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14.07.2020
Selbst bei Bakterien können sich Geschwister unterscheiden
Forschungsteam der Universität Tübingen untersucht, wie Krankheitserreger durch genetische Variation die Immunreaktion ihres Wirtes beeinflussen
Bei der Fortpflanzung des Menschen werden die Gene von Mutter und Vater in unzähligen Variationen kombiniert und vermischt. Ihre Nachkommen können sich untereinander stark unterscheiden. Dagegen vermehren sich Bakterien durch einfache Zellteilung, bei der die beiden Tochterzellen das gleiche Erbgut tragen wie die Mutterzelle. Nun hat ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Simon Heilbronner vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung entdeckt, wie krankheitserregende Bakterien dennoch genetische Varianten unter Geschwisterzellen erzeugen: Bestimmte Abschnitte des Erbguts werden verdoppelt oder vervielfacht. Das verleiht den Bakterien neue Fähigkeiten, die sie in die Lage versetzen, das Immunsystem ihres Wirts zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Studienergebnisse, die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, liefern wichtige Hinweise, wie sich Krankheitserreger im Kampf mit dem menschlichen Immunsystem entwickeln und anpassen.
Wenn sich Bakterien durch einfache Teilung vermehren, entstehen Klone. Die Zellen haben die gleiche Genausstattung und gleiche Eigenschaften. „Die Bakterien müssen aber flexibel bleiben, ihre Umweltbedingungen ändern sich ständig. Das trifft besonders auf Krankheitserreger zu, die im Kampf mit dem menschlichen Immunsystem bestehen und auch eventuell verabreichte Antibiotika überleben wollen“, sagt Simon Heilbronner. Sein Team hat an dem bakteriellen Krankheitserreger Staphylococcus aureus, der verschiedene Entzündungen verursachen kann, erforscht, wie sich Varianten entwickeln, wenn ein Genaustausch mit anderen Bakteriengemeinschaften nicht möglich ist.
Akkordeon-Gene erweitern die Möglichkeiten
„Wir haben festgestellt, dass bei Staphylococcus aureus manche Teile des Erbguts als exakte Kopien mehrfach vorliegen können. Dabei variierte die Anzahl solcher Kopien stark zwischen eng verwandten Bakterien“, sagt Heilbronner. Genetische Mechanismen während der Zellteilung führten dazu, dass sich Duplikate im Erbgut der Bakterien multiplizieren können. „Sie können sich ausdehnen und wieder verkürzen ähnlich wie eine Ziehharmonika. Dadurch entstehen im Verlaufe von wenigen Generationen vielfältige Tochterzellen mit unterschiedlichen Eigenschaften.“ Ein erweitertes Erbgut habe eine stärkere Proteinherstellung in der Bakterienzelle zur Folge. „Sind das zum Beispiel zufällig Proteine, die Antibiotika aus der Zelle heraus transportieren oder das Immunsystem beeinflussen, verbessern diese Bakterien ihre Überlebenschancen“, erklärt der Forscher.
Die Tübinger Forscherinnen und Forscher zeigten nun, dass solche genetischen Prozesse bei Staphylococcus aureus häufig auftreten. „Durch die Gabe von Antibiotika werden sie noch verstärkt. Die Krankheitserreger haben nun bessere Möglichkeiten, auf die menschlichen Immunzellen zu reagieren.“ Das Team geht davon aus, dass diese Prozesse bei der Evolution von erfolgreichen und somit für den Menschen gefährlichen Krankheitserregern von Bedeutung sind. Ihre Erkenntnisse sollen in die Entwicklung neuer Therapieformen im Rahmen des Tübinger Exzellenzclusters „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ einfließen.
Publikation:
Darya Belikova, Angelika Jochim, Jeffrey Power, Matthew T. G. Holden & Simon Heilbronner: “Gene accordions“ cause genotypic and phenotypic heterogeneity in clonal populations of Staphylococcus aureus. Nature Communications, https://doi.org/10.1038/s41467-020-17277-3
Kontakt:
Dr. Simon Heilbronner
Universität Tübingen
Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin (IMIT) – Infektionsbiologie
Exzellenzcluster Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)
simon.heilbronnerspam prevention@uni-tuebingen.de
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