Uni-Tübingen

Pressemitteilungen

14.09.2020

Weinpresse aus der Eisenzeit gibt Aufschluss über Bautechnik der Phönizier

Forschungsteam der Universität Tübingen entdeckt seltenen Nachweis der frühen Weinherstellung an der Ausgrabungsstätte Tell el-Burak im Libanon

Die Weinpresse in Tell el-Burak

Wein hatte im Mittelmeergebiet schon in der Eisenzeit eine große Bedeutung. Insbesondere durch die Phönizier, die Bewohner der östlichen Mittelmeerküste, wurde das Getränk beliebt und über ihre Handelswege verbreitet. Nun wurde bei Ausgrabungen im phönizischen Tell el-Burak die erste eisenzeitliche Weinpresse auf dem Gebiet des heutigen Libanon entdeckt – bislang waren keine Anlagen zur Herstellung von Wein in dieser Region bekannt. Den Aufbau der Presse aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. und die verwendeten Baumaterialien haben Dr. Adriano Orsingher und Professor Jens Kamlah vom Biblisch-Archäologischen Institut sowie Dr. Silvia Amicone und Dr. Christoph Berthold vom Competence Center Archaeometry - Baden-Württemberg (CCA-BW) der Universität Tübingen gemeinsam mit Professorin Hélène Sader von der American University in Beirut näher untersucht. Sie fanden heraus, dass die Phönizier beim Bau der Weinpresse einen Putz verwendeten, der aus Kalk und gemahlenen recycelten Tonscherben gemischt wurde. Diese Technik zur Herstellung eines Estrichmörtels wurde später von den Römern weiterentwickelt. Die Studie wird in der Fachzeitschrift Antiquity veröffentlicht.

Die Stätte Tell el-Burak wird seit 2001 als libanesisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt archäologisch ausgegraben. Dort konnten die Überreste einer kleinen phönizischen Siedlung aus dem späten achten bis in die Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. freigelegt werden. Wahrscheinlich wurde die Siedlung zur Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten von der nahe gelegenen Stadt Sidon aus gegründet. Tell el-Burak war südwestlich und südöstlich von einer 2,5 Meter breiten Terrassenmauer eingegrenzt. „Südlich einer dieser Mauern haben wir eine gut erhaltene Weinpresse entdeckt. Sie war am Hang des Hügels angelegt worden“, berichten die Autoren.

Wasserresistentes und widerstandsfähiges Material

Analysen des Tübinger CCA-BW im Rahmen des Sonderforschungsbereichs RessourcenKulturen (1070) lieferten nun neue Daten zur Zusammensetzung und Technologie der eisenzeitlichen Kalkputzherstellung, aus dem auch die Weinpresse besteht. „Einen qualitativ guten Kalkputz herzustellen war aufwendig“, sagen die Autoren. „Die Phönizier haben die Technik weiterentwickelt, indem sie recycelte Keramikscherben verwendeten. Damit ließ sich besser und zugleich stabiler bauen.“ Im südlichen Phönizien habe sich eine lokale und innovative Tradition der Putzherstellung entwickelt. „Der Putz war wasserresistent und widerstandsfähig. Die Römer haben diese Technologie für den Gebäudebau übernommen.“ Das Forschungsteam will die Bauweise der Weinpresse auch mit zwei weiteren Anlagen in Tell el-Burak vergleichen, die aber auch anderen Zwecken gedient haben könnten.

Frühere Forschungen in Tell el-Burak hatten ergeben, dass in der Umgebung des Orts großflächig Trauben angebaut wurden. „Wir gehen davon aus, dass dort für einige Jahrhunderte in großem Stil Wein hergestellt wurde. Für die Phönizier hatte er große Bedeutung, sie nutzten Wein auch in religiösen Zeremonien“, sagen die Autoren. Der frühere Fund einer großen Zahl von Amphoren, die häufig als Transportgefäße genutzt wurden, weise darauf hin, dass die Phönizier den Wein auch handelten. „Die Stadt Sidon lag an Meereshandelsrouten des östlichen Mittelmeergebiets. Phönizier spielten eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Weins im Mittelmeergebiet, ihre Tradition des Weinkonsums gaben sie bis nach Europa und Nordafrika weiter.“ Bisher habe es kaum Nachweise für die Weinherstellung in Phönizien gegeben, so Orsingher. „Die neue Entdeckung liefert zahlreiche Hinweise, wie die Weinpioniere das Getränk herstellten.“

Publikation:

Adriano Orsingher, Silvia Amicone, Jens Kamlah, Hélène Sader & Christoph Berthold: Phoenician lime for Phoenician wine: Iron Age plaster from a wine press at Tell el-Burak, Lebanon. Antiquity 2020 Vol. 94 (377): 1–21, https://doi.org/10.15184/aqy.2020.4 

Ausgrabungsprojekt:

Tell el-Burak Archaeological Project. Gemeinschaftsprojekt der American University of Beirut, Prof. Dr. Hélène Sader; der Universität Tübingen unter Beteiligung des Sonderforschungsbereichs 1070, Prof. Dr. Jens Kamlah; der Universität Mainz, Dr. Aaron Schmitt, und der Orient Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, Dr. Dr. Margarete van Ess. 

Kontakt: 

Universität Tübingen
Evangelisch-Theologische Fakultät
Biblisch-Archäologisches Institut

Dr. Adriano Orsingher
Telefon  +49 7071 29-78025
adriano.orsingherspam prevention@uni-tuebingen.de  

Prof. Dr. Jens Kamlah
Telefon  +49 7071 29-72879
jens.kamlahspam prevention@uni-tuebingen.de  

American University of Beirut
Department of History and Archaeology

Prof. Dr. Hélène Sader
Phone:  00961-1-350000/extension 4183
hsaderspam prevention@aub.edu.lb 

Competence Center Archaeometry - Baden-Württemberg
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Applied Mineralogy

Dr. Christoph Berthold
Telefon  +49 7071 29-76801
christoph.bertholdspam prevention@uni-tuebingen.de  

Dr. Silvia Amicone
Telefon  +49 7071 29-76801
silvia.amiconespam prevention@uni-tuebingen.de  

Pressekontakt:

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung

Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
Telefax +49 7071 29-5566
janna.eberhardtspam prevention@uni-tuebingen.de

www.uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen

Downloads

Zurück