Wissenschaftler des Tübinger Instituts für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters untersuchen seit über zehn Jahren steinzeitliche Fundstellen in Südafrika. Die Ergebnisse fließen jetzt auch ein in das große Akademieprojekt "The Role of Culture in Early Expansions of Humans (ROCEEH)".
Die südafrikanische Provinz Westkap ist ein Paradies nicht nur für Naturliebhaber, sondern vor allem auch für Paläontologen und Archäologen. Hier graben Wissenschaftler des Tübinger Instituts für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters unter der Leitung von Prof. Nicholas Conard Ph.D. bereits seit 1998 in der Dünenlandschaft nördlich von Kapstadt, bis zum Jahr 2008 im Rahmen eines DFG-Forschungsprojekts an den Fundstellen Geelbek und Anyskop sowie seit kurzem auch in Hoedjiespunt.
In diesen Dünenfeldern lagern Überreste aus verschiedenen Perioden der Steinzeit unmittelbar nebeneinander: bis zu 500.000 Jahre alte Faustkeile aus der frühen Steinzeit, Steinartefakte aus der mittleren Steinzeit (80.000 und 60.000 Jahre vor heute), vielfältige Artefaktformen aus der Jungsteinzeit mit einem Alter von etwa 2.500 Jahren sowie auch neuzeitliche Funde. Das Gute daran aus der Sicht des Archäologen: die meisten Überreste sammeln sich einfach in den Tälern zwischen den Dünen, freigelegt durch den Wind und die permanente Wanderung der Dünen. "Wir müssen hier gar nicht ausgraben im klassischen Sinn, sondern vorrangig Landschaftsarchäologie betreiben und die Funde sichern", erläutert der Tübinger Archäologe Dr. Andrew Kandel, der seit 1998 in Geelbek und Anyskop dabei war. Als Hilfsmittel kommen dabei moderne Lasertheodoliten sowie ein Globales Positionierungs-System (GPS) zum Einsatz. Im Unterschied zu den meisten steinzeitlichen Ausgrabungen weltweit, können hier daher sehr großflächige Freilandgeländeuntersuchungen durchgeführt werden.
Über 30.000 Fundstücke sind allein bei den Grabungskampagnen der Jahre 1998 bis 2008 gesichert worden, vor allem Steinwerkzeuge und Tierknochen, die teilweise als Essensreste zu betrachten sind, aber auch menschliche Knochen, Muschel- und Straußeneierschalen, sowohl wie Perlen, Werkzeuge aus Knochen und Keramik. Die Funde geben Hinweise für die Beantwortung der Fragen: Welche Steinwerkzeuge waren wann bekannt? Was bedeutet dies für die Lebens- und Ernährungsweise der Menschen? Steinerne Speerspitzen aus der mittleren Steinzeit belegen zum Beispiel die Herausbildung ausgefeilter Jagdtechniken. Überreste von Feuerstellen aus der jüngeren Steinzeit, die mit verbrannten Resten von Muscheln und Seepocken umgegeben sind, zeigen, dass die Menschen Meeresfrüchte gegrillt haben und dass sie gestrandete Walfische am Meer zerlegt und das Fleisch portioniert über größere Strecken zum Verzehr transportiert haben. Untersuchungen des Mineraliengehalts von menschlichen Knochenresten verdeutlichen die hohe Bedeutung von Meeresfrüchten für die Ernährung der jungsteinzeitlichen Menschen in dieser Gegend.
Die Ergebnisse der Grabungen in der Provinz Westkap fließen jetzt auch ein in das vor zwei Jahren gestartete Großforschungsprojekt "The Role of Culture in Early Expansions of Humans (ROCEEH)" der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Im ROCEEH-Projekt untersuchen Wissenschaftler der Universität Tübingen und des Frankfurter Senckenberg Instituts die weltweiten Wanderbewegungen unserer steinzeitlichen Vorfahren im Zeitraum von drei Millionen bis 20.000 Jahren vor heute. Zentraler Aspekt dabei: die Bedeutung kultureller Entwicklungen für die räumliche Ausbreitung der frühen Menschen. Ein Ziel von ROCEEH ist die Erstellung einer internetbasierten Datenbank, die sowohl archäologische und paläoanthropologische Daten wie auch vegetationsgeschichtliche, klimageschichtliche, geographische und paläontologische Informationen integriert. Da die ältesten Menschenarten in Afrika lebten und von dort aus andere Kontinente bevölkerten, trägt die Datenbank den Namen "ROCEEH Out of Africa Database", abgekürzt ROAD. Die Datenbank ist gerade in Testphase und wird es künftig ermöglichen, die Lebensräume der frühen Menschen und ihre Wanderbewegungen noch besser zu rekonstruieren und zu deuten.
Mehr Informationen:
Maximilian von Platen
Dr. Andrew Kandel wertet Knochenreste von der Fundstelle Geelbek im Südafrika-Museum in Kapstadt aus. Foto: Steven J. Walker | Kooperation mit SüdafrikaBei der Rekonstruierung der komplizierten steinzeitlichen Siedlungsgeschichte in der Westkap Küstenregion arbeiten die Tübinger Urgeschichtler sehr eng mit Kollegen von der University of Cape Town (UCT), dem Südafrikanischen Museum in Kapstadt und der "South African Heritage Resources Agency" (SAHRA), der Agentur zur Bewahrung des südafrikanischen Kulturerbes, zusammen. Mitarbeiter von SAHRA und Studierende der UCT waren mehrfach zu Gast an der Universität Tübingen und bei den Ausgrabungen auf der Schwäbischen Alb im Hohle Fels. Viele Tübinger Studierende haben umgekehrt an den Grabungskampagnen in Südafrika teil genommen oder Praktika am Südafrikanischen Museum absolviert. Andrew Kandel hat hier in den Jahren 2001 bis 2008 die Funde aus Geelbek und Anyskop ausgewertet und darüber promoviert. Seit 2008 ist er Mitarbeiter beim ROCEEH-Projekt in Tübingen. Das Südafrikanische Museum ist Teil der Iziko-Museen von Kapstadt und beherbergt eine der größten Sammlungen präkolonialer archäologischer Funde aus ganz Südafrika. Es wurde bereits 1825 gegründet und ist das zweitälteste Museum des Landes. Homepage des Südafrikanischen Museums: http://www.iziko.org.za/sam/index.html |
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