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14.08.2023
Hoher Besuch bei der Examensfeier der Juristischen Fakultät
Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges hat den Tübinger Absolventen und Absolventinnen im Rahmen der Examensfeier am 26. Juli 2023 persönlich zum Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung gratuliert. Neben Urkunden wurden den Examinierten durch den Festvortrag zu „Recht und Moral – eine Grenze in der Krise“ von Professorin Christine Osterloh-Konrad auch Gedanken zur Reflektion des juristischen Selbstverständnisses mitgegeben.
Den Auftakt der im Festsaal abgehaltenen Feierlichkeiten bildete eine musikalische Darbietung durch Maurizio Ruoff, Sebastian Fetzer und Anne Mauz. Das vollständig aus Mitgliedern der Fakultät bestehende Streichtrio begeisterte mit einer Version von Frank Sinatras „My Way“.
Im Anschluss übernahm Professor Jens-Hinrich Binder, Dekan der Juristischen Fakultät, die Bühne und begrüßte neben den Examinierten auch die zahlreich erschienenen Kollegen und Gäste im Namen der Fakultät. Ein besonderes Willkommen richtete er an die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges und die Präsidentin des Landesjustizprüfungsamtes (LJPA) Sintje Leßner.
Dekan Binder begrüßte das Publikum mit dem Slogan „Alles für diesen Moment“, aus einer Werbekampagne für eine Fluglinie: So wie die Passagiere des Flugzeugs im Werbespot stünden auch die Absolventen und Absolventinnen nun vor dem Start in ein großes Abenteuer. Die jahrelange Arbeit habe sie zu diesem Moment geführt, der nun mit Staunen und Dankbarkeit gefeiert werden könne.
Die Feier solle nicht nur die vielen Mühen, sondern vor allem auch die Freude der letzten Jahre widerspiegeln. Mit „Freude“ sei auch die Freude an juristischer Arbeit, am Wettbewerb der Argumente und intellektueller Herausforderung gemeint.
Die Examensergebnisse seien für die Fakultät ein Gradmesser des Erfolgs. In Ihnen könne man nicht nur den Erfolg im Beibringen der Untiefen des dogmatischen Geschäfts, sondern auch im Veranschaulichen internationaler, gesellschaftlicher und historischer Bezüge sehen. Der universitäre Rahmen der Ausbildung spiele hier eine essenzielle Rolle, da er auch Interdisziplinarität ermögliche, die in einem verschulten Ausbildungsmodell außerhalb einer Universität schwer realisierbar sei.
„Wer hohe Türme bauen will, muss lange am Fundament verweilen“
Abschließend gratulierte der Dekan den Examinierten im Namen der Fakultät nochmals herzlich und übergab Ministerin Gentges das Podium.
Die Tübinger Alumna und Justizministerin begann ihre Rede mit dem Zitat des Komponisten Anton Bruckner „Wer hohe Türme bauen will, muss lange am Fundament verweilen“. Das Fundament der Absolventen und Absolventinnen bestünde hier aus den zahlreichen Fähigkeiten, die sie im Laufe ihrer Ausbildung entwickeln und schärfen durften. Die juristische Ausbildung trainiere vor allem die Auffassungsgabe und das Verständnis für komplexe Sachverhalte. Dies sei bedeutsam, um neuen und vielfältigen Herausforderungen zu begegnen.
Das Fundament sei aber nicht allein den Anstrengungen der Examinierten selbst, sondern auch dem Engagement der Professorinnen und Professoren und aller Lehrenden zu verdanken. Dank gebühre zudem auch allen Prüfern und Prüferinnen sowie den Eltern und Familienangehörigen für ihre Unterstützung.
Gentges betonte sodann die Vielzahl an Türen, die den Absolventen und Absolventinnen nun geöffnet seien. Sie motivierte die Examinierten, diesen Möglichkeiten mit Neugier und Vorfreude entgegenzutreten und warnte davor, in Krisen nur Probleme zu sehen. Für gesunde Zukunftsperspektiven sei es nämlich notwendig, in Krisen auch Chancen zu erblicken.
Die Justizministerin schloss mit einem Appell ab, die Euphorie über das bestandene Examen für den kommenden Lebensweg aufrechtzuerhalten und weiterzutragen. Das Fundament sei stabil gebaut.
