Uni-Tübingen

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22.03.2021

Text oder Bild – wie werden Bilderbibeln gelesen?

Studie untersucht per Eye-Tracking, wie Leser Bild-Text-Kombinationen aus dem 16. Jahrhundert betrachten und analysieren

Scan-Pfad eines Probanden mit dem Augenbewegungsmuster beim Betrachten eines Stimulus-Bildes (hier die Abbildung Genesis III.) Je größer die Verweildauer der Augen (Fixation), desto größer der rote Punkt.

Im 16. Jahrhundert erreichten künstlerische Gattungen eine große Blüte, die gezielt Bild und Text verbanden. Dabei erlebte das gedruckte, illustrierte Buch einen künstlerischen Höhepunkt. Eine wichtige Klasse solcher Bücher waren Bilderbibeln - die volkssprachlichen Ausgaben zeigten Darstellungen des Alten und Neuen Testaments mit kurzen Begleittexten (Latein oder Altdeutsch).

Eine wichtige Frage der Kunstgeschichte an diese Bild-Text-Kombinationen stellt sich dahingehend, die Bedeutung und den Nutzen der Begleittexte bei der Rezeption von Bilderbibeln zu charakterisieren. Dieser Frage sind Gregor Hardiess, Neurobiologe an der Universität Tübingen, und Caecilie Weissert, Kunsthistorikerin an der Universität Stuttgart, in einer Studie nachgegangen. Das Forschungsteam untersuchte mithilfe eines Eye-Tracking-Systems, ob und wann solche Texte beim Betrachten angeschaut werden und ob dies als Lesevorgang interpretiert werden kann. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Journal of Eye Movement Research veröffentlicht.

Im Zentrum der Untersuchungen stand die Frage, ob Text-Bild-Interaktionen mittels Augenbewegungsmuster gefunden werden und ob diese hinsichtlich des Verständnisses der Bildinhalte der Bibeln interpretiert werden können. Dafür präsentierte das Team Probandinnen und Probanden verschiedene Bilder aus einer Bilderbibel auf dem Bildschirm. Während diese die Bilder betrachteten, wurden Augenbewegungen mit dem Eye-Tracker registriert und analysiert. 

Wie die Ergebnisse zeigen, lasen die Probanden die Texte sehr früh im Prozess der Bildbetrachtung. Danach nutzten sie systematisch die im Text benannten Figuren, Objekte und deren Relationen, um gezielt die relevanten Bereiche des Bildes anzuschauen, die dem Aufbau der Bibelszene dienten. 

Die Studie verweist auf die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Kognitionswissenschaft und Kunstgeschichte resultierend in einer empirischen Arbeit und stellt interessante Fragen bezüglich des Rezeptionsverhaltens von Kunst für zukünftige Projekte.

Gregor Hardiess 

Publikation: G. Hardiess, C. Weissert: Interaction between image and text. Journal of Eye Movement Research, DOI: https://doi.org/10.16910/jemr.13.2.14 

Kontakt: 

PD Dr. Gregor Hardieß
Universität Tübingen
Lehrstuhl für Kognitive Neurowissenschaft
Telefon +49 7071 29-74604
gregor.hardiessspam prevention@uni-tuebingen.de 

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