Uni-Tübingen

Teilprojekt A01: Aufruhr in Städten und geistlichen Institutionen: Das „Zeitalter des Investiturstreits“ in europäischer Perspektive

Abstract

Das Teilprojekt A01 untersucht vergleichend Aufruhr in Städten und in geistlichen Gemeinschaften im deutschsprachigen Südwesten des Reiches, im Anjou und in Oberitalien in den Jahren um 1100. Ziel ist es, 1) differenziertere Erklärungen für Härte und Dauer des „Investiturstreits“ zu finden, 2) den sozialen Wandel der Jahre um 1100 als europäisches Phänomen jenseits von nationalen Meistererzählungen zu erfassen und 3) die mediävistische Konfliktforschung durch Überwindung der Dichotomie von Moderne und Vormoderne methodisch weiterzuentwickeln.

Projektteam

Projektleitung:
Prof. Dr. Steffen Patzold

Mitarbeiter/innen:

Dr. Thomas Kohl

Katrin Getschmann, M. A.

Fachgebiete und Arbeitsrichtung

Geschichte / Mittelalterliche Geschichte

Projektbeschreibung

Das Teilprojekt untersucht für drei Regionen Europas vergleichend Ordnungen von Städten und geistlichen Institutionen, die durch Aufruhr bedroht waren. Zeitlich fokussiert das Projekt das sogenannte Zeitalter des Investiturstreits von ca. 1075 bis 1125. Die Zeitgenossen haben diese Lebensspanne als eine Phase der perturbatio und confusio wahrgenommen und beschrieben. Die Grenze zwischen laikaler und sakraler Sphäre sowie die innere Struktur beider Sphären wurden neu ausgehandelt – mit tiefgreifenden Folgen für die politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen menschlichen Zusammenlebens in weiten Teilen Europas. Parallel dazu erfassten Reformbewegungen zahlreiche geistliche Gemeinschaften und es bildeten sich städtische Kommunen aus. Die drei ineinander verwobenen Prozesse haben zusammen nicht nur einen tiefen sozialen Wandel mit langfristigen Auswirkungen auf die Geschichte Europas hervorgebracht, sondern immer wieder auch Aufruhr in geistlichen Gemeinschaften und Städten ausgelöst. Indem das Teilprojekt diese Momente des Aufruhrs untersucht, verfolgt es drei eng aufeinander bezogene Ziele:

  1. Erstens soll herausgearbeitet werden, wie die lokalen Interessen, Parteiungen und Verwerfungen im Rahmen der kleinräumigen Auseinandersetzungen in geistlichen Institutionen und Städten und jene großen Konflikte, welche aus der Neuvermessung der laikalen und sakralen Sphäre entstanden, ineinandergriffen und sich gegenseitig verschärften. Damit kann das Teilprojekt dazu beitragen, die lange Dauer und die Härte des sogenannten Investiturstreits in neuer Weise zu erklären.
  2. Indem drei Regionen Europas – der deutschsprachige Südwesten, Westfrankreich und Oberitalien – vergleichend untersucht werden, soll zweitens der soziale Wandel in den Jahren um 1100 als ein gesamteuropäisches Phänomen ernst genommen werden. Auf diese Weise lässt sich der sogenannte Investiturstreit noch weiter, als es die Forschung bisher erreicht hat, aus überkommenen deutschen Meistererzählungen vom Mittelalter herauslösen.
  3. Drittens soll das Teilprojekt die mediävistische Konfliktforschung methodisch weiterentwickeln. Die seit den 1970er Jahren etablierte Forschungsrichtung hat sich wesentlich auf die Annahme gestützt, die Gesellschaften im Europa des Hochmittelalters seien nicht oder kaum staatlich organisiert gewesen. Fragestellungen und Modelle sind daher von (rechts)ethnologischen und sozialanthropologischen Studien zu traditionalen Gesellschaften inspiriert gewesen. Den Leitfragen des SFB gemäß verzichtet das Teilprojekt auf eine dichotomische Gegenüberstellung von vormodernen/traditionalen und modernen Ordnungen. Das eröffnet der mediävistischen Konfliktforschung neue, differenziertere Perspektiven und macht sie zugleich in neuer Weise anschlussfähig an Forschungen zu Aufruhr in der Neuzeit, der Zeitgeschichte und der Gegenwart, wie sie in den anderen Teilprojekten des Projektbereichs betrieben werden.

Projektbezogene Vorträge und Publikationen

Getschmann, Katrin

Kohl, Thomas

Patzold, Steffen

Tagungen, Workshops, Konferenzen