Auch Sintje Leßner gratulierte den Examinierten zu ihrem Erfolg. Ihre Leistungen seien aufgrund der Notenverteilung in Relation zur juristischen Notenskala für Laien allerdings oft nicht einfach zu würdigen. Es sei schwierig zu erklären, dass man gerade einmal mit der Hälfte der zu erreichenden Punkte bereits zu der Spitzengruppe gehöre. Der Vorteil dieser strengen Bewertung sei jedoch, dass in Zeiten von Noteninflationen, wie beispielweise im Abitur, das Staatsexamen nicht an Wert einbüße. Anschließend gewährte Leßner dem Publikum Einblicke in die Themen der verschiedenen Examensklausuren.
„Um sicher Recht zu tun, braucht man sehr wenig vom Recht zu wissen. Allein um sicher Unrecht zu tun, muss man die Rechte studiert haben.“ (Georg Christoph Lichtenberg)
Anschließend referierte Professorin Osterloh-Konrad in ihrem Festvortrag zum Thema „Recht und Moral – eine Grenze in der Krise“. Dabei begann sie mit dem aus Georg Christoph Lichtenbergs Feder stammenden Aphorismus „Um sicher Recht zu tun, braucht man sehr wenig vom Recht zu wissen. Allein um sicher Unrecht zu tun, muss man die Rechte studiert haben.“ Er offenbare die Ambiguität des Begriffes „Recht“, der zum einen das geltende Rechtssystem meine und zum anderen als Synonym für „das Gerechte“ oder die „Moral“ genutzt werde.
Im Anschluss daran führte Osterloh-Konrad Beispiele für das Verschwimmen dieser „Normsysteme“ an. Sie beschrieb, wie es in jüngster Zeit immer wieder zu Versuchen seitens des Staates komme, Defizite des Rechts mit moralischem Druck auszugleichen. Umgekehrt versuche der Gesetzgeber allerdings mitunter auch, vermutete moralische Defizite durch das Recht zu kompensieren.
Das Problem hinter diesen Mechanismen erläuterte die Referentin, indem sie auf die Grundlagen der Unterscheidung zwischen Recht und Moral einging. Sie betonte dabei die „Ermöglichungsfunktion“ des Rechts. Indem das Recht das ethische Minimum und nicht das Optimum anstrebe, schaffe es erst die Freiheitsräume für Debatten über richtig und falsch. Anders als die rechtliche liege die moralische Erkenntnis in der Eigenverantwortung des Individuums, dem gegenüber von keinem anderen Individuum eine zwingende moralische Autorität ausgeübt werden dürfe. Die Ausübung einer Zwangsmoral durch den Staat sei ab einem gewissen Punkt zudem nicht durchsetzbar und führe dazu, dass die Akzeptanz des Rechts erodiere.
Zusammenführend griff Prof. Osterloh-Konrad Lichtenbergs Zitat erneut auf und stellte fest, dass man zwar durchaus kein Studium der Rechte brauche, um Recht zu tun, es aber für die Erkenntnis, dass es in einer Zwangsordnung Recht um mehr gehe als darum, eine Gesellschaft möglichst gerecht Handelnder zu produzieren, durchaus hilfreich sei. Ein gut ausgebildeter Jurist wisse um den Wert rechtsstaatlicher Garantien, die das Bollwerk zwischen dem subjektiven Urteil staatlicher Autoritätspersonen und dem Einzelnen bildeten. Damit wisse er auch um den Wert der Grenze zwischen Recht und Moral.
Nachfolgend übernahm der Studierendensprecher Nikita Estreich das Podium und sprach den Examinierten von Seiten der Studierenden und der Fachschaften Gratulation aus. In seiner Rede rief er zudem zum Dank an die Familie und Freunde für den starken Rückhalt während des langen Studiums auf. Abschließend wünschte er den Examinierten alles Gute für die nun bevorstehende und sehnsüchtig erwartete „Freiheit“.
Nach einer weiteren musikalischen Darbietung wurden die Preisträger des Reinhold-und Maria-Teufel-Preises für die besten Dissertationen des Jahres 2022 geehrt. In diesem Rahmen erfolgte ein Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Tuttlingen Michael Beck im Namen der Stiftung. Geehrt wurden Dr. Franziska Luise Maubach, Dr. Jan Alexander Nehring-Köppl, Dr. Tamara Rapo-Bastian, Dr. Sima Samari und Dr. Tilman Schmeller.
Dem schloss sich die Überreichung der Examensurkunden an die 128 Tübinger Absolventen und Absolventinnen durch die Präsidentin des LJPA und der Justizministerin an. Eine besondere Ehrung erfuhr Niklas Klatt als Examensbester mit dem Examenspreis der Juristischen Gesellschaft.
Laura Anger