Der Tod von Professor Dr. Joachim Gernhuber löst bei den Mitgliedern der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, der Gernhuber von 1959 bis 1989 als ordentlicher Professor für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Handelsrecht angehört hat, zahlreiche anerkennende Erinnerungen an die wissenschaftliche Arbeit des Verstorbenen und seine Beiträge zur akademischen Lehre aus. Seinem Rang entspricht es, einige Schwerpunkte dieses Lebens, das am 17. Juli 1918 in Bonn, einen Tag vor Vollendung des 95. Lebensjahrs endete, festzuhalten.
Geboren 1923 in Polen als Sohn eines evangelischen Pfarrers, musste Gernhuber im Krieg Soldat werden. Er konnte aber, nachdem er eine schwere Verletzung erlitten hatte, zu studieren beginnen, legte 1944 in Jena das erste Staatsexamen ab und konnte den Vorbereitungsdienst für die zweite Prüfung in Frankfurt antreten. Nach Promotion bereits 1947 ging er als Assistent eines bekannten Rechtshistorikers nach Bonn, wo er sich im Jahre 1951 habilitierte. Dabei traten zur Rechtsgeschichte als weitere Fächer das Bürgerliche Recht und das Handelsrecht hinzu. Diese Fächer waren es auch, die er von 1955 an als Ordinarius an der Universität Kiel und nach seinem Wechsel nach Tübingen betreute. In den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit rückten dabei zunehmend das Bürgerliche Recht, hier das Schuldrecht und das Familienrecht, beide unter Berücksichtigung der historischen Wurzeln der Kodifikation.
Generationen von Juristen, Studierende wie Praktiker, haben mit den mehreren Auflagen seines großen Lehrbuchs zum Familienrecht gearbeitet. Die kritische Aufarbeitung großer Teile der Schuldrechtsdogmatik in Fachliteratur und Rechtsprechung konnte auf zwei seiner Bücher und die von ihm als Herausgeber betreute vielfältige Buchreihe zurückgreifen. Zum Familienrecht erschienen aus seiner Feder wichtige Beiträge zu einer maßstäblichen Kommentierung des BGB. Dabei veranlassten die großen, teils vom Verfassungsrecht geförderten Gesetzesreformen (Gleichberechtigung von Mann und Frau, Besserstellung des nichtehelichen Kindes, sodann das neue Scheidungsrecht) Gernhuber mehrfach zu kritischen Betrachtungen zur Technik der Gesetzgebung und zum Stil der Rechtspolitik. Diese wurden in so unnachahmlicher, teils auch von Ironie durchsetzter Weise vorgetragen, dass der Autor mehr und mehr als Fachmann für die Grundsatzfragen einer Kodifikation in Zeiten gesellschaftspolitischer Bewegung angesehen wurde. Hervorzuheben sind hier Arbeiten über Beeinflussung der Rechtsanwendung durch den Zeitgeist, einmal durch das „gesunde Volksempfinden“, später aber durch einige Bestrebungen in der Bundesrepublik zur Überwindung des „bürgerlichen“ Familienrechts, denen Gernhuber entgegentrat, ohne gewisse Schwächen des früheren Rechts und einige Lücken, wie etwa das Fehlen eines „Rechts der Alten“, zu übersehen.
Der Ruf eines Hochschullehrers, der sich auf seine wissenschaftlichen Publikationen, unter anderem zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften, Sammelwerken und Festschriften, stützt, schlägt nicht immer unmittelbar auf die Lehrtätigkeit durch. Dies war bei Gernhuber anders, dessen Ruf durch große Vorlesungen zu den Büchern des BGB, aber auch durch einen weit über Tübingen hinaus bekannten und auch in ein Lehrbuch eingegangenen „Systematischen Kurs“ begründet wurde. Und der auch in der Examensvorbereitung vieler Studierender – dies auch wegen der Fülle lebendig entwickelter Gedanken und Argumente – so stark im Mittelpunkt stand, dass der Lehrstuhlnachfolger immer wieder aus der juristischen Praxis darauf angesprochen wurde, wie denn die Fakultät die durch die Emeritierung Gernhubers entstandene Lücke schließe. Ihre derzeitigen Mitglieder – darunter nicht mehr viele, die Joachim Gernhuber noch persönlich gekannt haben – sind sich der in dieser Frage angesprochenen Verantwortung für Lehre und Forschung bewusst und hoffen, dem durch ihre Arbeit gerecht zu werden. Und dies auch in hohem Respekt vor der Entscheidung Gernhubers, die Jahre nach seiner Übersiedlung nach Bonn hauptsächlich seiner Familie zu widmen. Ihr gilt unser Mitgefühl.
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