Uni-Tübingen

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28.12.2020

Hans-Georg Rammensee mit Landesforschungspreis für Angewandte Forschung ausgezeichnet

Pionier auf dem Gebiet der T-Zell-Immunologie: Bahnbrechende Forschung zu Immuntherapien durch Peptide bei Krebserkrankungen und Virusinfektionen

Prof. Dr. Bernd Engler, Rektor der Universität Tübingen, (links) und Preisträger Prof. Dr. Hans-Georg Rammensee (rechts).

Immunologen sind derzeit gefragt, ihre wissenschaftliche Meinung hat Gewicht. Professor Dr. Hans-Georg Rammensee vom Interfakultären Institut für Zellbiologie der Universität Tübingen ist einer von ihnen. Das Jahr 2020, das so sehr im Zeichen der COVID-19-Pandemie steht, ist auch für ihn ein außergewöhnliches. Aber mit der Erfahrung von 40 Jahren intensiver Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Immunologie blickt er anders auf die aktuellen Entwicklungen. Umfassender. Und trotz des hohen Aktualitätswerts nicht nur vom Ende her. Dass er in diesem Jahr mit dem Landesforschungspreis für Angewandte Forschung ausgezeichnet wird, freut Hans-Georg Rammensee doppelt: „Weil damit die Tübinger Forschungsleistungen im Bereich der T-Zell-Immunologie und der Impfstoffentwicklung der letzten Jahrzehnte gewürdigt werden. Außerdem ist dieser Preis eine schöne Gelegenheit, daran zu erinnern, dass die RNA-Vakzinierung vor über 20 Jahren in Tübingen entwickelt wurde.“

Bahnbrechende und wegweisende Erkenntnisse in der Immunologie

Schon seit den 1980er-Jahren beschäftigt sich Hans-Georg Rammensee mit der Erforschung der Interaktion von T-Zellen mit ihren Antigenen. Im Zentrum seiner Forschung stehen sogenannte Peptide (Proteinbruchstücke), die sich an der Außenhülle von Zellen befinden. Sie signalisieren dem Immunsystem, ob eine Körperzelle gesund oder krank ist. Die Immunreaktion gegen ein gegebenes Peptid wiederum hängt von der Peptidrezeptorspezifität der sogenannten MHC-Moleküle ab. Diese Peptide werden durch spezielle Rezeptoren – den beim Menschen sogenannten HLA-Molekülen – innerhalb der Zelle gebunden und anschließend auf der Zelloberfläche präsentiert. T-Zellen sind in der Lage, Veränderungen in den HLA-präsentierten Peptiden zu erkennen, also auch mutierte Peptide etwa im Falle einer Tumorerkrankung. Dies kann zu einer Aktivierung des Immunsystems und Elimination der Tumorzellen führen. 

Da nun aber jeder Mensch eine andere HLA-Konstellation hat, fällt auch die Immunreaktion gegen das jeweilige Protein individuell unterschiedlich aus. Bei der Aufklärung der Präsentation von Peptiden auf der Zelloberfläche und deren Interaktion mit T-Zellen lieferte Hans-Georg Rammensee bahnbrechende und wegweisende Erkenntnisse. Sie bilden bis heute die Grundlage für komplexe – auch durch maschinelles Lernen erzeugte – Online-Algorithmen, die alle auf dem von Rammensee und seinem Team entwickelten Prototypen aufbauen. Sie bieten die Möglichkeit einer exakten Bestimmung der von T-Zellen erkannten Peptidantigene aus Viren und aus Tumorzellen.

Eine starke Immunantwort gegen Krebs und Viren

Dieses Verfahren ermöglicht eine individualisierte Immuntherapie bei Krebspatienten. Dabei werden die in einem Tumor stattgefundenen Veränderungen (z. B. Mutationen) jeweils individuell identifiziert und als Krebsantigene genutzt, um einen tumorspezifischen Impfstoff herzustellen. Für jeden Patienten wird dann eigens eine Zusammenstellung der in seinen Krebszellen veränderten Peptide hergestellt, mit denen er individuell immunisiert wird. Dadurch werden die Krebszellen für das Immunsystem sichtbar und können durch dieses auch bekämpft werden. 
Die von Hans-Georg Rammensee und seinem Team initiierten Peptidvakzinierungsstudien gegen das Prostatakarzinom und das Nierenzellkarzinom deuten bereits auf mögliche klinische Erfolge hin. „Im Ergebnis haben wir es geschafft, die Prinzipien der Erkennung von virusinfizierten Zellen und von Krebszellen zu erarbeiten“, erklärt der Tübinger Forscher. „T-Zellen erkennen immer Peptide, also Fragmente von Proteinen, die auf körpereigenen Strukturen präsentiert werden. Mit solchen Peptiden kann man eine starke Immunantwort gegen Krebs und Viren erzeugen, wenn man einen wirksamen Impfverstärker nimmt, so wie wir ihn entwickelt haben.“

