Uni-Tübingen

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01.12.2022

Künstliche Intelligenz verbessert Vorhersage, was bei einer Planetenkollision passiert

Astrophysiker und Computerwissenschaftler der Universitäten Tübingen, Linz und Wien entwickeln ein künstliches neuronales Netzwerk, das schnelle Näherungen für rechenintensive Simulationen liefert

Darstellung der Kollision zweier planetarer Körper zu verschiedenen Zeitpunkten: Die beiden Objekte stoßen in einem schrägen Winkel und mit hoher Geschwindigkeit zusammen, was zu zwei überlebenden Körpern (hit-and-run) und zahllosen kleinen Trümmern führt. Eine große Menge Wasser (blau) wird dabei vom kleineren auf den großen Körper übertragen.

In den Spätphasen der Planetenentstehung kommt es von Zeit zu Zeit zu gewaltigen Kollisionen zwischen großen, planeten-ähnlichen Körpern. Solche Zusammenstöße haben einen immensen Einfluss auf die weitere Entwicklung der beiden Körper: Ihre Größe und Zusammensetzung werden stark verändert, und sogar die dynamische Entwicklung innerhalb ihres Sternsystems kann beeinflusst werden. Außerdem entstehen zahlreiche Fragmente, aus denen sich komplette neue Welten wie Monde oder Asteroiden bilden können. Die Entschlüsselung und Modellierung dieser gigantischen Kollisionen ist ein wichtiges Puzzlestück für ein besseres Verständnis der Entstehung von Planetensystemen allgemein.

Astrophysiker und Forscher für maschinelles Lernen von der Universität Tübingen, der Johannes-Kepler-Universität Linz und der Universität Wien haben eine ausgeklügelte Methode der künstlichen Intelligenz (KI) entwickelt, um den Ausgang solcher planetarer Kollisionen effizienter und genauer als je zuvor vorherzusagen. Ihre Methode verbessert bestehende Ansätze, indem Fachwissen über Kollisionsprozesse in ihr KI-Modell einbezogen wird. Philip Winter vom Institut für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen, der Hauptautor der Studie, erläutert die Bedeutung der Arbeit: „Die Weiterentwicklung von Methoden des maschinellen Lernens kann zur effizienten Auswertung von planetaren Kollisionen beitragen. Allgemein lernen wir mehr darüber, wie Planeten entstehen und wie sie sich im Laufe der Zeit verändern.“ Die Arbeit wurde kürzlich in der Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlicht.

Verkürzte Berechnungszeiten

Klassisch werden Planetenkollisionen mit Hilfe von hydrodynamischen Simulationen nachgebildet. „Diese Simulationen sind in der Regel sehr rechenintensiv und nehmen viel Zeit in Anspruch“, erklärt Dr. Christoph Schäfer, Winters Tübinger Kollege und Mitautor. Winter und seine Kollegen lösten dieses Problem, indem sie Modelle für maschinelles Lernen entwickelten, die sehr schnell Näherungen der rechenintensiven Simulationen liefern können. „Diese Modelle des maschinellen Lernens sind derzeit nicht so genau wie hydrodynamische Simulationen, aber etwa 10.000 Mal schneller. Die Nutzung dieser schnellen Näherungen eröffnet neue Möglichkeiten für die Untersuchung von planetaren Kollisionen“, sagt Winter. So könnten beispielsweise Tausende von Kollisionen in groß angelegten Studien zur Planetenentstehung und -entwicklung verarbeitet werden, was die Berechnungszeiten erheblich verkürze und doch plausible Vorhersagen ermögliche.

Maschinelles Lernen werde für die astrophysikalische Forschung immer relevanter, beispielsweise indem es rechenintensive Komponenten bestehender Simulationsalgorithmen ersetzt, sagt Schäfer. „Außerdem kann maschinelles Lernen dabei helfen, plausible Erklärungen für bestimmte Szenarien, wie etwa die Entstehung des Erdmondes, zu finden“, setzt Winter hinzu. Vielleicht könne man eines Tages mithilfe intelligenter Algorithmen sogar erklären, aus welchen Ecken des Sonnensystems das Wasser auf der Erde stammt, und so zum Verständnis der Entstehung von Leben auf terrestrischen Planeten beitragen.

Philip Winter/JE, Hochschulkommunikation

Publikation:

Philip M. Winter, Christoph Burger, Sebastian Lehner, Johannes Kofler, Thomas I. Maindl, Christoph M. Schäfer: Residual neural networks for the prediction of planetary collision outcomes. Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, https://doi.org/10.1093/mnras/stac2933

Kontakt:

Dr. Christoph Schäfer
Universität Tübingen
Institut für Astronomie und Astrophysik
ch.schaeferspam prevention@uni-tuebingen.de

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