publikation:
Sergey M. Abramov, Daniel Straub, Julian Tejada, Lars Grimm, Franziska Schädler, Aleksandr Bulaev, Harald Thorwarth, Ricardo Amils, Andreas Kappler, Sara Kleindienst: Biogeochemical Niches of Fe-Cycling Communities Influencing Heavy Metal Transport along the Rio Tinto, Spain. Applied and Environmental Microbiology, https://doi.org/10.1128/aem.02290-21
Kontakt:
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Jun.-Prof. Dr. Sara Kleindienst
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