Frau Gerok-Reiter, wie kann man sich die Kooperation mit Friedemann Vogel vorstellen?
Geplant sind zwei gemeinsame Projekte: Zum einen arbeiten wir an einer Publikation, in deren Zentrum die Performance von Friedemann Vogel steht, die er im vergangenen Jahr in Kooperation mit uns konzipiert und hier in der Tübinger Anatomie aufgeführt hat. Das Buch wird hochwertige Bildaufnahmen, Interviews mit Friedemann Vogel und dem Choreographen Thomas Lempertz und Beiträge aus Theater- und Tanzwissenschaft sowie der Medienwissenschaft umfassen, die die Performance reflektieren.
Zum anderen werden wir gemeinsam einen Workshop veranstalten zu Heinrich von Kleists „Marionettentheater”. Das ist ein prominenter Text, mit dem sich Friedemann Vogel bereits im Rahmen der ebenfalls von ihm und Thomas Lempertz 2024 kreierten Performance „Seele am Faden“ intensiv auseinandergesetzt hat. Wir wollen die beiden Perspektiven auf den Text – die tänzerisch-praktische und die wissenschaftlich-analytische – zusammenbringen und sie miteinander konfrontieren.
Außerdem wird uns Friedemann Vogel selbst „in Bewegung bringen“: Geplant ist ein Bewegungsworkshop für die Mitglieder des SFB, der weniger theoretisch, sondern eher experimentell angelegt sein wird und die Perspektiven, hier praktisch – dort analytisch, einmal umkehren soll.
Wie kam diese Verbindung von Tanz und Wissenschaft zustande?
Wir wollten die Bewilligung unserer zweiten Förderphase mit einer Festveranstaltung feiern und dazu aktuelle Kunst einladen. Meine Kollegin Anna Pawlak hatte die Idee, bei Friedemann Vogel anzufragen, und hat den Kontakt hergestellt. Wir haben uns daraufhin zu einem Gespräch getroffen. Schnell wurde deutlich, dass unser gemeinsamer Schnittpunkt in der Leidenschaft für die Kunst und der Frage liegt, was Kunst in unserer Gesellschaft leisten kann. Das war unsere Basis. Von hier aus konnten wir beide Seiten – die künstlerische wie die wissenschaftliche – dann ganz unkompliziert zusammenbringen. Gemeinsam mit Anna Pawlak haben Friedemann Vogel und Thomas Lempertz die Performance mit dem Titel „Écorché! Anatomie des Tanzes“ entwickelt. Als Écorchés werden enthäutete Mensch- und Tierkörper bezeichnet, die sowohl in der Medizin wie auch in der Kunst insbesondere in der Frühen Neuzeit Gegenstand anatomischer Studien waren. In der Performance setzte sich Friedemann Vogel mit dem Konzept des Écorchés auseinander, indem er anatomische Details und einzelne Posen vormoderner Écorchés tänzerisch mit dem gewaltsamen Vorgang der Enthäutung verband und dabei insbesondere die Schönheit von Formvollendung und Transgression herausarbeitete. Damit brachte er das Transformationspotential des Tanzes zur Darstellung: als Paradigma des Kunstschaffens selbst. Die Performance wurde in der Alten Anatomie aufgeführt und gefilmt. Diese produktive Zusammenarbeit wollten wir intensivieren und weiter ausgestalten. Der nächste Schritt war dann, dass Friedemann Vogel assoziiertes Mitglied unseres Sonderforschungsbereichs wurde. Aber weitaus wichtiger ist, dass wir ihn gewinnen konnten, über ein Mercator-Fellowship die Arbeit mit uns in neue Projekte zu überführen.