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17.03.2014

Der Speisezettel von Neandertalern und den Vorfahren heutiger Menschen unterschied sich vermutlich kaum

Tübinger Forscher und ihr französischer Kollege hinterfragen frühere Deutung von Isotopenanalysen der Knochen

Kieferfragment eines Wolfs aus Le Moustier, das in der neuen Studie untersucht wurde. Foto: Hervé Bocherens/Universität Tübingen

Hinter das Rätsel, warum die Neandertaler vor rund 40.000 Jahren von dem anatomisch modernen Menschen verdrängt wurden, müssen Forscher ein noch größeres Fragezeichen setzen als zuvor. Einer verbreiteten Hypothese zufolge sollten die Neandertaler im Nachteil gewesen sein, weil ihr Nahrungsspektrum gegenüber dem der Vorfahren heutiger Menschen eingeschränkt war. Diese Annahme beruht auf Isotopenanalysen der Knochen, die Rückschlüsse auf die Ernährung zulassen. Forscher der Universität Tübingen unter Leitung von Professor Hervé Bocherens vom Fachbereich Geowissenschaften und ein Kollege vom Urgeschichtlichen Museum im französischen Les Eyzies-de-Tayac haben diese Befunde überprüft. Sie fanden nun Hinweise darauf, dass die unterschiedlichen Isotopensignaturen weniger auf verschiedene Speisezettel als vielmehr auf einen Wandel der Umweltbedingungen wie zum Beispiel erhöhte Trockenheit in den Gebieten, in denen sich die anatomisch modernen Menschen aufhielten, zurückzuführen sind.

Atome des gleichen Elements mit unterschiedlicher Masse werden als Isotope bezeichnet. Im Gegensatz zu den radiogenen Isotopen zerfallen die stabilen Isotope nicht. Die charakteristische Isotopensignatur – das Verhältnis der schweren zur leichten Variante eines Elements – der Nahrung spiegelt sich auch in der Signatur des Körpers der Konsumenten wider. So hatten Forscher aus dem hohen Anteil schwerer Stickstoffisotope in den Knochen rund 35.000 Jahre alter anatomisch moderner Menschen geschlossen, dass diese auch Fisch gegessen hätten, während sich die Neandertaler dieser Zeit auf das Fleisch großer Landtiere wie Mammut und Bison beschränkten. „Allerdings wurde bisher das Isotopenverhältnis in den Nahrungsquellen in der jeweiligen Umgebung nicht hinreichend überprüft“, erklärt Hervé Bocherens.

Mit seinem Forscherteam stellte er in einer aktuellen Studie fest, dass gerade in der Zeit des ersten Auftretens anatomisch moderner Menschen in Südwestfrankreich der Anteil schwerer Stickstoffisotope in den Knochen von sowohl pflanzenfressenden Tieren wie Rentier, Rothirsch, Pferd und Bison als auch von Fleischfressern wie Wölfen dramatisch anstieg. Die Werte waren im ganzen Ökosystem erhöht, wohl aufgrund veränderter Umweltparameter. „Diese erhöhten Isotopensignaturen spiegeln sich in den Überresten des modernen Menschen aus dieser Zeit natürlich ebenfalls wider", sagt der Paläobiologe. „Wir können daraus also nicht unbedingt schließen, dass sich die Ernährung von der des Neandertalers unterschied, es deutet vielmehr alles auf einen Wandel der Umweltbedingungen im Gebiet des heutigen Südwesten Frankreichs hin." Hervé Bocherens geht davon aus, dass es eher diese Art von Veränderungen wie etwa zunehmende Trockenheit waren, die den modernen Menschen einen Vorteil gegenüber den Neandertalern verschafften.

Vor kurzem hatte der Wissenschaftler bereits bei Forschungen in einer Höhle im nördlichen Kaukasusgebirge Hinweise gefunden, dass Neandertaler auch Fisch auf dem Speisezettel hatten. „Allgemein werden Neandertalern aufgrund neuerer Studien auch immer qualifiziertere Fähigkeiten zugeschrieben. Der biologische Unterschied zwischen den beiden prähistorischen Menschentypen erscheint immer kleiner“, stellt Bocherens fest. Er geht nicht davon aus, dass kleine Verhaltensunterschiede zwischen den Menschenformen ausreichten, um das Aussterben des Neandertalers und die weltweite Ausbreitung des anatomisch modernen Menschen zu erklären.

Änderungen der Isotopensignaturen von Pflanzenfressern, Wölfen und Menschen in der Zeit des Übergangs von Neandertalern zu anatomisch modernen Menschen. Abbildung: Hervé Bocherens/Universität Tübingen

 

Publikation:

Hervé Bocherens, Dorothée G. Drucker, Stéphane Madelaine: Evidence for a 15N positive excursion in terrestrial foodwebs at the Middle to Upper Palaeolithic transition in south-western France: Implications for early modern human palaeodiet and Palaeoenvironment. Journal of Human Evolution, <link http: dx.doi.org j.jhevol.2013.12.015>

dx.doi.org/10.1016/j.jhevol.2013.12.015

Kontakt:

Prof. Dr. Hervé Bocherens
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Paläobiologie – Arbeitsgruppe Biogeologie
Telefon +49 7071 29-76988
<link mail ein fenster zum versenden der>herve.bocherens[at]uni-tuebingen.de

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung
Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
Telefax +49 7071 29-5566
janna.eberhardt[at]uni-tuebingen.de

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