Dass das erwähnte Verfahren nicht nur bei Krebszellen, sondern auch bei Virusinfektionen funktioniert, wäre bis vor Kurzem nur einen Nebensatz wert gewesen – heute ist diese Erkenntnis für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das SARS-CoV-2 Virus essenziell wichtig. Tatsächlich hat Hans-Georg Rammensee auch hier wichtige Pionierarbeit geleistet. Und zwar bereits vor über 20 Jahren, wie er erzählt: „1996 besprach ich mit Prof. Günther Jung, mal auszuprobieren, ob man auch mit RNA impfen kann. Dies wurde dann von unseren Doktoranden Ingmar Hörr und Reinhard Obst zum Erfolg gebracht, so dass Ingmar Hörr bereits 1998 auf einem internationalen Kongress in New Delhi davon berichten konnte.“ 

Von der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung 

Damals wurde also die wissenschaftliche Basis für die mRNA-Impfstoffe geschaffen. Inzwischen wenden mehrere Firmen, darunter die von Rammensee mitgegründete CureVac N.V., das Verfahren an. Ein ganz anderer Ansatz ist es, mit genau denjenigen virusspezifischen Peptiden, die von den T-Zellen erkannt werden, zu immunisieren. Bisher waren Peptidimpfungen nicht effizient; werden die Peptide jedoch mit einem – ebenfalls in Tübingen – neu entwickelten Adjuvanz kombiniert, einem Zusatzstoff, der das Immunsystem gezielt und effektiv aktiviert, erhält man starke T-Zellantworten. Diese T-Zellen können dann virusindizierte Zellen abtöten sowie die B-Zellen zur Produktion von Antikörpern gegen das Virus anregen, wie das in einer klinischen Impfstudie gegen SARS-CoV-2 erprobt wird, die am 30. November begonnen hat. Im Mai 2020 berichtete Hans-Georg Rammensee, dass er selbst sich als „gesunder Freiwilliger“ zur Verfügung gestellt hat, um den Wirkstoff zu testen. Nach 19 Tagen wurden in seinem Blut „starke T-Zell-Antworten gegen Peptide aus SARS-CoV-2“ gemessen.

In Hans-Georg Rammensees wissenschaftlicher Arbeit sind die Grenzen zwischen Grundlagenforschung und Angewandter Forschung fließend. Sein Ziel ist es, Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung möglichst rasch in klinische Anwendung zu übertragen, um neue, innovative Therapieansätze und eine individualisierte Herstellung moderner, biologischer Arzneimittel zur Behandlung von Krebserkrankungen oder für Immuntherapien zu entwickeln. So wurde auf sein Betreiben 2010 das „Good Manufacturing Practice Zentrum“ des Universitätsklinikums Tübingen eröffnet, in dem patientenindividuelle Impfstoffe und Antikörper gegen Krebserkrankungen entsprechend den europäischen Richtlinien für Arzneimittel hergestellt werden können. Auch die Entwicklung eines wirksamen mRNA-Impfstoffs gegen das SARS-CoV-2 Virus basiert maßgeblich auf den langjährigen Forschungen des Teams um Hans-Georg Rammensee.

Würdigung jahrzehntelanger erfolgreicher Forschungsarbeit

Nach Einschätzung der Jury des Landesforschungspreises ist Hans-Georg Rammensee „einer der weltweit führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Antigenspezifischen Immunbiologie. Mit seiner Arbeit hat er wichtige Beiträge zur Immuntherapie bei Krebs geleistet und eine wichtige Basis für die Entwicklung der modernen personalisierten Medizin gelegt.“ Das Preisgeld will der Tübinger Immunologe für die Weiterentwicklung der personalisierten Krebsimmuntherapie durch die therapeutische Impfung mit krebsspezifischen Peptiden verwenden, „und zwar in einer klinischen Studie, bei der gleich sechs verschiedene Krebsarten bekämpft werden sollen, was sehr ungewöhnlich ist“, betont Hans-Georg Rammensee. 

Pressemitteilung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 28.12.2020 
 

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