Uni-Tübingen

Adventskalender 2016

Schätze aus der Universitätsbibliothek und dem Universitätsarchiv

11. Dezember: „Asyl, Flüchtlinge, Unterbringung“ – Flugblatt aus dem Jahr 1988

Auf Blätterjagd: Die Flugblattsammlung (Universitätsarchiv)

„Asyl, Flüchtlinge, Unterbringung“ – die Themen des Flugblatts aus dem Jahr 1988 scheinen der aktuellen Debatte entnommen zu sein. Bereits in den 1980er-Jahren erlebte die Bundesrepublik Deutschland einen wachsenden Zustrom von Asylsuchenden. Zur Unterbringung richtete man sogenannte Sammellager ein, so auch auf dem Gelände der ehemaligen Thiepvalkaserne in der Tübinger Südstadt. Geplant war das Lager als Selbstversorgerdorf mit soziokulturellen, sportlichen und kreativen Angeboten. Die Realität sah allerdings völlig anders aus: Die Gebäude der ehemaligen Kaserne waren vor dem Einzug der Asylbewerber im April 1981 nur notdürftig renoviert worden. Die Zimmer belegte man mit sechs und mehr Asylsuchenden, die Angebote zur Freizeitgestaltung beschränkten sich auf Tischtennisplatten im Keller, ein Spielzimmer für Kinder und eine Teestube für die erwachsenen Bewohner.

Der Freundeskreis für asylsuchende Flüchtlinge Tübingen organisierte kulturelle Angebote, Sprachkurse, aber auch psychologische Betreuung und Rechtsberatung. Angesichts der Perspektivlosigkeit – im Schnitt wurde ein Asylantrag erst nach sieben Jahren entschieden eskalierte die Situation im Wohnheim immer wieder. Der Freundeskreis machte in der Presse auf die Zustände in der Thiepvalkaserne aufmerksam, richtete Eingaben an das Regierungspräsidium und organisierte Protestkundgebungen.

Nach einer Verschärfung des Asylrechts 1987 kamen immer weniger Flüchtlinge nach Deutschland. Im Gegenzug nahm der Zuzug von Menschen aus Osteuropa zu. In Tübingen reagierte man auf die veränderte Situation und wandelte das Sammellager 1989 in ein Wohnheim für Spätaussiedler um. Nach umfangreichen Umbaumaßnahmen ab dem Jahr 2002 präsentiert sich die Kaserne heute als schickes Wohn- und Dienstleistungsquartier.

Das Flugblatt ist Teil einer umfangreichen Sammlung des Universitätsarchivs mit deren Aufbau 1967 begonnen wurde. Flugblätter verwendete man seit der frühen Neuzeit zur Verbreitung von Neuigkeiten und Propaganda. Große Bedeutung als Medium universitätspolitischer Meinungsbildung erlangten die studentischen Flugblätter im Zusammenhang mit den Studentenprotesten der 1960er- und 1970er-Jahre. Regelmäßig sammelten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Archivs Flugblätter in den Mensen ein. In Zeiten von Facebook und Twitter sind Flugblätter allenfalls noch als Werbemittel von Bedeutung. Auf Blätterjagd gehen die Archivarinnen und Archivare daher schon lange nicht mehr.

Quelle:

UAT S4/795

Literatur: