Uni-Tübingen

08.11.2021

„Weine können mich seelisch berühren“

Ein Interview mit Alumna Susann Hanauer, die heute als Winzerin und Weinkritikerin in Ungarn lebt

Alumna Susann Hanauer, geboren in Stuttgart-Bad Cannstatt und aufgewachsen in Plüderhausen, ist in ihrem Traumberuf gelandet. Mit dem Studium der Rechtswissenschaft in Tübingen und Heidelberg ab 1985 erwarb sie in siebeneinhalb Jahren eine für den Lebensunterhalt taugliche Berufsqualifikation. Aber bereits davor konnte sie sich mit den Leistungskursen Kunst und Biologie sowie mit ihrer Pferdevernarrtheit eine ganze Reihe von Berufen vorstellen. Letztendlich entscheidend war jedoch, was sie bereits mit zehn Jahren verkündete: "Ich heirate mal einen Bauern". Heute lebt und arbeitet Susann Hanauer auf ihrem eigenen Demeter-Weingut in Villány in Südungarn, zusammen mit ihrem Mann Ralf Waßmann, einem studierten Geisenheimer Getränketechnologen. Während sie bei ihrer Studienlektüre über langen Gesetzestexten saß, reichte er ihr auch schon mal den passenden trockenen Wein. Diesen produzieren sie heute selbst und sind dafür vielfach ausgezeichnet worden. 

Warum haben Sie sich für das Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen entschieden?

Mein Vater wollte, dass ich mit meinem Bruder sein Architekturbüro übernehme. Das lag mir nicht fern, jedoch war ich zu dieser Zeit viel mehr an Gerechtigkeit interessiert als an Architektur. Und deswegen entschied ich mich für Jura. An dieser Stelle werden wahrscheinlich alle Juristen laut auflachen. Ja, auch ich habe schnell feststellen müssen, dass es in Jura nicht nur unbedingt um Gerechtigkeit geht, aber immerhin – es hat damit zu tun.

Ich war damals vom ersten Augenblick an unglaublich verliebt in Tübingen und seine Gässchen, mit seinen individuellen Tee- und Schokoladen-, Woll- und Alpaka-Pullover-Lädchen. Tübingen war für mich zudem nah an meiner Heimat. Ich konnte meine Kontakte halten und trotzdem ausziehen.

Susann Hanauer und ihr Mann Ralf Waßmann verkosten den eigenen Wein.

Susann Hanauer und ihr Mann Ralf Waßmann verkosten den eigenen Wein.

Sie sind heute Winzerin, wie kam es zu dem Bruch mit Jura?

Als ich damals mein Studium abgeschlossen habe, gab es eine Juristenschwemme. Es war nicht leicht einen Job zu bekommen, ich hatte lediglich einen Teilzeitjob in einer Rechtsanwaltskanzlei. Die restliche Zeit arbeitete ich als Bereiterin auf einem Islandpferdehof. Eines Tages kam über eine Zeitungsannonce die Chance in einem Weinhandel zu arbeiten. Weil Ralf sich schon immer ein eigenes Wein- und Sektgut erträumte, sagte er zu mir, „Mensch, das ist doch ein toller Job für dich, geh doch da mal hin!“ Ich habe mich dort dann aus purer Neugierde vorgestellt und von Ralfs Leidenschaft anstecken lassen. Als Weinhändlerin habe ich dann wirklich die besten und teuersten Bordeaux- und Burgunder-Weine kennengelernt. Außerdem lernte ich von meinem dortigen Chef, wie man Weine blind verkostet und bewertet. Das war für mich der Wendepunkt, weg von Jura.

