Uni-Tübingen

P1: Sacred Narrative – die politische Dimension der japanischen Mythologie

Zusammenfassung

Das Teilprojekt P1 versteht als sein übergeordnetes Forschungsziel, die wechselseitigen historischen Prozesse von Sakralisierung bzw. Desakralisierung der japanischen Quellenwerke Kojiki (712) und Nihonshoki (720) einer historisch-kritischen Analyse zu unterziehen. Die dem Gesamtprojekt zugrundeliegende praxistheoretische Prämisse, der zufolge Texte nicht per se profan oder sakral sind, sondern vielmehr – auch in gradueller Abstufung – in einem fortlaufenden Prozess sakralisiert und/oder desakralisiert werden, erweist sich als in besonderem Maße produktiv für den japanischen Bereich, insbesondere die politische Mythologie Japans betreffend. Ursprünglich als offizielle Schriften zur Legitimation kaiserlicher Autorität im frühen achten Jahrhundert verfasst, erfuhren die genannten Quellenwerke in der Neuzeit und Moderne Japans eine intentionale Sakralisierung, konsequenterweise gefolgt von einer Desakralisierung nach dem Zusammenbruch des zugehörigen politisch-sakralen Herrschaftskonzepts im Jahr 1945. Die Untersuchung ist in methodischer Hinsicht einem historisch-hermeneutischen Ansatz verpflichtet. Die detaillierte Text-, Rezeptions- und Kontextanalyse gilt der Klärung der Frage nach den Gründen, warum gerade diesen beiden Werken, mit der ihnen inkorporierten sog. KiKi-Mythologie, eine derart fundamentale – und fundierende - Rolle bei der Formierung von Identitätsdiskursen in Neuzeit und Moderne Japans zugefallen ist.

Diese generellen Fragestellungen werden zunächst anhand dreier exemplarischer Fokusbereiche für die Neuzeit, Moderne und Gegenwart Japans in Einzeluntersuchungen bearbeitet:

  • Fokusbereich 1 analysiert die kritische Neuinterpretation der Sakralität der Quellen bereits durch die japanische Nationalphilologie der Edo-Zeit (1603–1868). Hier befasst sich Louise Neubronner mit den zeitgenössischen Debatten um die Sakralität der KiKi-Mythologie.
  • Fokusbereich 2 untersucht die Sakralisierung und Ideologisierung der Mythen im Kontext der modernen Nationalstaatsbildung (Meiji- bis frühe Shōwa-Zeit, 1868–1945). Klaus Antoni untersucht hier die politische Mythologie der Reichsgründung am Fallbeispiel der Sakralisierung des Jinmu-tennô.
  • Fokusbereich 3 widmet sich den Entpolitisierungs- und Desakralisierungsprozessen der Mythologie seit 1945. Julia Dolkovski analysiert in diesem Kontext den Funktionswandel der KiKi-Mythen in japanischen Populärmedien, unter anderem durch die Betrachtung verschiedener Verwendungs- und Adaptionsstrategien unter dem Blickwinkel der Intertextualität.

In einem anschließenden, integrativen Arbeitsschritt sollen die in den drei Fokusbereichen gewonnenen Erkenntnisse Anwendung auf die übergeordnete Fragestellung der Forschungsgruppe finden. Den Abschluss der Untersuchungen bildet schließlich ein Ausblick im Hinblick auf eine mögliche Resakralisierung der KiKi-Mythen im gegenwärtigen und künftigen Japan.

Durch den interdisziplinären Austausch innerhalb der Forschungsgruppe wird die japanologische Textforschung einerseits stärker komparatistisch wie auch theoretisch formatiert, andererseits kann sie in methodischer Hinsicht auch Anregungspotential für das Gesamtprojekt bieten. Intendiert wird dabei auch eine Ent-Exotisierung ostasiatischer, d.h. „fremder“ Textualität, die – im Sinne einer kulturellen Vielfalt - ihrerseits stets gleichberechtigt Eingang in die allgemeine Theoriebildung finden sollte.


Team

Projektleitung:
Prof. Dr. Klaus Antoni
Asien-Orient-Institut | Abteilung für Japanologie
Wilhelmstraße 90, 72074 Tübingen
 +49 7071 2976985
klaus.antonispam prevention@uni-tuebingen.de

Persönliche Seite

Doktorandin:
Julia Dolkovski

Doktorandin:
Louise Neubronner