Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2011: Leute

Maßgeblich an der Etablierung des Fachteilgebiets „Geschichte der Frühen Neuzeit“ beteiligt

Zum Tode von Professor Dr. Ernst Walter Zeeden ein Nachruf von Anton Schindling

Ernst Walter Zeeden, geboren am 14. Mai 1916 und verstorben am 5. September 2011, war einer der bedeutendsten Tübinger Hochschullehrer in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1960er- und 1970er-Jahren stand sein Name in der Außenwahrnehmung weithin für das Fach Geschichte in Tübingen. Er trug maßgeblich dazu bei, dass der damals gerade erst bezogene Hegelbau in der nationalen und internationalen Geschichtswissenschaft eine bekannte und geachtete Adresse wurde.


Dies war zunächst einmal ein Erfolg des Geschichtsschreibers und des akademischen Lehrers. Zeeden vermittelte seine Wissenschaft engagiert nicht nur über zahlreiche elegant geschriebene und gut lesbare Bücher und Aufsätze – darunter mehrere Handbuchdarstellungen –, sondern vor allem auch in Hörsaal und Seminar. Mehr als siebzig Doktorpromotionen, mehr als zehn Hochschullehrer und zahllose Gymnasiallehrer aus seiner Schule stellen eine stolze und selten erreichte Bilanz dar.


Darüber hinaus war Zeeden einer der ersten Geisteswissenschaftler in Deutschland, die Forschung im interdisziplinären Großverbund betrieben. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft verdankt ihm einen der ersten und die Eberhard Karls Universität Tübingen überhaupt den ersten geisteswissenschaftlichen Sonderforschungsbereich. Das Förderformat des SFB wurde damals von der DFG entwickelt. Es bewies die anerkannte Exzellenz von Tübingen, dass die Tübinger Universität einen der ersten SFB’s zugesprochen bekam. Ernst Walter Zeeden leitete den SFB mit der Nummer 8 „Spätmittelalter und Reformation“ zusammen mit seinem Fachkollegen Josef Engel und dem evangelischen Theologen Heiko Augustinus Oberman.


Nur wenigen Geisteswissenschaftlern ist es vergönnt, mit einem innovativen Forschungsansatz und einem programmatischen Buch ein neues Forschungsfeld zu erschließen und über Jahrzehnte hinweg die Fachdiskussion richtungsweisend zu prägen. Dies gelang dem Historiker Ernst Walter Zeeden mit seinem vielzitierten Buch „Die Entstehung der Konfessionen“ von 1965, das aus intensiven Studien zur konfessionell gemischten Territorial- und Städtelandschaft des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und des alten Europa entstand. Die Ausbildung von Konfessionen als Folge der Reformation und deren kulturprägende Kraft im Gegeneinander und Nebeneinander während des „Zeitalters der Glaubenskämpfe“ wurde das große Lebensthema von Ernst Walter Zeeden. Er gehörte zu der Gruppe von Historikern, die das Fachteilgebiet „Geschichte der Frühen Neuzeit“ an deutschen Universitäten begründeten, und er gab persönlich diesem neuen Lehr- und Forschungsbereich mit der vergleichenden Konfessionsgeschichte ein bis heute fruchtbares Themenfeld.


Konfessionsbildung und Konfessionalisierung, das so genannte Konfessionelle Zeitalter. − Ernst Walter Zeeden erarbeitete mit seiner vergleichenden Konfessionsgeschichte der Neuzeit ein neues Forschungsparadigma, ohne dass er freilich dieses heute gängige Etikett für seine Leistung schon gebraucht hätte. Sein Ansatz überwand ältere konfessionalistische Deutungsmodelle in der Geschichtswissenschaft, die entweder den Protestantismus als eine dynamische Einbahnstraße in die moderne Welt oder den Katholizismus als die stets gleichbleibende beharrende alte Kirche verstanden. Wenn heute der vergleichende entwicklungsgeschichtliche Ansatz weithin auch von der Kirchengeschichtsschreibung an den Theologischen Fakultäten beider Konfessionen akzeptiert ist und praktiziert wird, belegt dies die über den rein fachimmanenten Diskurs hinausreichende Bedeutung von Zeedens Neuperspektivierung.


Nach der Habilitation in Freiburg im Breisgau bei dem Reformationshistoriker Gerhard Ritter und dortigen Privatdozenten-Jahren wirkte Zeeden seit 1957 als akademischer Lehrer an der Universität Tübingen. Der Ende der 1960er-Jahre begründete SFB Nummer 8 gab ihm Gelegenheit, seine konzeptionellen Ideen breit umzusetzen und zahlreiche Schülerarbeiten sowie umfangreiche Projekte zu fördern. Hierzu gehörten Studien zur vergleichenden Reformationsgeschichte von freien Reichsstädten und territorialen Landstädten, zu den Flugschriften der Reformationszeit oder zum kirchlichen Visitationswesen in den Territorien und Städten der Frühen Neuzeit.


Von seinen Schülern und Mitarbeitern ist viel Lobendes über Zeedens liberale Kunst der Menschenführung und seine pädagogisch-didaktischen Qualitäten zu hören. Offenheit für Menschen und Interesse an deren Eigenart kennzeichneten Zeeden. Er wollte keine gleichförmig genormte Entourage. Der SFB eröffnete Möglichkeiten nicht nur der interdisziplinären Zusammenarbeit, sondern auch des internationalen Austauschs. Hier ist auf intensive Kontakte zu den elsässischen Historikern in Straßburg, vor allem aber auf die Zusammenarbeit mit Reformationshistorikern aus den USA hinzuweisen.


Zeeden, ein gebürtiger Berliner, war ein Großneffe Max Webers, des wirkungsstarken Autors der „Protestantischen Ethik“. Als Student nahm er an den Sonntagnachmittagsgesellschaften von Marianne Weber, der Witwe Max Webers, in Heidelberg teil. Zu Alfred Weber, „Onkel Alfred“, hatte er enge Beziehungen. Zeeden wurzelte in den besten bildungsbürgerlichen Traditionen des deutschen Kulturprotestantismus. Durch sein Studium und die Erfahrung von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg fand er nach Süddeutschland und zur katholischen Kirche. Ohne dass ihm durch die Konversion eine missionarische Militanz eigen geworden wäre, bestand er wissenschaftlich doch auf dem Anteil des Katholizismus an der deutschen Geschichte. Dies war bis in die 1960er-Jahre hinein noch durchaus ein emotional stark grundiertes Streitthema in der deutschen Geschichtswissenschaft und bot Anlass für wissenschaftliche Kontroversen wie persönliche Anfeindungen.


Zeeden fühlte sich in der Tradition eines großen Bürgers des 19. Jahrhunderts, nämlich Jacob Burckhardts, dem er feinsinnige Studien widmete. Konservative Skepsis und humanistischer Nonkonformismus des Schweizer Alteuropäers aus Basel waren auch dem „Preußen“ Ernst Walter Zeeden als Charaktermerkmale nicht fremd. Bei allem Wissen um die Brüchigkeit und Vorläufigkeit der menschlichen Verhältnisse und der kulturellen Phänomene wahrte er sich freilich stets einen grundlegenden Optimismus, der ihn vor kulturpessimistischer Schwarzmalerei bewahrte. Gerade auch in dieser Hinsicht war Zeeden ein bemerkenswerter Intellektueller. Die Universität Tübingen sollte ihn in einem dankbaren Gedächtnis behalten.