Im Weinhandel stand eine kleine Bibliothek, in der ich den Weinatlas von Hugh Johnson für mich entdeckte. Im Weinatlas las ich, dass der beste Portugieser der Welt in Villány, in Südungarn wächst. Das habe ich Ralf erzählt. Das war 1997, da gab es in Deutschland noch nicht so gute oder herausragende Portugieser. Lediglich eine Handvoll Winzer beschäftigten sich mit dieser Sorte. Mein Mann meinte: „Was, da gibt es den weltbesten Portugieser? Da müssen wir hin!“ Wir machten einen Wochenendausflug nach Villány und es stellte sich heraus: donauschwäbische Gegend, alle sprechen Deutsch - man fühlt sich gar nicht wie im Ausland! Aber hier kann man Häuser, Weingärten und Weinkeller kaufen, damals – aus unserer Perspektive mit Anfang 30 – für einen Appel und ein Ei. Das wäre in Deutschland auch schon zu dieser Zeit nicht erschwinglich gewesen. Und da das unser gemeinsamer Traum war, erkannten wir Villány als unseren Platz und als Chance, die wir ergreifen mussten. Nach drei Tagen haben wir zugeschlagen. Wir haben uns für mehr Zeit und Lebensenergie füreinander entschieden, für das, was wir wirklich wollten: Wir machen zusammen ein Bioweingut! – für Ralf der Wein und für mich die Pferde. 

Sie sind heute eine gefragte Weinkritikerin und besitzen das Certified PAR Master- und WSET III-Zertifikat, daher interessiert uns Ihr Kennerurteil: Woran erkennt man einen guten Wein?

Die Einschätzung ‚guter Wein‘ ist natürlich subjektiv und für jeden individuell. Für mich fängt ein guter Wein aufgrund meiner Naturverbundenheit damit an, dass er ökologisch oder besser noch biodynamisch - nach der Philosophie Rudolf Steiners - hergestellt wurde. Und im Keller sollte er handwerklich gemacht sein.

Für mich ist ein Wein gut, wenn er mir von seinem Terroir, dem Boden, auf dem er wächst, erzählt. Und wenn ich ihn nicht vergesse, ist er bestimmt sehr, sehr gut. Wirklich großartig ist er für mich erst dann, wenn er mich zu Emotionen rührt und ich von seiner Schönheit ergriffen bin. Wein ist nicht nur ein Getränk, sondern ein Erlebnis… – wie der Besuch einer Kunstausstellung oder ein Konzert mit der eigenen Lieblingsmusik. Ralf und ich suchen als Winzer und Weinkritikerin genau diese Plusdimension, zusätzlich zur nachhaltigen und umweltschonenden Anbauweise.

An welche Orte in Tübingen erinnern Sie sich besonders gerne zurück?

Ich habe den Alten und den Neuen Botanischen Garten auf der Morgenstelle geliebt. Oder die Alte Physik mit dem unglaublich steilen Hörsaal, in dem ich mit meinen 1,80 Metern oft saß – nicht besonders bequem, aber dennoch gerne. In der Stadt liebten wir Kneipen wie die Marquardtei, das Café Wichtig und den „Affenfelsen“. Vom Affenfelsen beim Treppenabsatz neben dem Nonnenhaus konnten wir gut beobachten, wer zum Studieren ging oder wer gerade vom Studieren kam. Das war unser Aussichts- und auch Treffpunkt! Ironie des Schicksals: einer meiner heute besten Freunde muss sich damals zur selben Zeit dort aufgehalten haben. Er studierte damals wie ich Jura, ich las später über ihn in der Neuen Zürcher Zeitung: Der Rechtsanwalt mit dem Weinberg. Ich bin ihm erst später bei einem befreundeten Winzer in Ungarn zum ersten Mal begegnet. Das alles lässt mein Herz in Erinnerung an Tübingen und an die Wege, die ich dort gegangen bin, höherschlagen.

Was würden Sie Studierenden heute mitgeben?

Jura bietet als Geisteswissenschaft eine sehr breite Ausbildung, mit der man in jede Sparte eintreten kann und sehr flexibel ist. Es ist gut Träume und Pläne zu haben, aber auch sehr wichtig, sich nicht nur auf eine Sache oder einen Berufsweg zu versteifen, denn im Leben kommt es oft anders als man denkt. Für meine Entwicklung war es wichtig, von Zuhause auszuziehen und auch mal etwas ganz alleine zu wagen. Wenn Jura mir zu trocken und Tübingen mir zu eng wurde, bin ich nach Island ausgebüxt, um mit den Pferden zu arbeiten. Dort und auch im Studium habe ich so viele Menschen kennengelernt wie vorher und nachher nie wieder, diese Chancen sollte man nutzen. In dieser einprägsamen Zeit entstehen Freundschaften für das Leben.

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